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Die neutestamentliche Gemeinde als „Leib Christi“ – Teil 2

16. Dezember 2017

Alle Glieder verbunden mit dem Haupt

Der folgende Punkt scheint schwerverständlich zu sein für jene, die sich an eine institutionalisierte Form von „Kirche“ gewöhnt haben. Dort wirkt einerseits das erdrückende Gewicht der römisch-katholischen Tradition (die in den reformierten und evangelikalen Kirchen weiter fortwirkt), wonach eine „Kirche“ von einem „Priester“ oder „Pastor“ geleitet werden müsse; somit glauben sie, dieser „Priester“ oder „Pastor“ hätte eine Stellung als „Haupt“ über seine „Kirche“ inne. Und andererseits haben manche „Pastoren“ grosses Interesse daran, dass diese Tradition weiter aufrechterhalten wird, weil ihre einflussreiche Machtposition darauf beruht.

In Wirklichkeit war dies einer der grossen Streitpunkte in der Reformation des 16.Jahrhunderts. Die Reformatoren betonten, dass jeder Christ direkten Zugang zu Gott hat. Kein „Priester“ braucht zwischen einem Jünger Jesu und seinem Herrn zu vermitteln. Das ist ein biblisches Prinzip, das u.a. in folgenden Aussagen zum Ausdruck kommt:

„Da wir also einen grossen Hohenpriester haben, der durch die Himmel hindurchgegangen ist, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns am Bekenntnis festhalten. (…) Nähern wir uns also mit Freimut dem Gnadenthron, damit wir Barmherzigkeit erhalten und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.“ (Hebräer 4,14-16)

„Da wir also, ihr Brüder, Freimut haben, um ins Heiligtum einzutreten durch das Blut Jesu als einen neuartigen und lebendigen Weg, den er für uns eingeweiht hat durch den Vorhang hindurch, das heisst, durch sein Fleisch; und einen grossen Priester über die Familie Gottes, nähern wir uns [also] mit wahrhaftigem Herzen und vollem Glauben, die Herzen besprengt [zur Reinigung] von bösem Gewissen, und den Leib gewaschen mit reinem Wasser.“ (Hebräer 10,19-22)

„Denn Gott ist ein einziger; und ein einziger ist Vermittler zwischen Gott und den Menschen, der Mensch Christus Jesus. …“ (1.Timotheus 2,5)

Leider zogen die Reformationskirchen nicht die Konsequenzen aus diesem Prinzip. Sie nannten ihre Kirchenführer zwar nicht mehr „Priester“, aber sie behielten die Unterscheidung zwischen „Klerus“ und „Laien“ bei. Deshalb stellen auch viele evangelische und evangelikale Leiter das Recht eines Christen in Frage, sich Gott direkt zu nähern, ohne die Vermittlung eines „Pastors“. So schrieb mir z.B. ein evangelikaler „Pastor“: „Einige sagen: – Ah, ich bin direkt Christus untergeordnet. Aber die Kirche ist ein Leib, dessen Haupt der Herr ist. Können Sie sich einen Leib vorstellen, wo die Hände und die Füsse direkt am Kopf befestigt sind? Ein Monster!“

Solche Worte hätten genausogut aus dem Munde eines katholischen Apologeten kommen können. Die hierarchischen Kirchen (ob katholisch oder evangelisch) wollen immer den direkten Zugang ihrer Glieder zu Christus, dem Haupt, begrenzen; und wollen „Priester“, „Pastoren“, „geistliche Abdeckungen“ usw. dazwischenschalten. Aber die Bibel behauptet ausdrücklich, was jener „Pastor“ verneint:

„Niemand soll euch willkürlich den Preis vorenthalten, durch demütige Verehrung der Engel, indem er sich [untersuchend] dem nähert, was er nicht gesehen hat, grundlos aufgebläht durch seinen fleischlichen Sinn, und sich nicht an dem Haupt festhält, von dem aus der ganze Leib, durch die Gelenke und Bänder unterstützt und zusammengehalten, wächst mit dem Wachstum von Gott her.“ (Kolosser 2,18-19)

Jedes Glied am Leib Christi soll sich also „am Haupt festhalten“, das Christus ist. So ist es auch eine Tatsache der menschlichen Anatomie, dass z.B. die Finger ihre Befehle nicht von der Hand erhalten, auch nicht vom Arm, sondern direkt vom Haupt (d.h. genauer vom Zentralnervensystem). Durch das Nervensystem steht tatsächlich jedes Glied des Leibes in direkter Kommunikation zum Haupt; dagegen geben die Glieder einander keine Befehle.

Die Einheit und Ordnung im Leib Christi beruht genau auf dieser Tatsache: dass jedes Glied direkt dem Haupt untergeordnet ist. Nur Jesus, der Herr, ist in der Lage, jedes Glied an den ihm zukommenden Platz zu stellen und ihm die angemessenen Funktionen und Aufgaben zuzuteilen. Wenn irgendein „übergeordnetes Glied“ versucht, die Organisation des Leibes zu übernehmen, dann wird nur Unordnung geschaffen. Die Funktion der „übergeordneten Glieder“ (wenn wir überhaupt diesen Ausdruck verwenden wollen) besteht darin, den mit ihnen verbundenen Gliedern zu helfen, jene Aufgaben besser zu erfüllen, die der Herr ihnen aufgetragen hat.

Nun müssen wir verstehen, dass der Herr nicht wie ein menschlicher Vorgesetzter handelt, wenn er seine Arbeiter da hinstellt, wo er will, und ihnen Aufgaben zuteilt. Der Herr ist ja nicht nur „Vorgesetzter“; er ist zugleich unser Schöpfer. Er hat zum voraus jedes Glied für seine besondere Funktion geschaffen, mit den nötigen natürlichen Fähigkeiten und geistlichen Gaben. Wenn also ein Glied des Leibes Christi diese Fähigkeiten kennt, die Gott ihm gegeben hat, dann kennt es bereits einen grossen Teil von Gottes Willen für sein Leben: diese Fähigkeiten auszuüben zur Ehre des Herrn und zur Auferbauung seines Leibes. – Das ist ein weiterer Grund, warum ein menschlicher Leiter die anderen Glieder nicht so „organisieren“ kann, wie Gott es will: Nur Gott selber, der Schöpfer, kann uns sagen, zu was für einer spezifischen Funktion er uns geschaffen hat.
Ausserdem ist, im Gegensatz zu den Gliedern unseres menschlichen Körpers, jedes Glied des Leibes Christi ausgestattet mit Weisheit, mit Denk- und Entscheidungsfähigkeit. Deshalb funktioniert der Leib Christi nicht wie eine Maschine und auch nicht wie eine Armee, deren Teile nichts anderes tun, als passiv die erhaltenen Befehle auszuführen. Jedes Glied hat einen grossen Entscheidungsspielraum in der Ausübung seiner Funktionen. Deshalb heisst es in Epheser 4,16: „…von dem aus der ganze Leib … nach dem Mass der Aktivität jedes seiner Glieder das Wachstum des Leibes hervorbringt zu seiner eigenen Auferbauung in Liebe.“