Der Reformator Martin Luther – Teil 7 – Die Extremisten; Die Reformation siegt politisch

Die Extremisten

Während der Abwesenheit Luthers ging die Reformation in vielen Teilen Deutschlands weiter. Aber an einigen Orten fielen ihre Leiter in Extreme. Eine Gruppe, die sich die „Zwickauer Propheten“ nannten, erklärte, da sie direkte Offenbarungen von Gott bekämen, sei die Bibel nicht mehr nötig. (Entgegen 1.Kor.14,29 und 1.Thess.5,20-21, wonach jede Prophetie oder Offenbarung geprüft werden soll.)
Unter ihrem Einfluss kam es an verschiedenen Orten zu Gewalt gegen Priester und Mönche. Es entstand eine derartige Unordnung, dass Luther sich gezwungen fühlte, unter Lebensgefahr sein Versteck zu verlassen und die Dinge in Ordnung zu bringen.
Eine „Offenbarung“ dieser Propheten besagte, das Volk solle sich in Waffen gegen die Führer der Kirche und des Staates erheben. In verschiedenen Landesteilen waren die Bauern sehr unzufrieden und dachten bereits an eine Revolution. Mit diesen „Offenbarungen“ sahen sie sich in ihrem Vorhaben bestärkt, und es brach ein zweijähriger Bürgerkrieg aus.

Durch diese Vorgänge geriet die Reformation in Verruf, obwohl Luther selbst nie von einer politischen Revolution gesprochen hatte. Doch es ist gesagt worden: „Wenn der Teufel eine Erweckung nicht aufhalten kann, dann versucht er sie in Verruf zu bringen, indem er sie in Extreme führt.“
Diese Gefahr besteht normalerweise nicht am Anfang einer Erweckung, sondern wenn sie bereits fortgeschritten ist. In dem Mass wie die Erneuerungsbewegung an Boden gewinnt, schliessen sich ihr Leute an, die nicht mehr dieselben reinen Absichten haben wie die anfänglichen Erneuerer. Das ist eine grosse Herausforderung an die Pioniere und Leiter: Einerseits müssen sie die biblische Wahrheit standhaft und radikal verkünden und gegen alle Traditionen verteidigen. Aber andererseits müssen sie jene Extreme zurückbinden, die über das Wort Gottes hinausgehen. Das ist ein Krieg zwischen zwei Fronten: die Traditionalisten auf der einen Seite und die Extremisten auf der anderen Seite.
Wenn das geschieht, wird die Erweckung manchmal auch von wohlmeinenden Beobachtern abgelehnt, wegen der Exzesse, die sie beobachten. Aber wir müssen immer unterscheiden zwischen dem eigentlichen Wesen der Erweckung, und ihren Exzessen und Extremen. Die Exzesse sind kein Grund, die ganze Erweckung als solche abzulehnen.

Die Reformation siegt politisch

Luther ging mit diesen Schwierigkeiten nicht auf die bestmögliche Weise um; er liess sich öfter zu sehr einseitigen und verletzenden Stellungnahmen hinreissen. Er erreichte aber, dass die Reformation fortschritt, bis die Mehrheit Deutschlands auf ihrer Seite stand. In der Lehre und Struktur der Kirche wurden viele Änderungen vorgenommen – eine grosse und schwierige Aufgabe. Das alles, während Luther immer noch in Acht und Bann stand, und seine Feinde versuchten, das Wormser Edikt zu erfüllen, wonach er getötet werden sollte. Ausserdem musste Luther feststellen, dass die meisten Leute trotz ihrer Sympathie für die Reformation noch keine echten Christen waren.
Der Reichstag von Speyer (1526) beschloss, das Wormser Edikt nicht anzuwenden und Luther zu schützen. Ausserdem wurde beschlossen, jeder Landesfürst sei frei, über die Konfession seines Landes zu entscheiden. Viele Länder wurden reformiert. (Man beachte aber, dass diese Freiheit nur für die Fürsten galt. Die übrige Bevölkerung musste sich dann der Entscheidung des Fürsten unterwerfen.)
Aber unter dem Einfluss der Katholiken versuchte der zweite Reichstag von Speyer (1529) die Beschlüsse von 1526 zu annullieren. Daraufhin legten die Reformierten einen formellen „Protest“ vor und erklärten, die Beschlüsse eines Reichstags könnten nur mit Einstimmigkeit aller Länder annulliert werden. Seither wurden die Reformierten auch „Protestanten“ genannt.
Während vieler Jahre breitete sich die Reformation inmitten politischer Konflikte aus. Im Schmalkaldischen Krieg (1547-1552) griff der Kaiser die reformierten Länder an; aber die Reformierten siegten, und 1555 wurden sie schliesslich vom Kaiser anerkannt.

Es mag ein schockierender Gedanke sein, eine Erweckung könne zu kirchlichen und sogar politischen Auseinandersetzungen führen. Aber die Welt (auch die Welt innerhalb der Kirche) „liegt in der Gewalt des Bösen“ (1.Joh.5,19) und hasst das Licht Jesu (Joh.3,19-20). Deshalb muss jeder, auch der Friedfertigste, der dieses Licht auf den Leuchter stellt, mit gewalttätigem Widerstand der Welt rechnen. Ausserdem wird der Feind jeder Erweckung alle möglichen Störmanöver – inbegriffen politische – durchführen. Auch diese Tatsache sollten wir im Auge behalten, wenn wir Erweckung wünschen. Eine Erweckung ist ein Einbruch der Wahrheit Gottes in diese finstere Welt und bringt deshalb notwendigerweise diese Welt durcheinander. Im Alten Testament hat Gott zweimal sein Volk Israel aus der Gewalt eines heidnischen Volkes befreit (aus Ägypten und aus Babylon), was beide Male von heftigen politischen und sogar kriegerischen Konflikten begleitet war. Im Neuen Testament lesen wir, wie mehrmals ganze Städte aufgrund der Anwesenheit des Apostels Paulus in Aufruhr gerieten.
Denken wir aber daran, dass solcher scheinbar politischer Widerstand in Wirklichkeit geistliche Hintergründe hat. Versuchen wir also nicht unsererseits mit politischen Mitteln dagegen zu kämpfen. Unsere Waffen sind geistlich.

Inmitten der ersten Auseinandersetzungen um das Überleben der Reformation „kämpfte“ Luther vor allem im Gebet. Während des Augsburger Reichstags (1530) wurde über die Anerkennung der Reformierten verhandelt. Luther selber konnte daran nicht teilnehmen, weil der Kaiser ihm nicht wohlgesinnt war und sein Leben immer noch in Gefahr war. Er blieb in einer Zufluchtsburg, wo er während der ganzen Dauer des Reichstags betete, oft mit Fasten, während die reformierten Delegierten ihm die aktuellen Nachrichten zukommen liessen.
Bei einer anderen Gelegenheit soll Luther gesagt haben: „Heute habe ich so viel Arbeit, dass ich zuerst einmal drei Stunden beten muss.“ – Freunde Luthers sagten, dass er jeden Tag drei Stunden betete. Während er sich an seine Mönchsgelübde gebunden fühlte, waren das vor allem die vorgeschriebenen liturgischen Gebete. Später begann er sich mehr und mehr Zeit zu nehmen für das persönliche Gespräch mit Gott.

Leider ist Luther nicht konsequent bei diesem „geistlichen Kampf“ geblieben, sondern hat in anderen Auseinandersetzungen selber auch zu politischen Machtmitteln gegriffen. Im Bauernkrieg z.B. begann er plötzlich aufs schärfste gegen die Bauern zu schreiben und zu ihrer Vernichtung aufzurufen. Möglich, dass es eine zu grosse Versuchung für ihn war, als die Reformation obsiegte und er plötzlich zu einem der einflussreichsten Männer Deutschlands geworden war. Möglich auch, dass sein impulsives Temperament ihn zu einem unkontrollierten Zorn hinriss, als sein Name und seine Worte für eine Sache in Anspruch genommen wurden, die er weder gewollt noch vorausgesehen hatte.
So wie – nach den Worten Tertullians – „das Blut der Märtyrer der Same der Kirche ist“, so ist allzu oft die weltliche Macht und das öffentliche Ansehen ihr Verderben gewesen. Wie schon zu Konstantins Zeiten der politische Sieg des Christentums seine geistliche Niederlage war, so wiederholte sich leider ein ähnliches Muster auch in der Reformationszeit.

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