Warum Gott China segnet

Vor einigen Wochen liess mich eine kleine Nachricht aufhorchen: Die Europäische Union hat China um Wirtschaftshilfe ersucht. So weit ist es also gekommen. Ich erinnere mich noch, vor einigen Jahrzehnten, da war das kommunistische Osteuropa um Hilfe aus dem Westen angewiesen, obwohl in der offiziellen Propaganda ständig die Überlegenheit des Kommunismus betont wurde. Und einige wenige westliche Politiker wagten es damals noch, ihren Amtskollegen im Osten zu sagen, sie möchten aber bitte aufhören, die Menschenrechte ihrer Untertanen mit Füssen zu treten.

Heute ist China längst nicht mehr so kommunistisch wie damals Osteuropa. Menschenrechtsverletzungen kommen dennoch immer wieder vor – insbesondere gegen Christen. Aber in den westlichen Medien und bei westlichen Politikern ist das kein Thema mehr – wie könnte es auch, wenn man vom Hilfeleistenden zum Hilfsbedürftigen geworden ist.

Beruht diese Umkehrung der wirtschaftlichen Verhältnisse darauf, dass China – zumindest was die Wirtschaft betrifft – einen Wandel zum Kapitalismus vollzogen hat, während Westeuropa immer sozialistischer wird? Das mag ein Teilaspekt sein; aber ich glaube, dass diese Erklärung zu kurz greift. Ich glaube, es gibt da tieferliegende geistliche Hintergründe, die damit zu tun haben, wann, wo und wen Gott segnet.

In einem Buch über Missionsgeschichte las ich einmal einen höchst interessanten Gedanken über den Untergang des Römischen Reiches. (Leider kann ich mich beim besten Willen nicht mehr an den Autor oder den Titel des Buches erinnern, sonst würde ich die Quelle angeben.) Es wurde da erwähnt, dass sich etwa ab dem 4.Jahrhundert der christliche Glaube immer stärker auch ausserhalb des Römischen Reiches auszubreiten begann, unter den „barbarischen“ Germanenstämmen. Parallel dazu wurde das Römische Reich zwar offiziell „christlich“ (indem Kaiser Theodosius das Christentum zur obligatorischen Staatsreligion erklärte), in der Praxis aber wurde das Heidentum jetzt einfach unter dem Deckmantel der entstehenden römisch-katholischen Kirche weiter praktiziert. So kam es zu einem Punkt, wo die mehrheitlich heidnischen Barbarenstämme in Tat und Wahrheit „christlicher“ waren als das offiziell christliche Römische Reich. Es war deshalb nur recht, wenn Gott sie mit militärischer Überlegenheit über das Römische Reich segnete.

In der offiziellen Kirchengeschichte liegt auch im 4. und 5.Jahrhundert der Schwerpunkt des Christentums immer noch im Römischen Reich. Es gibt aus dieser Zeit viel Literatur von bekannten römischen „Kirchenvätern“ und Theologen, während nur eine einzige germanische christliche Schrift bekannt ist (die gotische Bibelübersetzung von Wulfila). Widerspiegelt das aber den tatsächlichen Zustand des geistlichen Lebens? Ist theologische Gelehrsamkeit tatsächlich ein Beweis dafür, dass der Autor in einer christlich geprägten Kultur lebte? Oder könnte es sein, dass sich unter den heidnischen Barbarenstämmen mehr geistliches Leben, mehr Gehorsam Gott gegenüber, mehr echte Gottesfurcht fand als in Rom? – Wahrscheinlich nicht unter den einflussreichen Anführern und Kriegern; aber vielleicht unter dem einfachen Volk, das der Geschichtsschreibung unbekannt blieb?

Ich kann diese Fragen nicht mit Sicherheit beantworten. Aber die Parallele zum gegenwärtigen Verhältnis zwischen der westlichen Welt und China drängt sich geradezu auf. Noch immer nennt sich die Mehrheit der Westeuropäer „Christen“ – vielleicht nicht gerade „wiedergeboren“, aber immerhin „Christen“, Kirchenmitglieder. Und die grosse Mehrzahl christlicher Bücher wird weiterhin in Europa und den USA produziert. Gemäss offiziellen Kirchenstatistiken ist Europa immer noch einer der „christlichsten“ Kontinente der Welt. Dies im unübersehbaren Kontrast zum Blickwinkel von eher biblisch ausgerichteten Christen: Bereits vor einem Jahrzehnt vermerkten Missionsstatistiken, Europa sei der am wenigsten evangelisierte Kontinent der Erde, mit nur gerade 2,4% Einwohnern (nein, das Komma ist kein Tippfehler), die nach evangelikalen Massstäben als Christen bezeichnet werden können. (Die gegenwärtige Zahl dürfte noch um einiges tiefer liegen.) Und was das geistliche Leben betrifft – nicht nur die Grosskirchen, sondern inzwischen auch die Freikirchen haben die biblischen Wahrheiten derart demontiert, dass so gut wie nichts davon übriggeblieben ist. Soweit ich es beobachten kann, befinden sich die evangelikalen Freikirchen heute etwa auf demselben geistlichen Niveau wie die grossen Landeskirchen vor 30 bis 40 Jahren. Das Christentum wird zwar noch bekannt, aber nicht mehr gelebt.

China hingegen ist weiterhin ein offiziell atheistisches Land. Das Christentum und andere Religionen werden zwar geduldet, solange sie sich der staatlichen Aufsicht (mit den entsprechenden Beschränkungen) unterwerfen und nichts tun oder lehren, was im Widerspruch zur Staatsdoktrin steht. Echte Religionsfreiheit besteht jedoch nicht, und eine grosse Zahl von Leitern inoffizieller Kirchen befinden sich ihres Glaubens wegen im Gefängnis.
Trotzdem (oder gerade deswegen?) erlebt China eine der langandauerndsten und intensivsten geistlichen Erweckungen der Gegenwart. Die Anzahl der Christen hat während der letzten vierzig Jahre ständig zugenommen. Da sich viele von ihnen im Untergrund befinden, sind keine genauen Zahlen bekannt; ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung dürfte aber um die 10% betragen. Und ihre Hingabe an Jesus, ihre Konsequenz und ihre Leidensbereitschaft übertrifft westliche Christen bei weitem.

Der Untergrundkirchenleiter „Bruder Yun“, der selber in chinesischen Gefängnissen aufs Schrecklichste gefoltert wurde, macht in seinem Buch „Heavenly Man“ eine erstaunliche Aussage:

„Wir haben auch verstanden, dass die letzten dreissig Jahre des Leidens, der Folter und Verfolgung der chinesischen Hauskirchen zur Ausbildung Gottes für uns gehörten. Der Herr hat uns entsprechend vorbereitet, um Missionare in der moslemischen, buddhistischen und hinduistischen Welt zu sein.
Einmal sprach ich an einem Ort im Westen, und ein christlicher Bruder sagte zu mir: ‚Schon viele Jahre bete ich, dass die kommunistische Regierung in China gestürzt werde, damit die Christen in Freiheit leben können.‘ Das ist nicht die Art, wie wir beten! Wir beten nie gegen unsere Regierung, und wir bitten erst recht nicht, dass Flüche über sie fallen. Im Gegenteil, wir haben gelernt, dass Gott die Kontrolle hat über unser Leben und über die Regierung, unter der wir leben. Wie Jesaja über Jesus prophezeite: ‚Die Herrschaft wird auf seinen Schultern ruhen.‘ (Jesaja 9,6). Gott hat die chinesische Regierung zu seinen Zwecken gebraucht, indem er seine Kinder so geformt hat, wie es am besten war. (…) Betet nicht dafür, dass die Verfolgung aufhöre! Wir sollten nicht um eine leichtere Last bitten, sondern um einen stärkeren Rücken, um die Last zu tragen. Dann wird die Welt sehen, dass Gott mit uns ist, und uns stärkt zu einem Leben, das seine Liebe und seine Macht widerspiegelt. Das ist die wahre Freiheit!“

Die Kulturrevolution hat China vom Ausland abgeschnitten. Das hatte für die chinesische Kirche die positive Auswirkung, dass sie lange Zeit unberührt blieb von dem beispiellosen moralischen und geistlichen Zerfall der westlichen Kirchen während der vergangenen Jahrzehnte, und auch von den fruchtlosen theologischen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Denominationen. So ist der grösste Teil der chinesischen Kirche zu einer Gemeindeform zurückgekehrt, die näher am Neuen Testament liegt als die allermeisten Kirchen der westlichen Welt. Was das geistliche Leben betrifft, so ist China heute wahrscheinlich eines der christlichsten Länder der Erde.

Das muss zwangsläufig Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Nicht nur indirekt in der Form eines vielleicht nicht ganz konkret zu fassenden „Segens“, sondern ganz direkt durch das bewusste Praktizieren eines christlichen Lebensstils in der Wirtschaft, wie letztes Jahr über eine christliche Unternehmerkonferenz in China berichtet wurde:

„(…) Durch das rasante Wachstum des Christentums im bevölkerungsreichsten Land der Welt gibt es inzwischen Firmen mit mehreren tausend Mitarbeitern, die von Christen nach biblischen Prinzipien geleitet werden.
(…) ist in der 8-Millionen-Einwohner-Stadt Shenyang nahe der nordkoreanischen Grenze bereits eine Akademie für christliche Führungskräfte im Bau. In den Gebäuden auf dem 230 Hektar grossen Gelände sollen Christen lernen, wie sie chinesische Firmen und Abteilungen erfolgreich führen und gleichzeitig christliche Werte leben und weitergeben können. Die christlichen Unternehmer fördern Integrität und Gerechtigkeit in der von Turbokapitalismus geprägten chinesischen Wirtschaft. In China beschäftigen christliche Unternehmer schon heute zahlreiche Firmenseelsorger, die sich ausschliesslich um das geistliche Wohl der Mitarbeiter kümmern.“
(„Zeltmacher-Nachrichten“, http://zeltmacher-nachrichten.eu, 6.Oktober 2011)

Ich würde annehmen, dass selbst die „evangelikale Hochburg“ USA noch weit zurückbleibt hinter dem hier gezeichneten Bild. Wundern wir uns also nicht, wenn Gott China segnet. Und wer weiss, vielleicht muss sich Europa bald von China auch punkto Menschenrechte zurechtweisen lassen.

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