Über die bibelkritische Theologie und die Situation in Lateinamerika

Vorbemerkung: Der folgende Artikel beruht auf einer längeren Schrift, die ich ca. 2004 in Perú zu verteilen begann aus Besorgnis über das Vordringen der Bibelkritik in evangelikalen Gemeinden und Bibelschulen. Wie stark der Einfluss der Bibelkritik hier ist, wurde mir aber erst klar, als mir mehrere regionale Leiter die Verbreitung dieser Schrift in den ihnen unterstellten Gemeinden verboten. Diese Artikelserie erscheint deshalb in der Kategorie „Zensurierte Artikel.“

Die Gedanken der Bibelkritik selber sind ja in Europa nicht neu. Ich habe deshalb die diesbezüglichen Erläuterungen gegenüber dem Original ziemlich stark gekürzt. Eher neu ist hingegen, dass diese Theologie auch in evangelikalen und offiziell „bibeltreuen“ Gemeinden gelehrt wird, und z.T. sogar als die einzig richtige Theologie bezeichnet wird. In Perú (und überhaupt in Lateinamerika) stellen die meisten evangelischen Kirchen in ihrem offiziellen Glaubensbekenntnis deutlich fest, dass die Bibel Gottes inspiriertes und irrtumsfreies Wort ist. Ihre Praxis unterscheidet sich davon aber sehr, wie Beispiel zeigt. Ich frage mich, was Gott ein grösseres Ärgernis ist: eine europäische Landeskirche, deren Theologen ganz offiziell sagen, die Bibel sei nicht so ernst (und schon gar nicht wörtlich) zu nehmen, oder eine sich bibeltreu nennende Freikirche, die unter dem Etikett „gesunde biblische Lehre“ verdeckt Bibelkritik lehrt?


Haben Sie sich schon einmal gefragt, was die angehenden Pfarrer und Theologen in ihren Bibelschulen und Seminaren lernen? Sicher lernen sie tiefe Geheimnisse der Bibel, in die kein gewöhlicher Sterblicher eindringen kann?
In Wahrheit lernen die Schüler vieler Bibelschulen und Seminare, die Bibel nach einer Methode auszulegen, die sich “Bibelkritik” nennt, oder auch “Liberale Theologie”, “Moderne Theologie”, “Historisch-kritische Methode”, “Wissenschaftliche Theologie”, “Bibelwissenschaften”, und andere Namen. Aber wie auch immer die Methode sich nennen mag, in Wirklichkeit ist sie unvereinbar mit dem Glauben Jesu und der Apostel.

Ein unangebrachtes Vorgehen

Diese kritische Theologie unternimmt grosse Anstrengungen, um zu zeigen, dass die Bibel (angeblich) viele Irrtümer und Widersprüche enthalte; dass die biblischen Autoren nicht wirklich das sagen wollten, was sie sagen; und dass sie nicht von Gott inspiriert waren. Wer noch glaubt, dass die Bibel irrtumslos von Gott inspiriert wurde, wird von diesen Theologen als “unwissenschaftlicher Fundamentalist” abgestempelt, und damit nicht ernstgenommen.
Wenn jemand von dieser Theologie beeinflusst wird, verliert er allmählich das Vertrauen auf das Wort Gottes. Als Methode gilt der Zweifel: Es muss zum voraus angenommen werden, die Bibel sei ein rein menschliches und fehlerhaftes Buch.
Gott sagt uns dagegen, dass die einzig angebrachte Weise, uns ihm zu nähern, darin besteht, dass wir bereit sind, seinen Willen zu tun (Joh.7,17) und zu vertrauen (Hebr.11,6). Die einzige Art und Weise, Gottes Gedanken kennenzulernen, besteht darin, sein offenbartes Wort anzunehmen (Jesaja 55,6-11). Wer das Vertrauen auf das Wort Gottes verwirft, verwirft das einzige existierende Instrument, um dieses Wort zu verstehen.

Vorerst nur ein kleines Beispiel: Eine Einleitung zum Alten Testament sagt:

“(Das Volk Israel) bestand aus verschiedenen Stämmen, die sich nicht vereinigten, bis David einen monarchischen Staat errichtete mit Jerusalem als Hauptstadt. Die historischen Quellen zu jener Epoche sind sehr fragmentarisch, weshalb wir den Ursprung des hebräischen Volkes im Detail nicht kennen.” (Studienbibel “Dios habla hoy”)

“Die historischen Quellen … sind sehr fragmentarisch” – dann wäre die Bibel also keine historische Quelle? – Nach der Bibel waren die zwölf Stämme Israels vereint seit der Zeit Moses, lange vor David. Aber die kritische Theologie nimmt die historischen Angaben der Bibel nicht ernst und schreibt die ganze Geschichte Israels um.

Der Einfluss der kritischen Theologie

– in den theologischen Seminarien:
Die Mehrheit der “akademischen Theologen” betrachtet die kritische Theologie als die einzig wahre Theologie. An den meisten theologischen Fakultäten ist es fast unmöglich, einen Abschluss zu erhalten für jemanden, der darauf besteht, dass die Bibel Gottes inspiriertes Wort ist. Deshalb: je höher der akademische Grad eines Theologen, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen kritischen Theologen handelt.

– im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK):
Der ÖRK (auch „Weltrat der Kirchen“ genannt) hat die “historisch-kritische Methode” zu seiner offiziellen Theologie erklärt. Die meisten Leiter der ÖRK-Mitgliedskirchen fördern deshalb diese Theologie und unterdrücken andere Theologien.

– in den Bibelgesellschaften:
Die Vereinigten Bibelgesellschaften (United Bible Societies, UBS) sind ebenfalls mit dem ÖRK verbunden, und verbreiten die kritische Theologie. Die vorliegende Untersuchung beruht weitgehend auf in Lateinamerika verbreiteten Veröffentlichungen der UBS.

– in der katholischen Kirche:
Interessanterweise wurde die kritische Theologie, als sie im 19.Jh. auftauchte, vom Papst verurteilt. Aber anfangs des 20.Jh. gab es einem Umschwung, und heute arbeiten auch die meisten katholischen Theologen nach der “historisch-kritischen Methode”.

– im gefallenen Verstand des Menschen:
Den stärksten Einfluss der Bibelkritik müssen wir aber nicht in irgendeiner Organisation suchen, sondern in unserem eigenen Verstand. Von Natur aus sagt unser Verstand: “Ich kann die Wahrheit selber herausfinden, ich bin nicht sündig, ich brauche keine göttliche Offenbarung.” Dieser Stolz ist seit dem Sündenfall im Menschen drin. Der natürliche Mensch kann die geistlichen Dinge nicht erkennen (1.Kor.2,14), aber er glaubt alles zu wissen. Das ist genau die “historisch-kritische Methode”: eine Untersuchung der Bibel mit unserem natürlichen Verstand, als ob es keine göttliche Offenbarung gäbe.
So entwickelt sich ein Teufelskreis: Der Mensch handelt gegen Gottes Willen. Dann findet er in der Bibelkritik einen willkommenen Vorwand dafür: “Das ist sowieso nicht Gottes Wort; ich brauche das nicht ernstzunehmen.” So wendet er die kritischen Methoden an, was wiederum neuen Ungehorsam gegen Gottes Willen produziert.
Die Bibelkritik ist nicht aus wissenschaftlichen Gründen so weit verbreitet. Der wahre Grund ist, dass der Mensch einen Vorwand sucht, um in der Sünde zu verbleiben.
Auch wenn jemand sich zu Jesus bekehrt, wird der Verstand nicht plötzlich verändert. Wir müssen bewusste Anstrengungen unternehmen, um von unserem intellektuellen Stolz umzukehren und Gottes Offenbarung anzuerkennen. Auch ein Christ muss ständig sein Denken erneuern (Römer 12,2), sonst wird er zu einer leichten Beute für die Bibelkritik.
Deshalb handelt es sich in erster Linie um einen geistlichen Kampf (2.Kor.10,3-5). Wir müssen unsere Gedanken “gefangennehmen unter die Wahrheit Christi”.

Vorsicht vor den “Experten”!

Ich höre häufiger als früher christliche Leiter sagen: “Die Experten sagen…”, “Die Theologen sagen…” – Und fast immer ist es eine falsche Lehre, was die “Experten” sagen.
Zur Zeit der Reformation konnten die Christen zum wahren Evangelium zurückkehren, weil sie das Wort Gottes selber lesen konnten. So konnten sie die falschen Lehren der Kirche erkennen und widerlegen. Aber die heutigen Evangelischen scheinen diese Fähigkeit verloren zu haben. Statt selber zu erforschen, was das Wort Gottes wirklich sagt, folgen sie blindlings den “Experten”. Deshalb sind die evangelischen Gemeinden heute in eine Situation gekommen, die sehr der katholischen Kirche vor der Reformation ähnelt.

Ausgewählte Probleme der kritischen Theologie

Im folgenden werde ich einige Methoden und Theorien der Bibelkritik untersuchen. Die Beispiele entnehme ich zwei Werken, die von den UBS herausgegeben wurden:
Studienbibel “Dios habla hoy”, Kolumbien 1994 – Der Bibeltext ist die spanische Entsprechung zu “Die Gute Nachricht”; diese Studienbibel enthält ausführliche (bibelkritische) Einleitungen und Kommentare.
“Descubre la Biblia – Manual de Ciencias Bíblicas” (“Entdecke die Bibel – Handbuch der Bibelwissenschaften”, UBS, Kolumbien 1998)

Beide Bücher erwecken den Anschein, die göttliche Inspiration der Bibel zu befürworten, während sie in Wirklichkeit eine Indoktrination in Bibelkritik sind. Beide wurden mit grossem Werbeaufwand, Spezialpreisen und begleitenden Seminaren (mit kritischen Theologen) weit verbreitet, insbesondere unter Pastoren und Bibelschülern.
Es ist besorgniserregend, dass die UBS in Lateinamerika praktisch ein Monopol über die Bibelverbreitung innehaben. Und noch besorgniserregender, dass die evangelischen Gemeinden den theologischen Hintergrund der UBS nicht erkennen (welcher dem Glaubensbekenntnis fast aller lateinamerikanischen Gemeinden direkt widerspricht).

Zweifel über die biblischen Autoren

“Keines der vier Evangelien nennt den Namen des Autors. Ihre Zuschreibung zu den vier ‚Evangelisten‘ ist ziemlich viel später als die eigentlichen Evangelien, und kommt aus einer mündlichen Tradition, von der wir ab dem 3.Jh. schriftliche Zeugnisse haben.” (“Entdecke die Bibel”, S.176 Fussnote)
“Wahrscheinlich im 2.Jh. wurde es üblich, in die Abschriften der Evangelien die Titel ‚Nach Matthäus‘ (usw.) einzufügen. … Wir haben keine Information darüber, wie es zu dieser Identifikation kam.” (Studienbibel “Dios habla hoy”, S.1458)

Diese Äusserungen sind ziemlich merkwürdig, wenn wir in Betracht ziehen, dass keine einzige Evangelienhandschrift existiert, in welcher die Titel (“Nach Matthäus” usw.) fehlen würden (mit Ausnahme der unvollständigen Fragmente, in welchen der Anfang überhaupt fehlt.) Hier sehen wir, dass die “wissenschaftliche Theologie” in Wirklichkeit gar nicht wissenschaftlich ist: sie verbreitet Hypothesen, die mit keinem real vorhandenen Dokument belegt werden können. Die alten Handschriften legen vielmehr nahe, dass die Titel von Anfang an integraler Bestandteil der Evangelien waren.
Welche Absicht liegt dahinter, Zweifel zu säen über die Identität der biblischen Autoren? – Die Bücher des Neuen Testaments wurden hauptsächlich auf der Grundlage anerkannt, dass sie von einem Apostel geschrieben wurden, oder von einem unmittelbaren Aposteljünger unter Aufsicht eines Apostels. Die Urgemeinde zweifelte nie an der Identität der Autoren. Aber als im 19.Jh. die Bibelkritik aufkam, wurde vor allem die körperliche Auferstehung Jesu kritisiert. Die Auferstehung ist der klarste “Echtheitsbeweis” des christlichen Glaubens. Wenn jemand den christlichen Glauben angreifen wollte, musste er zuerst die Auferstehung leugnen. Könnte man “beweisen”, dass die Autoren der Evangelien keine Augenzeugen der Auferstehung waren, dann könnte man die Auferstehung als reine Erfindung der Urgemeinde abtun. Das ist das eigentliche Motiv hinter dieser Theorie.

Hier sagt einer der berühmtesten kritischen Theologen, was er wirklich glaubt:

“Das Osterereignis als die Auferstehung Christi ist kein historisches Ereignis; als historisches Ereignis ist nur der Osterglaube der ersten Jünger fassbar…”
(Rudolf Bultmann, 1941)

(NB: Zitate deutschsprachiger Autoren sind z.T. aus dem Spanischen rückübersetzt und können deshalb leicht vom originalen Wortlaut abweichen.)

In den Büchern der Bibelgesellschaften haben wir noch keine solchen Zitate – der Abfall vom Glauben wäre zu offensichtlich. Aber im Grunde haben die Theologen der Bibelgesellschaften die gleiche Theologie wie Bultmann.

Hier noch zwei Argumente gegen die Kritik der Evangelien:
– Joh.21,24 sagt eindeutig, dass der Autor ein Jünger Jesu und Augenzeuge der berichteten Ereignisse war.
– Paulus erwähnt in 1.Kor.15,6 mehr als 500 Augenzeugen der Auferstehung, “von denen viele noch leben”. (Auch die kritischen Theologen können nicht abstreiten, dass 1.Kor. weniger als 30 Jahre nach der Auferstehung Jesu geschrieben wurde.) Wenn dies eine Lüge oder Erfindung wäre, dann hätte jeder Feind des Christentums den Betrug sofort aufdecken können, indem er zeigte, dass diese Augenzeugen nicht existierten. Dann hätte sich die christliche Gemeinde aufgelöst, denn Paulus selber sagte: “Wenn Christus nicht auferstanden ist, … dann ist euer Glaube vergeblich” (1.Kor.15,14).

Die Suche nach Widersprüchen und die Annahme von verschiedenen “Quellen”

“In 2.Mose 3,1-15 verbinden sich zwei theologisch-literarische Traditionen, die aus zwei verschiedenen Zeiten und Orten stammen. Nur so erklärt sich, warum in einem Abschnitt, der die Offenbarung des Namens Yavé als eine Neuheit erzählt (2.Mose 3,11-15), Passagen vorkommen (2.Mose 3,2.4.7), wo dieser Name als Allgemeingut gebraucht wird. Dies lässt uns denken, dass in 2.Mose 3,1-15 eine Tradition erscheint, die den Namen Yavé schon länger gebrauchte, zusammen mit einer anderen, die diesen Namen hier zum ersten Mal einführt.”
(“Entdecke die Bibel”, S.198)

Dies ist ein Beispiel, wie die kritischen Theologen Widersprüche suchen, um die Autorschaft Moses abzustreiten. Der Name “Yavé” war schon zur Zeit Adams bekannt (1.Mose 4,26). In 2.Mose 3 steht nirgendwo, der Name Gottes sei eine “Neuheit”. Aber Mose kannte Gott noch nicht persönlich; er brauchte eine Offenbarung, wer Gott wirklich war. Wir können dies mit der Erfahrung Saulus‘ auf dem Weg nach Damaskus vergleichen: “Wer bist du, Herr? – Und er antwortete: Ich bin Jesus, den du verfolgst…” (Apg.9,5) Hier argumentiert auch niemand, der Name “Jesus” werde als “Neuheit” eingeführt!

“Viele Bibelforscher identifizieren drei theologisch-literarische Traditionen, die in 1. bis 4.Mose miteinander verwoben sind. Diese Traditionen wurden J (Jahwist), E (Elohist) und P (Priesterschrift) genannt. … Vor seiner Endredaktion war der Pentateuch (die 5 Bücher Mose, Üs.) in Traditionen aufgeteilt, welche das Volk begleiteten auf seinem Weg durch die verschiedenen historischen Momente … J ist vor allem mit Juda verbunden, und gehört in die Zeit des vereinten Königreichs (10.Jh.v.Chr.). E ist mit dem Nordreich verbunden und stammt aus der Zeit der Reichsteilung (9.-8.Jh.v.Chr.). P ist mit Jerusalem verbunden, als die Nation nicht mehr existierte (nach dem Exil).”
(“Entdecke die Bibel”, S.198-199 Fussnote)

Hier haben wir die kritische Theorie über die angeblichen Autoren der Bücher Mose. Nach dem Exil, als der letzte der hypothetischen Autoren lebte, wären wir etwa 900 Jahre nach Mose! (Wir werden später sehen, warum die kritischen Theologen daran interessiert sind, die biblischen Bücher möglichst spät zu datieren.)
Auch diese Theorie lässt sich mit keinem schriftlichen Dokument belegen. Wenn z.B. die “Tradition J” 500 Jahre lang als eigenständige Tradition existiert hätte, dann müssten doch Handschriften existieren, die nur diese Tradition enthalten. Aber alle Handschriften enthalten die 5 Bücher Mose in der Form, die wir heute kennen.
Ausserdem (was der Autor der Bibelgesellschaft uns nicht sagt), sind die kritischen Theologen weit davon entfernt, miteinander übereinzustimmen über den Ursprung einer gegebenen Bibelstelle in “J”, “E” oder “P”; oder auch nur über die genaue Anzahl der “Traditionen”.
Und noch etwas sagt uns der Autor nicht: Es ist schlicht unmöglich, die Bücher Mose so auf die drei oder mehr angenommenen “Traditionen” aufzuteilen, dass jeder Teil für sich Sinn machen würde. Um ihre Theorie aufrechtzuerhalten, müssen die Theologen annehmen, die Orignal-”Traditionen” seien ständig verändert worden, Teile seien weggelassen und andere hinzugefügt worden, ganze Abschnitte seien vollständig umgeschrieben worden gemäss der theologischen Tendenz des jeweiligen “Redaktors”, usw. – kurz, das Ganze seien menschliche Erfindungen und Legenden, aber keine historischen Ereignisse und erst recht nicht Offenbarung Gottes.

“Die Pastoralbriefe (1./2.Timotheus, Titus – Üs.), im Vergleich zu den anderen Paulusbriefen, zeigen verschiedene Besonderheiten. Die Sprache dieser Briefe ist ziemlich anders. Es erscheinen Ausdrücke, die in den anderen Briefen nicht vorkommen; und andere, die typisch sind für Paulus, kommen hier nicht vor. Auch im Inhalt gibt es auffallende Unterschiede … Viele denken, dass die Pastoralbriefe in eine Situation nach dem Tod des Paulus gehören, und von einem Paulusjünger geschrieben wurden.”
(Studienbibel “Dios habla hoy”, S.1805)

Wenn wir im Bibeltext Unterschiede oder unterschiedliche Standpunkte finden, dann gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

1. Wir nehmen eine Haltung des Zweifels und der Kritik ein, und nehmen zum voraus an, die Bibel enthalte Fehler.
– Dies tut der Autor des obigen Kommentars. Er hebt die Unterschiede hervor und schreibt sie unterschiedlichen menschlichen Tendenzen zu, welche die ursprüngliche Botschaft oder die ursprünglichen Tatsachen abgeändert hätten. Wer sagt, gewisse Ausdrücke seien “nicht typisch für Paulus”, der nimmt zum voraus an, was er beweisen will. Um festzustellen, welches die “typischen Ausdrücke” Paulus‘ sind, müsste man die Gesamtheit seiner Werke in Betracht ziehen, statt zum voraus anzunehmen, gewisse Briefe seien nicht von ihm.

2. Wir anerkennen, dass wir nicht alles wissen, weil wir nicht die vollständige Information über die Situation haben; aber wir vertrauen, dass der Heilige Geist die biblischen Schreiber inspiriert hat, und dass es deshalb keinen Irrtum gab.
– Dann werden wir einen Weg suchen und finden, wie die Unterschiede erklärt werden können als verschiedene Aspekte derselben Wahrheit.
Wir werden dann verstehen, dass der Stil und Wortschatz der Pastoralbriefe anders ist, weil Paulus sie in einer anderen Situation schrieb (gegen Ende seines Lebens), an andere Empfänger (Leiter, nicht die Gemeinde insgesamt), und zu anderen Themen (die Leitung der Gemeinde). Paulus war keine “Maschine”, die mechanisch immer dieselben Ausdrücke verwenden müsste.
Würden wir die kritische Methode auf moderne Literatur anwenden, dann kämen wir zum Schluss, “Narnia” und “Pardon, ich bin Christ” könnten keineswegs vom selben Autor geschrieben worden sein. Wortschatz und Stil der beiden Werke sind völlig unterschiedlich. “Narnia” ist ein Fantasieroman für Kinder, in welchem christliche Ideen und heidnische Mythologie nebeneinander vorkommen. “Pardon, ich bin Christ” ist eine intellektuelle Verteidigung des Christentums. Aber in Wirklichkeit wurden beide Bücher von C.S.Lewis geschrieben.

Annahme des Gebrauchs von Pseudonymen

“Manchmal schrieb ein uns unbekannter Autor unter dem Namen einer Person von anerkannter Autorität, um die von jener Person ausgedrückten Ideen schriftlich zu sammeln, oder sie zu interpretieren … Es war sogar üblich, dies auch nach dem Tod des angenommenen Autors zu tun.” (Studienbibel “Dios habla hoy”, S.1698)
(Kritische Theologen nehmen dies an z.B. im Fall der Pastoralbriefe, und 2.Petrus.)

– Es ist wahr, dass diese Praktik im Heidentum vorkam (z.B. griechische Philosophen). Aber das Volk Israel und die christliche Gemeinde leben unter dem Gebot: “Du sollst nicht falsch Zeugnis geben.” Aus der frühen Kirche ist der Fall eines Ältesten bekannt, der einen Brief unter dem Namen des Apostels Paulus schrieb. Als dies ans Licht kam, wurde der besagte Älteste seines Amtes enthoben. Dies zeigt klar, dass die christliche Gemeinde den Gebrauch solcher “Pseudonyme” nicht erlaubte.

Sind diese Fragen wichtig?

Die Kommentaristen der “Studienbibel”versichern, dass solche Theorien in keiner Weise unseren Glauben beeinträchtigen. Der Autor des obigen Kommentars beruhigt uns sogleich:

“Diese Tatsache vermindert weder die Autorität noch den religiösen Wert dieser Schriften.”

Aber: Kann ich noch auf die Bibel als Wort Gottes vertrauen, wenn ich annehme, dass einige ihrer Autoren uns einen falschen Namen angaben? Kann ich auf die Bibel vertrauen, wenn ich annehme, dass einige ihrer Bücher aus verschiedenen Werken mit verschiedenen theologischen Tendenzen zusammengefügt wurden? – Viele Evangelische sagen ja; aber sehen wir, was die Konsequenzen sind.
Es geht hier nicht nur um so oberflächliche Dinge wie den Namen eines Autors. Es geht um grundsätzliche Unterschiede im Glaubenssystem dieser Theologie. Wenn wir die Schlussfolgerungen akzeptieren (Pseudonimie, usw.), dann werden wir allmählich auch die Denkvoraussetzungen annehmen, die hinter diesen Schlussfolgerungen liegen.

Z.B: Wenn ich annehme, die Pastoralbriefe seien nicht von Paulus, dann muss ich auch annehmen, der unbekannte Autor hätte Einzelheiten aus dem Leben des Paulus dazu erfunden (1.Tim.1,3, 2.Tim.4,9-18). Ich müsste dann allgemein an der Wahrhaftigkeit und Integrität der ersten Jünger Jesu zweifeln. Ich käme dann zum Schluss, auch die Worte Jesu in den Evangelien seien vielleicht keine authentischen Worte Jesu. (Tatsächlich kommt die Bibelkritik zu diesem Schluss.) Aber wie könnte ich mein Leben auf Worte aufbauen, die von Lügnern erfunden wurden?
Die Interpretationen der kritische Theologie erscheinen dem natürlichen Menschenverstand plausibel, aber sie sind wie Angelhaken: sie sind an einer langen Schnur angebunden, die uns immer weiter von Gott wegzieht.

(Fortsetzung folgt)

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