Archive for Oktober 2019

Funktionen der Ältesten in der Familie Gottes – Teil 1

25. Oktober 2019

In den vorhergehenden Betrachtungen fanden wir, dass die neutestamentliche Gemeinde eine familiäre, nicht eine institutionalisierte Struktur hatte; und dass die Ältestenschaft als erweiterte Vaterschaft ein besonderer Ausdruck dieser familiären Struktur ist. Sehen wir nun, was das Neue Testament als Funktionen der Ältesten beschreibt.

„Hirtendienst“

Zuallererst müssen wir verstehen, dass es in der neutestamentlichen Gemeindestruktur kein „Pfarramt“ oder „Hirtenamt“ gibt in der Art, wie es in den meisten gegenwärtigen Kirchen besteht. Das evangelische „Pfarramt“ ist in Wirklichkeit die Fortsetzung des römisch-katholischen Priestertums, nur unter einem anderen Namen und mit leicht veränderten Funktionen. Im Urtext des Neuen Testamentes erscheint das Wort „Pfarrer/Hirte“ (griechisch „poimén“) nur ein einziges Mal als eine Funktion in der Gemeinde (Epheser 4,11). Und dort bedeutet es nicht einen Leiter einer örtlichen Gemeinde, sondern eine Funktion zur „Zurüstung der Heiligen zu (ihrem) Dienst“.

Ausserdem finden wir in drei neutestamentlichen Stellen das Verb „(als Hirte) weiden (griechisch „poimáino“) als eine Funktion in der Gemeinde:
– In Johannes 21,6 sagt Jesus zu Petrus: „Weide meine Schafe.“ Das ist ein Aspekt der apostolischen Funktion des Petrus. Kein „Pastor“ einer örtlichen Gemeinde kann dieses Wort auf sich selber anwenden, denn es richtete sich an Petrus persönlich in seiner Funktion, die über die örtliche Gemeinde hinausging.
– Petrus selber benutzt das Wort „weiden“, wo er sich an die Ältesten richtet: „Ich ermutige die Ältesten unter euch (…): Weidet die Herde Gottes, die bei euch ist, indem ihr [für sie] sorgt, nicht gezwungenermassen, sondern freiwillig; nicht um Habsucht nach schändlichem Gewinn, sondern guten Willens; nicht als solche, die über die ihnen Anvertrauten herrschen, sondern als Beispiele der Herde …“ (1.Petrus 5,1-3). Das „Weiden“ in der örtlichen Gemeinde ist also eine Funktion der Ältesten.
– In Apostelgeschichte 20,17 lesen wir, dass Paulus „nach Ephesus sandte, um die Ältesten der Gemeinden kommen zu lassen“. Und in Vers 28 sagt er zu ihnen: „Achtet auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist als Aufseher/Fürsorger gesetzt hat, um die Gemeinde des Herrn und Gottes zu weiden, die er durch sein eigenes Blut erworben hat.“ – Auch diese Stelle bestätigt, dass das „Weiden“ (Hirten-/Pastorendienst) eine Funktion der Ältesten ist.

Die zitierten Stellen sind die einzigen im ganzen Neuen Testament, wo die Worte „Hirte“ oder „(als Hirte) weiden“ im Sinne einer Funktion in der christlichen Gemeinde gebraucht werden.

Wenn wir nun genauer wissen wollen, was „weiden“ im Volk Gottes bedeutet, dann müssen wir ins Alte Testament gehen. Dort finden wir im 34.Kapitel des Buches Ezechiel die Prophetie über die bösen Hirten und den Guten Hirten. Da werden als Funktionen eines rechtmässigen „Hirten“ genannt: Die Schwachen stärken; die Kranken heilen (oder pflegen); die Verletzten verbinden; die Verirrten zurückbringen; die Verlorenen suchen. „Weiden“ hat also zu tun mit Ermutigen, Trösten, liebevoll Rat geben, Wiederherstellen, Aufbauen. Das ist nicht gerade das, was heutzutage weithin unter „Leiterschaft“ verstanden wird. Sowohl Ezechiel wie auch Petrus warnen die Ältesten davor, über die Herde „herrschen“ zu wollen. Die Idee des „Hirtendienstes“ wird in sein Gegenteil verkehrt, wo ein Leiter unter dem Vorwand eines „Pastorenamtes“ seine Glaubensgeschwister ausnützt und sie zwingt oder dahingehend manipuliert, für seine eigenen Pläne zu arbeiten; oder wo ein Leiter sich in das Privatleben seiner Glaubengeschwister einmischt und „Unterordnung“ unter willkürliche Menschengebote einfordert.

Herausforderung zum mathematischen Forschen: Annähernd gekürzt

19. Oktober 2019

Niveau: Einfach bis mittelschwer (ca.5. bis 9.Schuljahr)

Dies ist ein Beispiel eines alternativen Zugangs zum Mathematiklernen. Aufgaben in der Art dieses Artikels finden sich in diesem Buch zum mathematischen Forschen und Selber-Entdecken.

Über den Sinn und Nutzen solcher „Forschungsaufgaben“ siehe die Anmerkungen weiter unten.

Weitere Informationen hier.


Die Kinder lösen Rechnungsaufgaben. Susi bemerkt beiläufig: “ 10/13 kann man nicht kürzen.“
– „Aber annähernd“, antwortet Stephan.
– „Was meinst du damit?“
– “ 10/13 ist annähernd 3/4.“
– „Mag sein, aber das hilft mir nicht für meine Aufgabe. Wenn es nicht genau richtig ist, dann ist es falsch.“
– „Kommt darauf an“, meint Stephan. „Für viele praktische Zwecke ist eine annähernde Lösung gut genug. Zum Beispiel, kannst du eine 10/13 Tasse Milch einschenken? oder 10/13 von einem Apfel abschneiden? 3/4 ist doch viel praktischer.“
– „Ja, aber wir sind jetzt nicht beim Essen. Für die Schulaufgaben taugt dein annäherndes Kürzen nicht.“
– „Sollte es aber. Ich wäre dafür, im Schulbuch eine Lektion über annäherndes Kürzen einzufügen.“

Lassen wir uns von dieser Diskussion zu einigen mathematischen Entdeckungen anregen. Meines Wissens kommt das annähernde Kürzen immer noch nicht in den Schulbüchern vor. Aber du kannst den Inhalt einer solchen Lektion selber herausfinden. Die folgenden Fragen sollen dir ein paar Anstösse geben dazu:

1) Wie gut ist Stephans Annäherung? D.h. wie gross ist der Fehler?

2) Versuche andere Brüche annähernd zu kürzen; z.B. 10/17 oder 19/29. Findest du ein systematisches Verfahren, um die beste „annähernde Kürzung“ zu finden?
(Wenn es mehrere Möglichkeiten gibt, dann wirst du feststellen, dass man verschiedener Meinung sein kann darüber, welches die „beste“ ist. Was für Kriterien würdest du anwenden? Begründe, warum.)

3) Was für Bedingungen sollte ein Bruch erfüllen, damit er „annähernd gekürzt“ werden kann?

4) Versuche weitere mathematische Eigenschaften des annähernden Kürzens herauszufinden.

In einigen Wochen oder Monaten werde ich, so Gott will, weitere Hinweise zu diesem Problem veröffentlichen. Korrespondenz kann über die Kontaktseite geführt werden.


Pädagogische Anmerkungen:

Forschungsaufgaben haben einige Eigenschaften, die sie von „schulüblichen“ Mathematikaufgaben unterscheiden:

– Die Antwort ist nicht einfach eine Zahl oder ein mathematischer Ausdruck, sondern ein (unter Umständen komplizierter) mathematischer Sachverhalt, der erklärt werden soll. Das kann auf unterschiedliche Arten geschehen. Es gibt also nicht einfach eine „einzige richtige Antwort“. Um einen Vergleich mit Sprachübungen zu machen: Viele Schulbuchaufgaben sind wie Grammatikübungen. Eine Forschungsaufgabe dagegen ist wie ein Aufsatzthema.

– Bei einer Forschungsaufgabe geht es nicht um die Schnelligkeit, sondern um die „Tiefe“ des Denkens. Das mathematische Denken wird auf nachhaltige Weise geübt, weil die Antworten nicht mit einer mechanischen Prozedur gefunden werden können, sondern nur durch eingehende Betrachtung des Themas unter verschiedenen Blickwinkeln.
Forschungsaufgaben sollten deshalb nie unter Zeitdruck gelöst werden müssen. Idealerweise sollte eine Frist von mindestens einer Woche gegeben werden, wobei täglich mindestens eine Stunde zur Arbeit am Thema zur Verfügung stehen sollte. (Bei einfacheren Themen und auf den unteren Schulstufen kann es auch weniger sein.)

Idealerweise kommen noch folgende Aspekte dazu:

– Die Schüler werden herausgefordert und ermutigt, das Thema mit eigenen Fragestellungen zu erweitern. (In der vorliegenden Aufgabe betrifft dies die sehr offen formulierte Frage 4.) Dadurch wird Raum geschaffen für die eigene Kreativität; ein Aspekt, der in der Schulmathematik oft zu kurz kommt.

– Die Aufgabenstellung ist mit einem gewissen „Mysterium“ umgeben. Erst im Lauf des Forschens wird ersichtlich, was das eigentliche (mathematische) Thema der Aufgabe ist. Und/oder das Problem führt unerwarteterweise über das vordergründige Thema hinaus zu einem anderen Gebiet der Mathematik.

– Die Probleme können aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und mit verschiedenen mathematischen „Werkzeugen“ angegangen werden. Z.B. mit Zahlenbeispielen oder algebraisch; geometrisch oder analytisch; usw.

– Es kann sinnvoll sein, in Kleingruppen von zwei oder drei Schülern zu arbeiten.

Das Erarbeiten einer Forschungsaufgabe erfordert in der Regel mehrere oder alle der folgenden Tätigkeiten:

– Beispiele sammeln und damit „spielen“.
In dieser Phase geht es darum, mit dem Thema vertraut zu werden. In der vorliegenden Aufgabe z.B. werden die Schüler versuchen, verschiedene Brüche „annähernd zu kürzen“, und werden den jeweiligen Fehler ihrer Näherungen ausrechnen. Möglicherweise werden sie auch verschiedene Methoden erfinden und ausprobieren, um auf solche Näherungen zu kommen. Diese Sammlung von Beispielen dient dann als „Rohmaterial“ für die weiteren Schritte.

– Beobachten.
Hier geht es um die Frage: Wie „verhalten sich“ diese Zahlen (bzw. andere mathematische Objekte)? Beim näheren Beobachten der Beispiele können Gemeinsamkeiten und Auffälligkeiten festgestellt werden. Beim vorliegenden Thema könnten Schüler z.B. die Beobachtung machen, dass das „annähernde Kürzen“ besonders einfach ist bei jenen Brüchen, wo der Nenner beinahe ein Vielfaches des Zählers ist.
Die Beobachtungen können zu weiteren Erkenntnissen führen, wenn sie geordnet und systematisiert werden.

– Vermutungen aufstellen; Sachverhalte verallgemeinern.
Die gemachten Beobachtungen sollten nun zu Fragen grundsätzlicherer Art führen, wie z.B: Ist das immer so? Warum ist das so? Usw. Die Schüler sollen ermutigt werden, ihre Vermutungen zu formulieren, auch und gerade dann, wenn sie nicht sicher sind, ob diese richtig sind oder nicht. Das Aufstellen von Vermutungen ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Lösung.
Der nächste Artikel zu dieser Forschungsaufgabe wird einige Hinweise enthalten, wie das konkret bei dieser Aufgabe aussehen könnte.

– Die Vermutungen überprüfen und begründen.
In dieser Phase werden die gemachten Vermutungen „aussortiert“. Eine falsche Vermutung kann oft durch ein Gegenbeispiel widerlegt werden. Für eine richtige Vermutung kann im besten Fall ein logisch korrekter Beweis gefunden werden. (Ein Beweis ist im Grunde nichts anderes als eine überzeugende Antwort auf die Frage: „Warum?“)

– Schlussfolgerungen formulieren.
Hier geht es darum, die erkannten Eigenschaften und Gesetze geordnet und verständlich zu formulieren, und wenn möglich zu begründen. In den Schlussfolgerungen dürfen aber durchaus auch Vermutungen erwähnt werden, die nicht bewiesen werden konnten, sofern vieles dafür spricht, dass sie richtig sind.
Auf den höheren Stufen darf erwartet werden, dass Schüler ihre Schlussfolgerungen schriftlich formulieren. Bei jüngeren Schülern kann auch eine mündliche Erklärung ausreichend sein.

– Die Fragestellung erweitern.
Oft führt die Antwort auf eine Frage zu neuen, unbeantworteten Fragen. Diese Erweiterungen des Themas können sehr wertvoll sein, sofern die Schüler in der Lage sind, sie zu erforschen. Dann können die vorherigen Phasen für die neuen Fragestellungen nochmals durchlaufen werden. Andernfalls können solche unbeantworteten Fragen auch Schülern einer höheren Stufe als neue Forschungsaufgaben vorgelegt werden.

Frauen im Ältestendienst

13. Oktober 2019

Die Paulusbriefe sprechen an zwei Stellen von Frauen in leitender Funktion in der Gemeinde:

„Ebenso die Frauen sollen aufrichtig sein, nicht verleumderisch, nüchtern, treu in allem.“ (1.Timotheus 3,11)

„Ebenso die Ältesten [Frauen] sollen ehrerbietig sein in ihrer Haltung, nicht verleumderisch, nicht dem vielen Wein ergeben, sondern die das Gute lehren, die die jüngeren [Frauen] anleiten, ihre Männer und Kinder zu lieben, massvoll, rein, gute Haushälterinnen, gütig, ihren eigenen Männern untergeordnet, damit niemand das Wort Gottes in Verruf bringe.“ (Titus 2,3-5)

Der Vers 1.Timotheus 3,11 befindet sich mitten im Abschnitt über die „Diener“ (manchmal als „Diakone“ übersetzt); der Vers im Titusbrief steht unmittelbar nach einem Abschnitt über die Ältesten. Beide Verse beginnen mit „Ebenso …“. Sie können sich deshalb nicht auf Frauen im allgemeinen beziehen; sie müssen im Zusammenhang mit den leitenden Funktionen in der Gemeinde verstanden werden. Das könnte auf zwei Arten gesehen werden: Entweder konnten als „Diener“ bzw. Älteste unterschiedslos sowohl Männer wie auch Frauen anerkannt werden; oder diese Verse sprechen von den Ehefrauen der „Diener“ bzw. der Ältesten.

Angesichts der hohen Priorität der Familienstrukturen in der Bibel (siehe die vorangegangenen Betrachtungen) erscheint mir die erstere Auslegung höchst unwahrscheinlich. Aus biblischer Sicht bilden Ehemann und Ehefrau zusammen „ein Fleisch“ (1.Mose 2,24). Die Voraussetzungen für Leiter, wie sie im 1.Timotheus- und im Titusbrief ausgeführt werden, legen grosses Gewicht auf das Familienleben. Ich kann mir deshalb nicht vorstellen, dass ein Mann als Ältester anerkannt worden wäre, ohne den Lebenswandel seiner Frau in Betracht zu ziehen; oder eine Frau, ohne Rücksicht auf die Qualifikationen und den Lebenswandel ihres Mannes. Zudem: Wenn eine Frau „Ältestin“ wäre, ohne dass ihr Mann Ältester wäre, dann würde dies die „Unterordnungsstruktur“ in der Ehe und Familie durcheinanderbringen – eine Struktur, die viel grösseres Gewicht hat als die Struktur der Gemeinde (siehe die vorherige Betrachtung).

Viel naheliegender ist deshalb, dass die Ältesten als Ehepaare gewählt wurden, und dass Mann und Frau gemeinsam die Funktionen von Ältesten ausübten; aber die Frau unter der Autorität ihres Mannes. Die Stelle im Titusbrief zeigt, dass der Ältestendienst der Frauen hauptsächlich in ihren Beziehungen zu anderen Frauen ausgeübt wurde, durch Lehre und Beratung über gute Mutterschaft; ähnlich wie auch der Ältestendienst des Mannes sich hauptsächlich auf gute Vaterschaft konzentriert. Wir können annehmen, dass die Frauen der Ältesten ausserdem als „geeignete Hilfe“ und Beraterinnen ihrer Männer fungierten, indem sie ihnen bei der Ausübung ihrer Funktionen zur Seite standen.

An einigen Orten kreist die Diskussion um die Leiterschaft der Frauen hauptsächlich um die Frage, ob eine Frau „predigen“ dürfe oder „Pastorin“ sein könne. Aber im Licht des neutestamentlichen Zeugnisses über die Gemeinde werden solche Fragen irrelevant. Wir haben in früheren Betrachtungen gesehen, dass die Gemeinden hauptsächlich zur gegenseitigen Auferbauung zusammenkamen. Daran nahmen die Frauen selbstverständlich auch teil: 1.Kor.11,5 spricht von Frauen, die in den (Haus-)Versammlungen beteten und prophezeiten; Philippus hatte vier Töchter, die prophezeiten (Apg.21,9). So etwas wie ein „Pfarramt“ existierte in den neutestamentlichen Gemeinden gar nicht, jedenfalls nicht in der Form, wie es heute verstanden wird.

Im übrigen scheint mir wichtig, dass diese Frage der Funktion der Frauen in der Gemeinde nicht unter den heutigen postmodernen Gesichtspunkten von „Frauenrechten“ oder „Geschlechtergleichheit“ betrachtet werden sollte. Eine solche Perspektive würde von Anfang an Mann und Frau in Konkurrenz und Rivalität gegeneinander positionieren; und eine solche Mentalität widerspricht schon von ihren Voraussetzungen her dem Willen Gottes. Wo das Neue Testament über die jeweiligen Funktionen von Mann und Frau spricht, oder über die Unterschiede zwischen den Geschlechtern, da ist der zentrale Wert immer die Einheit der Ehe. „Im Herrn existiert die Frau nicht ohne den Mann, und der Mann nicht ohne die Frau …“ (1.Kor.11,11). Von diesem Gesichtspunkt her sollten auch jene Stellen verstanden werden, die aus der Sicht des heutigen Zeitgeistes die Möglichkeiten der Frau einzuschränken scheinen: Es ist ein äusserst wichtiges Anliegen im Herzen Gottes, die Einheit der Ehe zu bewahren und Praktiken zu vermeiden, die Mann und Frau allzu „unabhängig“ voneinander machen würden. Die familiären Strukturen haben Vorrang vor den Gemeindestrukturen. Nicht die Gemeinde als Institution sollte fragen: „Ist eine Frau berechtigt, dies oder jenes zu tun?“ Eine solche Frage ist falsch gestellt. Mann und Frau sollten sich fragen: „Handeln wir noch als ‚ein Fleisch‘; bewahren wir noch die richtige Beziehung zwischen uns?“

Die neutestamentliche Gemeinde als „Familie Gottes“ – Teil 5

2. Oktober 2019

Die Unterordnung im Neuen Testament

Untersuchen wir nun den „hierarchischsten“ Begriff, den es im Neuen Testament gibt: die „Unterordnung“. Das griechische Wort für „sich unterordnen“ ist „hypotássomai“. Wenn wir die neutestamentlichen Stellen untersuchen, wo dieses Wort vorkommt, dann stellen wir zuerst fest, dass Gott der Einzige ist, der aktiv jemanden oder etwas ihm „unterordnet“. Nirgends heisst es, dass ein Mensch einen anderen ihm unterordnen solle, oder von jemandem Unterordnung verlangen solle. Das ist ein wichtiges Prinzip: Unterordnung im Sinne des Neuen Testamentes ist etwas, was man von sich aus tut. Es ist nicht etwas, was jemand von anderen Menschen einfordern könnte. – Mit anderen Worten: Es gibt verschiedene Stellen im Neuen Testament, die bestimmten Personen sagen, sie sollten sich anderen Personen unterordnen. Aber nie wird diesen anderen Personen gesagt, sie sollten von den ersteren Unterordnung verlangen.
So lesen wir auch mehrmals, dass die Apostel den Mitgliedern der Familie Gottes sagen, sie sollten sich bestimmten Personen unterordnen; aber kein Apostel oder Leiter im Neuen Testament sagte je: „Ordnet euch mir unter.“

Nun finden wir unter den Stellen, die von „Unterordnung“ zwischen Menschen sprechen, nur eine einzige, die sich auf das eigentliche Gemeindeleben bezieht: „Ihr kennt die Familie des Stephanas, die die Erstlingsfrucht von Achaja sind, und sich selbst zum Dienst für die Heiligen gesetzt haben; damit auch ihr euch solchen unterordnet, und jedem, der mitarbeitet und sich abmüht.“ (1.Korinther 16,15-16).
Es fällt auf, dass hier keine spezifische Leiterschaftsposition erwähnt wird (wie wenn z.B. gesagt würde: „Ordnet euch den Aufsehern unter“, oder „Ordnet euch den Aposteln unter“). Stattdessen spricht Paulus auf ziemlich allgemeine Weise von „jedem, der mitarbeitet und sich abmüht“. Es gibt also keinen fest definierten Kreis von Personen in der Gemeinde, die von sich aus ein Anrecht darauf hätten, dass sich die übrigen ihnen unterordneten. Paulus empfiehlt Stephanas und seine Familie namentlich, überlässt es aber den Gemeindegliedern zu erkennen und zu entscheiden, wer die anderen sind, die „mitarbeiten und sich abmühen“. Das liegt natürlich auf einer Linie mit der Aussage Jesu: „Der Grösste von euch sei euer Diener“ (Matthäus 23,12). Es liegt auch auf einer Linie mit dem früher Gesagten, dass Ältestenschaft weder durch demokratische Wahl noch durch Einsetzung „von oben“ definiert wird, sondern durch die Anerkennung von seiten der Gemeinde.

Diese Beobachtungen sind noch auffälliger, wenn wir sie damit vergleichen, dass in anderen Lebensbereichen das Neue Testament sehr wohl klare „Unterordnungsstrukturen“ festlegt: nämlich inbezug auf die staatliche Regierung, und noch klarer im Familienleben. Allen wird gesagt, sie sollten sich der Regierung unterordnen (Römer 13,1.5, Titus 3,1, 1.Petrus 2,13). (Wenn auch diese Unterordnung ihre Grenzen hat, wo es um die Gebote Gottes geht; aber es ist hier nicht der Ort, darauf einzugehen.) – Noch klarer und detaillierter sind die Worte, die eine „Unterordnungsstruktur“ in der Familie definieren:

– Die Frauen sollen sich ihren Ehemännern unterordnen. (Epheser 5,22, Kolosser 3,18, Titus 2,5, 1.Petrus 3,1.5). – Zusätzlich gibt es zwei Stellen, die sagen, die Frauen sollten in Unterordnung sein, ohne anzugeben wem gegenüber (1.Korinther 14,34, 1.Timotheus 2,11). Aber vor dem klaren Hintergrund der Ehestruktur können wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass auch hier die Unterordnung dem eigenen Ehemann gegenüber gemeint ist (und nicht irgendwelchen anderen Männern gegenüber).

– Kinder sollen sich ihren Eltern unterordnen. Das wird in Lukas 2,51 und 1.Timotheus 3,4 impliziert.

– Sklaven sollen sich ihren Herren unterordnen. (Titus 2,9, 1.Petrus 2,18). Das ist auch eine familiäre Beziehung, da Bedienstete und Sklaven zur Familie des Hausherrn gezählt wurden.

– Die Jüngeren sollen sich den Älteren unterordnen (1.Petrus 5,5). Einige denken, es handle sich hier um eine „kirchliche“ Beziehung, da die vorangehenden Verse über die Gemeindeältesten sprechen. Aber durch den Gebrauch des Wortes „die Jüngeren“ stellt Petrus klar, dass der Grund für die Unterordnung nicht in einer „Leiterschaftsposition“ der Älteren besteht, sondern im Altersunterschied (der zugleich als Unterschied an Erfahrung und Weisheit verstanden wird). Auch wo es sich um die Gemeindeältesten handelt, so ist der Hintergrund dieses Prinzips doch der gewöhnliche Brauch in der erweiterten Familie. Deshalb gehört dieser Vers in die Kategorie der familiären Beziehungen (die sich in der Gemeinde fortsetzen), nicht der „institutionellen“.

Dasselbe beobachten wir, wenn wir den Gebrauch des griechischen Wortes „hypakoúo“ (gehorchen) untersuchen. Die grosse Mehrheit der entsprechenden Stellen sprechen vom Gehorsam Gott und seinem Wort gegenüber. Die übrigen beziehen sich alle auf innerfamiliäre Beziehungen:

– Sarah gehorchte ihrem Mann Abraham (1.Petrus 3,6).

– Kinder sollen ihren Eltern gehorchen (Epheser 6,1, Kolosser 3,20).

– Sklaven sollen ihren Herren gehorchen (Epheser 6,5, Kolosser 3,22).

Es gibt keine neutestamentliche Stelle, wo das Wort „hypakoúo“ den Gehorsam gegenüber einem Leiter in der Gemeinde bezeichnen würde.

Einige zitieren Hebräer 13,17, um einen „Gehorsam“ gegenüber Gemeindeleitern oder „Pastoren“ zu begründen. Leider wird dieser Vers in einigen Bibelübersetzungen ungenau oder irreführend übersetzt. Im griechischen Original steht hier weder das Wort „hypotássomai“ (sich unterordnen) noch das Wort „hypakoúo“ (gehorchen). Stattdessen befinden sich hier zwei andere Worte von wesentlich schwächerer Bedeutung: „peíthomai“ =“sich (freiwillig) überzeugen lassen“, und „hypeíko“= „nachgeben“. Eine genauere Übersetzung wäre: „Lasst euch von euren Leitern überzeugen und gebt ihnen nach, denn sie wachen zum Besten eurer Seelen …“

Das Neue Testament verwendet also recht viele Worte darauf, die „richtige Ordnung“ in den Familienbeziehungen darzulegen; aber es sagt beinahe nichts über eine derartige „Unterordnungsstruktur“ in der christlichen Gemeinde!

Wir finden ausserdem im Zusammenhang mit den bereits zitierten Stellen zwei Verse, die sagen: „Ordnet euch einander unter“ (Epheser 5,21, 1.Petrus 5,5). Die „Unterordnungsstrukturen“, die wir bis jetzt betrachtet haben, sind also nicht absolut. Sie müssen eingebettet sein in eine Umgebung von gegenseitigem Respekt und Unterordnung – sowohl in der Familie als auch in der Gemeinde.

Wir kommen also zu folgendem Schluss:

Die Unterordnung in der Gemeinde des Herrn soll nicht als Ausdruck einer hierarchischen und künstlichen Struktur verstanden werden, wie es z.B. in den Institutionen des Staates der Fall ist. In der Gemeinde ist die Unterordnung vielmehr eine natürliche Folge der familiären Beziehungen, die in den Kern- und erweiterten Familien existieren. Aus biblischer Sicht besteht in den Familien eine viel stärkere und wichtigere „Unterordnungsstruktur“ als in der Gemeinde. Diese Familienstrukturen sind der natürliche Ursprung der Ältestenschaft in der Gemeinde, und sie sind auch der Ursprung des Respekts und der Unterordnung, die freiwillig den Ältesten als weisen und reifen Vätern im Herrn entgegengebracht werden.
Jene Personen, die würdig sind, dass man sich ihnen auf diese Weise unterordnet, unterscheiden sich nicht durch ein definiertes „Amt“ oder eine „Position“, sondern dadurch, dass sie sich freiwillig „zum Dienst für die Heiligen gesetzt haben“ (1.Korinther 16,15-16), und dass sie als solche von der Gemeinde anerkannt wurden. All das ist eingebettet in die gegenseitige Unterordnung, die allen Gliedern der Familie Gottes entgegengebracht wird, unabhängig von ihrer Funktion in der Gemeinde oder Familie.

Im Licht der neutestamentlichen Lehre sollte jedem Leiter misstraut werden, der Unterordnung unter seine Person einfordert; und insbesondere dann, wenn diese Unterordnung kollidiert mit den von Gott eingesetzten familiären Beziehungen zwischen Ehepartnern oder zwischen Eltern und Kindern.