Von der unbarmherzigen Gnade

Nein, der Titel ist kein Tippfehler. Ich werde das sogleich erklären.

Vor rund siebzig Jahren schrieb Dietrich Bonhoeffer über die „billige Gnade“, die in allzuvielen Kirchen verkündigt wird:

„Die billige Gnade ist der Todfeind unserer Kirche. Heute kämpfen wir um eine Gnade, die etwas kostet.
(…) Die Kirche, die die richtige Lehre von der Gnade hat, nimmt an, dass sie ipso facto an dieser Gnade teilhat. In einer solchen Kirche findet die Welt eine billige Bedeckung für ihre Sünden; es wird keine Reue verlangt, und noch weniger der wirkliche Wunsch, von der Sünde befreit zu werden. Damit wird die billige Gnade zu einer Verleugnung des lebendigen Wortes Gottes.
Billige Gnade bedeutet die Rechtfertigung der Sünde ohne die Rechtfertigung des Sünders. Die Gnade allein tut alles, sagen sie, und so kann alles bleiben wie zuvor. Die Welt fährt fort im selben alten Wandel, und wir sind noch Sünder, ‚auch im besten Leben‘, wie Luther sagte. Gut, dann möge der Christ leben wie die übrige Welt, möge sich in jedem Lebensbereich an die Massstäbe der Welt anpassen, und möge sich nicht anmassen, ein Leben unter der Gnade leben zu wollen, das sich von seinem alten Leben unter der Sünde unterscheidet.
(… Die echte Gnade) ist teuer, weil sie uns zur Nachfolge ruft; und sie ist Gnade, weil sie uns ruft, Jesus Christus zu folgen. Sie ist teuer, weil sie einen das Leben kostet; und sie ist Gnade, weil sie einem das einzig wahre Leben gibt. Sie ist teuer, weil sie die Sünde verurteilt; und sie ist Gnade, weil sie den Sünder rechtfertigt. Vor allem ist die Gnade teuer, weil sie Gott das Leben seines Sohnes kostete. ‚Denn ihr seid teuer erkauft worden‘; und was Gott teuer war, darf uns nicht billig sein.“
(Dietrich Bonhoeffer, „Nachfolge“, 1937)

(Anm: Das Zitat ist rückübersetzt aus einer spanischen Ausgabe und stimmt deshalb wahrscheinlich nicht wörtlich mit dem Original überein.)

Diese Worte sind heute noch genauso aktuell wie damals (wenn nicht noch mehr), und nicht nur in den bösen Landeskirchen, sondern genauso in den ebenso bösen Freikirchen. Zudem ist in den letzten Jahrzehnten noch eine weitere Nuance dazugekommen: Unter dem Einfluss der amerikanischen „Shepherding“-Bewegung, „Abdeckung-und-Unterordnungs“-Lehre, und verwandten Strömungen, ist die Art „Gnade“, die heute verkündet wird, nicht nur billig, sondern dazu auch noch unbarmherzig und grausam.

Bevor ich mehr dazu sage, möchte ich einige Abschnitte aus einer Artikelserie zitieren, die mir kürzlich über den Weg kam. Es handelt sich um das Zeugnis eines ehemaligen Insiders der amerikanischen „Prophetenbewegung“ und Mitarbeiters der „Elijah-List“ – eines e-Mail-Versands, der an Tausende von Empfängern jeweils die neusten „prophetischen Worte“ verbreitet und anscheinend auch in Europa wohlbekannt ist. Was ich da las, kam mir unangenehm vertraut vor aus meinen eigenen Erfahrungen in der evangelikalen Welt.

Es geht mir hier nicht einmal so sehr um die Besonderheiten dieser „Prophetenbewegung“. (Dazu wäre auch einiges zu sagen, aber nicht hier.) Es geht mir vielmehr um das falsche Verständnis von „Gnade“, das so ziemlich überall verbreitet ist, wie ich selber erfahren musste – sowohl in charismatischen wie in nicht-charismatischen Kreisen, sowohl in Südamerika wie in Europa.

Da schreibt also Kevin Kleint in http://www.zionfire.org/elijah-list-1/ :

„Nachdem am 11.September die Zwillingstürme fielen, nahmen die Besuche auf der Elijah-List-Webseite und die Einträge in die Liste dramatisch zu, und damit auch die Arbeitslast. Von da an musste ich während mehreren Jahren 24 Stunden am Tag abrufbar sein. Obwohl ich für meine Arbeit bezahlt wurde, waren die Forderungen von Steve (dem Gründer der Elijah-List) völlig unvernünftig. Wenn er anrief und ich liess nicht sofort alles stehen und liegen, was ich gerade tat, um sein Verlangen zu erfüllen, dann wusste ich bereits, dass ich am selben Tag ein e-Mail erhalten würde, das mich zutiefst schuldig fühlen liesse. Ich erinnere mich noch an einen Tag, als ich gerade meinen Hund badete und über und über mit Schmutz und Haaren bedeckt war, als er anrief und wollte, dass ich etwas an der Website überprüfte. Ich bat ihn, zehn Minuten zu warten, damit ich mich saubermachen konnte; aber er ärgerte sich, weil ich nicht sofort ’sprang‘.

Dieses Verhalten war ein ständiges Problem während der ganzen sieben Jahre, nicht nur für mich, sondern auch für andere Mitarbeiter der Elijah-List. Neben anderen Manipulationstechniken, wurde ich regelmässig ‚rebellisch‘ und ’nicht untergeordnet‘ genannt. Ich fand das sehr seltsam, denn alle meine früheren Arbeitgeber hatten mich sehr umgänglich und dienstbereit gefunden! Tatsächlich fragte mich mein Chef an meiner darauffolgenden Arbeitsstelle: ‚Wo ist dein Selbstvertrauen? Du sagst nie etwas, und du verhältst dich so, als hätte deine Meinung keinerlei Wert.‘ Ich musste von Grund auf neu lernen, zu einer Arbeitsdiskussion etwas beizutragen, weil das emotionelle und geistliche ‚Niedergeschlagenwerden‘ der vorangegangenen sieben Jahre bei der Elijah-List mich so demoralisiert und erbärmlich zurückgelassen hatte, dass ich kaum normal funktionieren konnte.

(…) Ob Sie es glauben oder nicht, ich habe nichts gegen Steve – ich habe ihm vergeben. Aber ich bin der Meinung, wenn jemand auf der Kanzel ‚Gnade und Barmherzigkeit‘ predigt und (nach seinen eigenen Worten) seinen ganzen Dienst darauf aufbaut, dann sollte er im ‚wirklichen Leben‘ demgemäss leben. Wenn jemand von der Kanzel herab von ‚Gnade und Barmherzigkeit‘ spricht, aber seinen Angestellten gegenüber rücksichtslos, quälerisch und herrschsüchtig ist, dann stinkt das nach Heuchelei und ist weit entfernt von Gnade.“

Was hier beschrieben ist, wird auch „geistlicher Missbrauch“ genannt. Diese Art von Missbrauch besteht darin, dass ein Leiter seine Untergebenen dahin manipuliert, zu tun was er will, indem er den Namen Gottes dafür in Anspruch nimmt: „Gott hat mir gezeigt, dass ….“; „Gott zu gehorchen bedeutet, seinem Leiter zu gehorchen“; usw. Das ist keineswegs eine harmlose Sache. Die derart Geschädigten brauchen viele Jahre, um sich von den dadurch verursachten Persönlichkeitsstörungen (z.B. wie oben beschrieben) zu erholen, und wieder Vertrauen zu Gott zu fassen. Viele wollen danach überhaupt nichts mehr mit dem christlichen Glauben zu tun haben.
Und tatsächlich, so unvorstellbar es auch scheint, rechtfertigen viele dieser Missbraucher ihr Verhalten mit Worten wie „Gnade“, „Liebe“, „Barmherzigkeit“! Sie selber sind „Gottes Stimme“ für dich, und du musst es als ein grosses Vorrecht ansehen, unter ihrer Leiterschaft arbeiten zu dürfen … sobald du aber auf etwas hinweist, was in ihrem eigenen Leben nicht stimmt, oder dich über die Missbräuche beklagst, dann zeigst du damit einen „Kritikgeist“, bist „lieblos“, „richtend“ und „unbarmherzig“ …

Lesen wir noch etwas weiter:

„Gleichzeitig mit den zunehmenden Kontakten und Einnahmen kam die Menschenfurcht – in epidemischen Ausmassen, und wie die Bibel sagt, war das eine Falle (Sprüche 29,25). Da man die Einnahmen nicht verlieren wollte, und ebensowenig die Gunst der Beitragsschreiber (die anderen „prophetischen“ Dienste) und des Publikums, gründeten sich die meisten Entscheidungen über Veröffentlichungen auf unsere Beziehung mit diesen Personen, und auf die öffentliche Wahrnehmung ihres Produktes … ob es sich gut verkaufen liess oder nicht.

Manchmal sandten uns diese Dienste Beiträge, die nicht unbedingt mit der Philosophie der Elijah-List im Einklang standen, ’nur aufbauende Worte‘ zu veröffentlichen. Da Steve nicht von dieser Philosophie abweichen wollte, musste er Vorworte dazu schreiben (manchmal drei bis vier Abschnitte lang) und versuchen, den korrigierenden und zur Umkehr aufrufenden Aspekt des Beitrags herunterzuspielen. Er bemühte sich jeweils, die Leute auf die ‚weichere‘ Seite Gottes hinzuweisen. Ab und zu wurden gewisse ‚anstössige‘ Sätze in einem Beitrag völlig umformuliert. Diese subtilen, und manchmal unverschämten Manipulationen ärgerten normalerweise die Beitragsschreiber, besonders die „idealistischeren“ unter ihnen.

Das letzte Mal, als ich es in der Bibel nachlas, stand dort, ein Prophet habe sich nicht um Menschenmeinungen zu kümmern, und solle das Wort Gottes unverfälscht weitergeben.“

Damit habe ich auch Erfahrung. Mehrmals haben evangelikale Kirchen und Organisationen meine Artikel ohne Absprache sinnentstellend gekürzt und verstümmelt, oder deren Veröffentlichung und Verbreitung überhaupt verboten – nicht etwa, weil sie Irrlehren enthalten hätten, sondern weil sie mit der Politik der jeweiligen Organisation nicht im Einklang standen (siehe „Von der evangelikalen Zensur“).

Jetzt kommt der eigentliche Kern dessen, was Kevin Kleint über die Gnade und deren Verfälschung zu sagen hat, und ich möchte das ausführlich zitieren:

„Die Leiterschaft der Prophetenbewegung, inbegriffen die Elijah-List, hat eine schlau aufgebaute Mauer der Verführung konstruiert, die sie aller Rechenschaftspflicht enthebt und sie gegen Kritik und Ermahnung immun macht. Grundlage dieser Mauer ist die falsche Auslegung und Anwendung von Matthäus 7,1-5 (’nicht richten‘) und ähnlichen Versen.

Als Ergebnis darf niemand sagen, sie (die ‚Propheten‘) machten irgendetwas falsch. Wenn jemand sagt, er sehe etwas Falsches im Verhalten der ‚Propheten‘, dann muss er sofort hören, er wandle nicht in der Liebe, und wir sollten dem Propheten ‚Gnade‘ geben. Er muss auch hören, wir sollten nicht richten, damit wir nicht ebenso gerichtet werden … Und weil wir diese Leiter auf ein Podest stellen und sie im Grunde abgöttisch verehren, akzeptieren die meisten Leute diese Argumentation sehr leicht und ignorieren die Sünde.

Diese Dynamik schlägt auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen in der Gemeinde durch. Wir haben Angst, etwas über die Sünde im Leben unseres Nächsten zu sagen, weil wir nicht als ‚richtend‘ oder ‚böswillig‘ angesehen werden wollen. Wegen dieser Angst verbreitet sich die Sünde unkontrolliert in der Gemeinde und gedeiht! Was denken Sie, warum unsere Raten von Scheidungen, Abtreibungen, Pornographie- und Drogenkonsum dieselben sind wie in der Welt? Weil es in unseren Versammlungen keine Reinheit, keine Heiligkeit, und kein Feuer des Heiligen Geistes gibt! Wussten Sie, dass tatsächlich Hexen und Teufelsanbeter in unsere ‚Anbetungshäuser‘ kommen und sich da wohlfühlen können? Möge sich Gott unser erbarmen!

Die folgenden Verse werden von den ‚Propheten‘ und ihren Nachfolgern gewöhnlich heruntergespielt und/oder ignoriert:

1. Kor. 6,3: ‚Wisst ihr nicht, dass wir Engel richten werden? Wieviel mehr dann die Dinge dieses Lebens?‘
– Dieser Vers spricht davon, Dinge in diesem Leben zu unterscheiden bzw. zu richten.
1. Kor. 6,5: ‚Ich sage dies zu eurer Schande. Gibt es keinen einzigen Weisen unter euch, der zwischen seinen Brüdern richten könnte?‘
– Dieser Vers spricht davon, Angelegenheiten zwischen Brüdern zu richten.
1. Kor. 11,31: ‚Denn wenn wir uns selbst richteten, würden wir nicht gerichtet werden.‘
– Dieser Vers spricht davon, die Sünde in unserem eigenen Leben zu richten.

Zurechtweisen oder nicht zurechtweisen?

Die Bibel sagt nicht nur, wir sollten Verhaltensweisen und Angelegenheiten richten; sie erlaubt uns auch ZURECHTZUWEISEN!

Lukas 17,3: ‚Achtet auf euch selbst. Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er umkehrt, vergib ihm.‘
– Dieser Vers erlaubt uns, unseren Bruder oder unsere Schwester zurechtzuweisen, wenn er/sie in Sünde ist.
1 Tim. 5,20: ‚Jene, die sündigen, weise in Gegenwart aller zurecht, damit auch die übrigen sich fürchten.‘
– Dieser Vers erlaubt uns, einen ÄLTESTEN zurechtzuweisen, der in Sünde ist (lesen Sie dazu die vorangehenden Verse)!
2. Tim. 4,2: ‚Verkünde das Wort! Sei bereit zur Zeit und zur Unzeit. Überführe, weise zurecht, ermahne, mit aller Langmut und Belehrung.‘
– Dieser Vers erlaubt uns, Zurechtweisung als wichtiges Element unserer Predigt zu gebrauchen!
Titus 2,15: ‚Rede diese Dinge, ermahne und weise zurecht mit aller Autorität. Niemand soll dich verachten.‘
– Dieser Vers erlaubt uns, mit Autorität zurechtzuweisen!

Die meisten Dienste, die mit der Elijah-List verbunden sind, die ‚prophetische‘ Kirche, und ein grosser Teil der übrigen Kirche, ertragen es nicht, wenn diese Verse angeführt werden, denn dann wird ihre Heilssicherheit beunruhigt durch die Möglichkeit, dass Sünde aufgedeckt werden könnte. Das Verrückte ist: Sie wollen die Sünde verborgen halten, und dann wundern sie sich, warum sie zu den niedergeschlagensten und verwirrtesten Leuten in der Kirche gehören. Ich habe es selber erlebt! Nie in meinem Leben erlebte ich so viel Niederlage, Krankheit und Verwirrung wie während meiner sieben Jahre bei der Elijah-List! Wenn jemand da hindurch geht, dann sagt man ihm, sie erlebten einfach den ‚geistlichen Krieg‘ … d.h. der Feind sei daran schuld, dass sie dieses Trauma erleben. Das tönt grossartig für das fleischliche Denken, denn schliesslich … wer will schon selber schuld sein?“

(Anmerkung hier: Eine andere Spielart besteht darin, dass die Leiter die zitierten Verse sehr wohl anwenden, sie aber so auslegen, dass nur sie als Leiter die Erlaubnis hätten, alle anderen zurechtzuweisen – und z.B. jeden Widerspruch als „Sünde der Rebellion“ anzuprangern – , während sie selbst von niemandem zurechtgewiesen werden dürfen.)

„(…) Wenn die Mauer der Verführung aus dem Missbrauch von Bibelstellen über das Richten besteht, dann ist der Missbrauch des Wortes ‚Gnade‘ der Mörtel, der die Mauer zusammenhält. Gnade ist in den prophetischen Kreisen ein sehr verschwommener Begriff, der in den meisten Gesprächen anstelle von ‚Barmherzigkeit‘ oder ‚Sünde zudecken‘ gebraucht wird. Nach den Worten von Steve Shultz geht es bei der ganzen Philosophie und Grundlage der Elijah-List um diese Gnade. Aber wenn Sie ihn über Gnade predigen hören, dann erhalten Sie normalerweise eine verdrehte Idee davon. Seine Hauptidee ist, wir sollten nett sein zu den Menschen, weil Gott sie liebt, und schliesslich war er auch nett zu Ihnen, also sollten Sie dasselbe tun. Das ist nicht unbedingt falsch, aber es ist nicht ‚Gnade‘; und es trägt dazu bei, die Mauer der Verführung zu stärken mit ihrer Denkweise, niemandes Handlungen zu richten.

Lasst uns sehen, was in Titus 2,11-15 über Gnade steht:

v.11: ‚Denn die rettende Gnade Gottes ist allen Menschen erschienen,
v.12: die uns dazu erzieht, dass wir der Gottlosigkeit und den weltlichen Wünschen absagen, und (so) in der gegenwärtigen Weltzeit nüchtern, gerecht und gottesfürchtig leben,
v.13: während wir die glückselige Hoffnung und die Erscheinung der Herrlichkeit unseres grossen Gottes und Retters Jesus Christus erwarten,
v.14: der sich selbst für uns gab, um uns von jeder Gesetzlosigkeit zu erlösen, und für sich selber ein Eigentumsvolk zu reinigen, das guten Werken nacheifert.
v.15: Rede diese Dinge, ermahne und weise zurecht mit aller Autorität. Niemand soll dich verachten.‘

Aus diesen Versen weiss ich also, dass Sie einige Dinge lehren müssen, wenn Sie eine Botschaft der Gnade predigen:

– Der Gottlosigkeit und den weltlichen Wünschen abzusagen,
– In der gegenwärtigen Weltzeit nüchtern, gerecht und gottesfürchtig zu leben,
– Die Wiederkunft Jesu zu erwarten,
– (aus Vers 14) Uns seines Werkes am Kreuz bewusst zu sein, und wie er ein reines und heiliges Eigentumsvolk sucht.

(…) Diese Gedanken werden in den meisten heutigen ‚Gnaden-‚botschaften nicht gelehrt. Leider hören wir meistens nur davon, wie Gott unser ‚Kamerad‘ sein möchte. Für eine Gemeindekultur, die nur Ohrenkitzel sucht, ist das eine wunderbare Nachricht! Weil Jesus ihr Kamerad ist, müssen sie nicht gerecht leben! Sie müssen nicht nüchtern leben! Gott hat ‚Gnade‘ für all das!
Und als Ergebnis herrscht das Fleisch ungehindert in unseren Leben.

Die unangenehme Wahrheit ist, dass die heutigen falschen Propheten und ihre Nachfolger sich grosser prophetischer Einsichten rühmen, aber in Tat und Wahrheit wenig oder gar kein Unterscheidungsvermögen haben.

Während meiner sieben Jahre bei der Elijah-List (und meiner fünf Jahre bei Vineyard) hatte ich so viele Begegnungen mit Menschen, die von Zauberei (in unterschiedlichem Grad), Pornographie und dem homosexuellen Geist beeinflusst waren, und NICHTS wurde dazu gesagt oder getan. Wie schon erwähnt, nehmen Hexen an diesen Konferenzen und Gottesdiensten teil und gehen unüberführt und unerrettet wieder weg. Menschen, die einen homosexuellen Geist hatten und/oder bekanntermassen pornographiesüchtig waren, wurde es erlaubt, von der Kanzel aus ‚prophetische Worte‘ zu geben, und niemand sagte etwas dagegen.“

Kleint erwähnt dann zahlreiche ihm persönlich bekannte Beispiele, die das Gesagte belegen; sowohl von weniger bekannten Mitarbeitern wie auch von Personen, die international Schlagzeilen gemacht haben. Der interessierte Leser möge es selber nachlesen (siehe Link am Anfang).

„Barmherzigkeit mit dem Wolf ist Grausamkeit gegenüber den Schafen.“
(Sprichwort der alten Puritaner.)

Ich hoffe, es ist jetzt klarer geworden, warum ich diese Vorstellung von Gnade „unbarmherzig“ nenne. Diese schon an Allversöhnung grenzende Lehre und Praxis klingt zunächst ganz einladend (und entspricht natürlich auch dem gegenwärtigen Zeitgeist). „Komm nur zu Jesus, er ist gnädig und vergibt dir alles“ (ohne von Umkehr, Bekennen und Lassen der Sünde, usw. zu sprechen). Dann aber fangen die Probleme an: eine Gemeinde, wo die grosse Mehrheit der Mitglieder gar nicht für Jesus lebt, wird bald zu einer Hölle auf Erden. Wie stellen sich diese Leute denn den Himmel vor? Wenn Gott alle unbekehrten Betrüger, Diebe, Vergewaltiger und Mörder in den Himmel liesse, dann wären wir ja selbst dort unseres Lebens nicht sicher! Der Himmel wäre dann noch schlimmer als diese Erde, denn aus diesem Zustand heraus gäbe es ja keine „Erlösung“ mehr. Ein solcher „Himmel“ wäre tatsächlich grausam! – Oder denken diese Leute, Gott würde alle diese unbekehrten Sünder bei ihrem Tod auf wunderbare Weise in Heilige verwandeln? Davon steht nichts in meiner Bibel – ganz abgesehen davon, dass hier ja die Rede ist von Menschen, die ihre Sünde gar nicht lassen wollen. Nein, meine Herren Allversöhner, es ist gerade ein Akt der Liebe und Gnade Gottes, dass er streng darüber wacht, dass (wenigstens) der Himmel ein reiner Ort bleibt!

Das zweite Problem ist eingangs schon erwähnt worden: In einem System solcher falsch verstandener „Gnade“ gibt es keinerlei Schutz oder Sicherheitsvorkehrungen gegen herrschsüchtige Machtmenschen. Diese sind die allerersten, die „Gnade“ für sich selbst beanspruchen. Was hingegen die Barmherzigkeit mit den Opfern solcher Missbräuche betrifft, so darf davon gar nicht gesprochen werden – das wäre „lieblos“ oder „richtend“. Es gibt in solchen Gemeinden und Organisationen ein ungeschriebenes Gesetz, dass man über diese Dinge keinesfalls sprechen darf. Wer dieses Gesetz übertritt und aktuelle Probleme anspricht, dem wird vorgeworfen, er selber hätte durch sein Reden das Problem verursacht. Tatsächlich muss jeder, der derartige Missbräuche aufzeigt, damit rechnen, im Namen der „Gnade“ und „Barmherzigkeit“ ganz unbarmherzig angeklagt, aus der Gemeinde ausgeschlossen und verleumdet zu werden. Alles schon selber erlebt.

Ein drittes Problem ist von Kleint auch angetönt worden, aber ich möchte es hier noch klarer hervorheben: Ein solches falsches Verständnis von Gnade verunmöglicht die Verkündigung des wahren Evangeliums. Von Reue, Umkehr, Selbstverleugnung, Nachfolge, usw, darf in einer solchen Umgebung nicht mehr gesprochen werden – das wäre „richtend“. Durch dieses (meistens unausgesprochene) Predigtverbot wird der Zugang zu Gott erst recht verschlossen; denn das wären ja genau die Dinge, die das Erlösungswerk Jesu für uns wirksam machen!
Ich war einmal zu einer Ausbildung für Sonntagschullehrer eingeladen, musste aber nach dem ersten Morgen feststellen, dass keiner der Teilnehmer eine geistliche Wiedergeburt in seinem Leben bezeugen konnte. Natürlich begann ich daraufhin über Bekehrung und Wiedergeburt zu sprechen: wie könnten sie denn Kindern das Evangelium nahebringen, wenn es in ihrem eigenen Leben noch keine Wirklichkeit geworden war? Die Teilnehmer waren jedoch nicht zufrieden: sie wollten wohl einen kirchlichen „Dienst“ tun; aber selber sich zu Jesus bekehren, das wollten sie nicht. – In meiner Einfalt erzählte ich später diese Begebenheit einigen Freunden, die mich (damals noch) unterstützten. Sie machten mir daraufhin schwere Vorwürfe: ich hätte die Erwartungen jener Kirche enttäuscht und sei ungehorsam gewesen, denn schliesslich hätten sie mich nicht zum Evangelisieren eingeladen….
Es ist wirklich äusserst schwierig, in diesem Klima der falschen Gnade überhaupt noch einen Freiraum zu finden, wo man über die echte Gnade Gottes in Jesus Christus sprechen darf! Die alten Erweckungsprediger wie Jonathan Edwards, John Wesley, Charles Finney, etc, gingen in die Kirchen und sagten den Kirchenmitgliedern und Pastoren(!): „Prüft euch an der Schrift, ob ihr wirklich Christen seid. Ihr – gerade ihr – müsst zuerst wiedergeboren werden!“ – Wer das heute zu sagen wagt, der wird wegen „Respektlosigkeit gegenüber der Kirche“ vor die Tür gesetzt. (Um der Geschichte gerecht zu werden: das geschah den alten Erweckungspredigern auch. Wesley wurde aus einer Kirche nach der anderen hinausgeworfen, bis es keine Kanzel in England mehr gab, von der man ihm erlaubt hätte zu predigen, und er keine andere Wahl mehr hatte, als draussen auf freiem Feld zu predigen. Und dort war es, wo Erweckung geschah.)

Zum äussersten Extrem kommt diese Ablehnung des Evangeliums im ökumenischen Weltkirchenrat und den angeschlossenen Kirchen. Nicht nur wird dort die Auferstehung Jesu als „veraltete Mythologie“ bezeichnet und stattdessen heidnische Zeremonien durchgeführt; sondern das biblische Evangelium von Umkehr, Glaube an Jesus Christus und Wiedergeburt ist sogar schon als „Häresie“ bezeichnet worden. Wenn ich aber die Evangelikalen beobachte, dann habe ich allen Grund zur Annahme, dass sie diesen Entwicklungen bald folgen werden.

Ein solches Verbot der biblischen Evangelisation ist in höchstem Masse unbarmherzig, denn es hindert die Menschen daran, die einzige Botschaft zu hören, durch die sie die echte Gnade Gottes kennenlernen könnten!

Ich bin Gott bis heute dankbar, dass er mir in seiner Gnade zu einem bestimmten Zeitpunkt in meinem Leben klar gezeigt hat, dass ich – obwohl ich mich „Christ“ nannte – in Sünde gefangen war und eine Umkehr und Wiedergeburt brauchte. Er war so barmherzig mit mir, dass er mir nicht erlaubte, weiter in einer Täuschung zu leben. In dem Moment, als das geschah, war es alles andere als angenehm – aber es war der Beginn meiner echten Hinwendung zu Jesus. Möchte doch diese Gnade und Barmherzigkeit wieder auf den Leuchter gestellt werden!

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