Guten Tag, ihr unwürdigen Sünder!

Vorbemerkung: Dies ist die Wiedergabe eines Artikels, den ich ursprünglich auf Spanisch veröffentlichte, im Bezug auf eine hier sehr konkrete und sehr verbreitete Situation. Da ich nicht mehr allzuviel Kontakt ausserhalb von Perú habe, kann ich nicht beurteilen, wie weit das Folgende auch auf den deutschsprachigen Raum zutrifft. Ich veröffentliche es hier trotzdem, „nur für den Fall, dass…“.

In gewissen evangelischen/evangelikalen Kreisen herrscht die Gewohnheit zu sagen: „Ich bin ja nur ein unwürdiger Sünder.“ „Wir sind doch alle unwürdige Sünder.“ Manche wiederholen diese Worte ohne nachzudenken, weil die anderen es auch sagen. Aber Gott möchte nicht, dass wir Papageien sind, die alles gedankenlos nachplappern. Er möchte, dass wir alles prüfen, was wir hören (1. Thessalonicher 5,21). Prüfen wir also diese Gewohnheit, und sehen wir, was die Bibel dazu sagt.

¿Warum sagen sie: „Ich bin ein unwürdiger Sünder“?

Ich habe mehrere Evangelische/Evangelikale gefragt, warum sie diese Worte benützen. Wie gesagt, manche wussten nichts zu antworten, weil sie noch gar nie darüber nachgedacht hatten. Einige sagten: „Hat uns nicht Jesus beigebracht, wir sollen so beten?“ – Damit bezogen sie sich auf das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner (Lukas 18,9-14), wo Jesus sagt:

„Der Zöllner aber stand von ferne und wollte nicht einmal seine Augen zum Himmel erheben, sondern er schlug an seine Brust und sprach: O Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging mehr gerechtfertigt nach Hause als jener. Denn jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lukas 18,13-14)

Warum handelte der Zöllner so? Offenbar, weil er sich seiner Sünde bewusst war, und so vor Gott seine Reue ausdrückte. Er wusste sehr gut, dass er vor Gott nicht gerecht war mit dem Leben, das er lebte; und suchte Vergebung. Jesus erzählte dieses Gleichnis „zu etlichen, die auf sich selber vertrauten als Gerechte, und die übrigen verachteten“ (Vers 9). Diese, die Pharisäer, brauchten auch Vergebung; aber sie waren sich dessen nicht bewusst.

Wenn jetzt mein evangelischer/evangelikaler Freund in seinem Gebet in der Kirche dieselben Worte braucht wie der Zöllner, wird er dieselbe Belohnung erhalten? – Nicht unbedingt. Reue und Umkehr sind Dinge des Herzens und der Taten, nicht der Worte, die wir benützen. Und unter jenen, die ich befragte, war keiner, der geantwortet hätte, er bete so, weil er seine Sünden bereute. Stattdessen antworteten sie, sie beteten so, „weil der Herr gesagt hat, wir sollen so beten“. Sehen wir, was für eine Haltung sich hier offenbart:

Die Pharisäer hatten gelernt, dass sie, um gerecht zu sein, zeigen müssten, dass sie das Gesetz Gottes in jedem Detail befolgten. Oder besser gesagt, das „Zeigen“ vor den Menschen war noch wichtiger als das Befolgen. Deshalb dachte der Pharisäer im Gleichnis, gerechtfertigt zu sein, indem er sich seines Gehorsams rühmte. Vor den Menschen erweckte er den Anschein von etwas, was in seinem Herzen nicht Wirklichkeit war.

Und was lernen heute die Gemeindeglieder, welche die Worte des Zöllners wiederholen? Es wird ihnen gesagt, um gerechtfertigt zu werden, müssten sie „demütig“ sein und sich selber „Sünder“ nennen. Somit tun sie es, denn sie wollen, dass die anderen Gemeindeglieder sehen, dass sie die richtigen Worte gebrauchen. Das heisst, auch sie erwecken nur einen Anschein! Sie gebrauchen Worte, die in ihrem ursprünglichen Zusammenhang Reue und Umkehr ausdrückten; aber da ist keine Umkehr in ihren Herzen und in ihren Leben. Die Mehrheit jener, die sagen „ich bin ein unwürdiger Sünder“, glauben in Wirklichkeit gar nicht, dass sie Sünder sind.

Machen Sie die Probe. Nennen Sie einmal jemanden „unwürdiger Sünder“, der gewohnheitsmässig diese Worte gebraucht, und beobachten Sie die Reaktion. Ich tat das einmal in einer solchen Gemeinde, die mich eingeladen hatte. Nach der Gebetszeit begrüsste ich die Versammlung: „Guten Tag, ihr unwürdigen Sünder.“ Ich blickte in einige sehr, sehr verärgerte Gesichter. Da war es mit der Demut vorbei! – Ich sagte ihnen: „Warum ärgern Sie sich? Ich habe doch nur dasselbe gesagt, was Sie selber vor einigen Minuten in Ihren Gebeten gesagt haben.“ – Aber eben: sie hatten ihre Gebete ja gar nicht ernst gemeint. Sie waren gar nicht überführt von ihrer Sünde. Sie hatten lediglich so gebetet, um vorzuzeigen, dass sie die „richtigen Worte“ wussten.

In Wirklichkeit ist diese Art des „Anschein Erweckens“ noch schlimmer als die der Pharisäer. Ja, die Pharisäer waren stolz; aber sie zeigten ihren Stolz wenigstens offen. Jene hingegen, die sagen „Ich bin ein unwürdiger Sünder“, ohne wirklich daran zu glauben, verstecken ihren Stolz hinter einer falschen Demut.

– Ich bin mir bewusst, dass auch die gegenteilige Strömung existiert, jene des „positiven Bekenntnisses“. Dort wird den Leuten beigebracht, zu „bekennen“, sie seien gesund, während sie noch krank im Bett liegen; zu „bekennen“, sie seien siegreich, während in Wirklichkeit alles schiefgeht; und zu „bekennen“, sie seien heilig, während sie noch in einer Vielzahl von Sünden gefangen sind. In keiner Bibelstelle wird uns angeraten, so etwas zu tun. Ein echter Christ darf sich „heilig“ nennen, weil das die Wirklichkeit seines Lebens ist; aber Gott sagt nicht zu einem falschen Christen, er solle sich „heilig“ nennen, wenn in seinem Leben keine Heiligkeit vorhanden ist. Aber das ist ein anderes Problem, das in einem eigenen Artikel behandelt werden müsste.

Ein Christ ist ein Heiliger

Gibt es eine biblische Grundlage dafür, einen Christen „Sünder“ zu nennen? Das Neue Testament ist hierin konsequent: die Christen heissen „Heilige“, und die Nichtchristen heissen „Sünder“. Paulus schrieb seine Briefe an die „Heiligen“ in Korinth, Ephesus, Philippi, usw. Nicht an die „Sünder in Korinth“. – An die Römer schrieb er klar, dass ein Christ der Sünde gestorben ist:

„Was sollen wir nun sagen? Wollen wir in der Sünde verharren, damit die Gnade noch grösser werde? Das sei ferne! Die wir der Sünde abgestorben sind, wie sollten wir ferner in ihr leben? (…) So sollt auch ihr euch als solche ansehen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus, unserem Herrn.“ (Römer 6,1-2. 11)

Was die Sünder oder „Ungerechten“ betrifft, so ist die Schrift klar darin, dass diese keine echten Christen sein können:

„Oder wisst ihr nicht, dass Ungerechte das Reich Gottes nicht ererben werden? Irrt euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, noch Ehebrecher noch Lustknaben noch Knabenschänder, noch Diebe noch Habsüchtige, noch Trunkenbolde noch Lästerer noch Räuber werden das Reich Gottes ererben. Und das sind euer etliche gewesen. Aber ihr habt euch abwaschen lassen, ja, ihr seid geheiligt worden, ja, ihr seid gerechtfertigt worden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes.“ (1. Korinther 6,9-10)

Klarer kann man den abgrundtiefen Unterschied zwischen einem „Sünder“ und einem „Gerechten“ oder „Heiligen“ nicht ausdrücken.

Wie sollen wir dann das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner verstehen? – Jesus verurteilt hier sicher nicht das Streben nach Heiligkeit. Im Gegenteil, der Zöllner suchte genau das: Vergebung seiner Sünden und eine Wiederherstellung seines Lebens. Deshalb nennt ihn Jesus „gerechtfertigt“. Nicht weil er ein Sünder war, sondern weil er seine Sünde bereute! Und ebendiese Umkehr bewirkte, dass der Zöllner aufhörte, ein Sünder zu sein, und zu einem Gerechten wurde.
Was Jesus hier verurteilt, ist die Selbstgerechtigkeit, d.h. das „Vertrauen auf sich selbst als Gerechter“. Und ironischerweise ist es genau das, was jene tun, die sich selber „unwürdige Sünder“ nennen: Sie glauben, dadurch gerechtfertigt zu werden, dass sie vor den Menschen zeigen, wie „demütig“ sie sind, statt die Gerechtigkeit zu suchen, die von Jesus Christus kommt.

Einige häufige Fragen und Einwände

Die „unwürdigen Sünder“ pflegen auf die Darlegung dieser Wahrheiten mit 1.Johannes 1,8 zu antworten:

„Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst irre, und die Wahrheit ist nicht in uns.“

Bedeutet das, dass ein Christ sich „Sünder“ nennen soll? – Keineswegs, und zwar aus drei Gründen:

1. Der unmittelbar vorangehende Vers versichert: „Das Blut Jesu, seines Sohnes, reinigt uns von aller Sünde.“ (1.Johannes 1,7) Wie soll jemand weiterhin „Sünder“ sein, wenn er soeben von aller Sünde gereinigt worden ist? Wahrscheinlicher ist, dass Vers 8 sich auf jene Sünden bezieht, die vor der Bekehrung zu Jesus begangen wurden. Natürlich hat jeder Christ solche Sünden in seinem Leben, denn niemand wird als Christ geboren.

2. Auch wenn wir annehmen, unser Vers spreche von gegenwärtigen Sünden eines Christen: Macht ihn das schon zum Sünder? – Nein, denn dann kommt sofort Vers 9 zur Anwendung:

„Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, sodass er uns die Sünden vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt.“

Also auch wenn ein Christ einmal eine Sünde begeht, dann wird er diese Sünde sogleich bereuen und sie vor dem Herrn bekennen, und dann reinigt ihn der Herr, und der Christ ist wiederum rein von der Sünde. – Beachten wir, dass der Herr nicht nur „von der Strafe für die Ungerechtigkeit“ reinigt. Er reinigt uns von der Ungerechtigkeit selber!

3. Wenn wir einige Verse weiterlesen, dann wird die Absicht dieses ganzen Abschnitts klar. Leider hat irgendwann einmal in der Geschichte irgendein Schreiber beschlossen, nach 1.Johannes 1,10 ein neues Kapitel zu beginnen. Aber die Kapiteleinteilung ist nicht von Gott inspiriert, und in diesem besonderen Fall ist sie sehr unglücklich, weil sie den Zusammenhang auseinanderreisst. 1. Johannes 2,1-6 erklärt nämlich die Absicht der vorangehenden Verse:

„Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt (d.h. wenn trotz allem ein Christ sündigt, was aber nicht der Normalfall ist), dann haben wir einen Beistand beim Vater, Jesus Christus, den Gerechten. (…) Und daran erkennen wir, dass wir ihn erkannt haben: wenn wir seine Gebote halten. Wer sagt: Ich habe ihn erkannt, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht.“ (1. Johannes 2,1.3-4)

Johannes hat also Vers 1,8 offensichtlich nicht als Ausrede geschrieben, damit Christen weiter in Sünde leben könnten, ohne umzukehren. Im Gegenteil, er schrieb diesen Vers im Zusammenhang eines Ratschlags, wie wir von der Sünde frei sein können. Wer noch daran zweifelt, möge auch 1.Johannes 3,6-8 lesen:

„Jeder, der in ihm bleibt, sündigt nicht. Jeder, der sündigt, hat ihn nicht gesehen und ihn nicht erkannt. Kinder, niemand soll euch irreführen! Wer die Gerechtigkeit tut, ist gerecht, wie jener gerecht ist. Wer die Sünde tut, stammt vom Teufel; denn der Teufel sündigt von Anfang an. Dazu ist der Sohn Gottes erschienen, die Werke des Teufels zu zerstören.“

 

– Ein anderer Einwand, den ich hörte, kommt aus Römer 3,9-10:

„Denn wir haben soeben Juden und Griechen als schuldig erwiesen, dass sie alle unter der Herrschaft der Sünde seien, wie geschrieben steht: Es ist keiner gerecht, auch nicht einer …“

„Da siehst du“, sagen die „unwürdigen Sünder“, „dass es keinen Gerechten gibt auf der Welt, wir sind alle Sünder.“

Das ist eine wirklich fürchterliche Auslegung dieser Stelle: eine Auslegung, die den Gesamtzusammenhang des Römerbriefs völlig ausser acht lässt, und die zudem die durch Jesus vollbrachte Erlösung leugnet. Wer die ersten drei Kapitel des Römerbriefs vollständig und zusammenhängend liest, wird den Gedankengang leicht verstehen: Paulus beweist in diesen Kapiteln den Nichtchristen, dass sie Sünder sind und deshalb erlöst werden müssen. Auf Nichtchristen angewendet, ist es zweifellos wahr, dass „alle Sünder sind“. Aber Paulus fährt nicht fort: „… und somit werden wir alle für den Rest unseres Lebens unwürdige Sünder bleiben.“ Im Gegenteil, er sagt (paraphrasiert): „Gerade deswegen, weil du ein Sünder bist, deswegen brauchst du Jesus!“ Und dann erklärt er, dass durch die Erlösung in Jesus Christus der Sünder aufhören kann, ein Sünder zu sein:

„Jetzt aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes geoffenbart worden, die vom Gesetz und den Propheten bezeugt wird, nämlich die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus für alle, die an ihn glauben. Denn es ist kein Unterschied; alle haben gesündigt und ermangeln der Ehre vor Gott, und werden gerechtfertigt ohne Verdienst, durch seine Gnade mittels der Erlösung, die in Christus Jesus ist …“ (Römer 3,21-24)

Wenn also jemand sich unter die „Sünder“ und „Ungerechten“ von Römer 3,9-10 einschliesst, dann sagt er damit, dass er noch nicht bis zu Römer 3,24 gekommen ist. In anderen Worten, dass er noch nicht zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist.

(Fortsetzung folgt)

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