Die Unterordnung im Neuen Testament
Untersuchen wir nun den „hierarchischsten“ Begriff, den es im Neuen Testament gibt: die „Unterordnung“. Das griechische Wort für „sich unterordnen“ ist „hypotássomai“. Wenn wir die neutestamentlichen Stellen untersuchen, wo dieses Wort vorkommt, dann stellen wir zuerst fest, dass Gott der Einzige ist, der aktiv jemanden oder etwas ihm „unterordnet“. Nirgends heisst es, dass ein Mensch einen anderen ihm unterordnen solle, oder von jemandem Unterordnung verlangen solle. Das ist ein wichtiges Prinzip: Unterordnung im Sinne des Neuen Testamentes ist etwas, was man von sich aus tut. Es ist nicht etwas, was jemand von anderen Menschen einfordern könnte. – Mit anderen Worten: Es gibt verschiedene Stellen im Neuen Testament, die bestimmten Personen sagen, sie sollten sich anderen Personen unterordnen. Aber nie wird diesen anderen Personen gesagt, sie sollten von den ersteren Unterordnung verlangen.
So lesen wir auch mehrmals, dass die Apostel den Mitgliedern der Familie Gottes sagen, sie sollten sich bestimmten Personen unterordnen; aber kein Apostel oder Leiter im Neuen Testament sagte je: „Ordnet euch mir unter.“
Nun finden wir unter den Stellen, die von „Unterordnung“ zwischen Menschen sprechen, nur eine einzige, die sich auf das eigentliche Gemeindeleben bezieht: „Ihr kennt die Familie des Stephanas, die die Erstlingsfrucht von Achaja sind, und sich selbst zum Dienst für die Heiligen gesetzt haben; damit auch ihr euch solchen unterordnet, und jedem, der mitarbeitet und sich abmüht.“ (1.Korinther 16,15-16).
Es fällt auf, dass hier keine spezifische Leiterschaftsposition erwähnt wird (wie wenn z.B. gesagt würde: „Ordnet euch den Aufsehern unter“, oder „Ordnet euch den Aposteln unter“). Stattdessen spricht Paulus auf ziemlich allgemeine Weise von „jedem, der mitarbeitet und sich abmüht“. Es gibt also keinen fest definierten Kreis von Personen in der Gemeinde, die von sich aus ein Anrecht darauf hätten, dass sich die übrigen ihnen unterordneten. Paulus empfiehlt Stephanas und seine Familie namentlich, überlässt es aber den Gemeindegliedern zu erkennen und zu entscheiden, wer die anderen sind, die „mitarbeiten und sich abmühen“. Das liegt natürlich auf einer Linie mit der Aussage Jesu: „Der Grösste von euch sei euer Diener“ (Matthäus 23,12). Es liegt auch auf einer Linie mit dem früher Gesagten, dass Ältestenschaft weder durch demokratische Wahl noch durch Einsetzung „von oben“ definiert wird, sondern durch die Anerkennung von seiten der Gemeinde.
Diese Beobachtungen sind noch auffälliger, wenn wir sie damit vergleichen, dass in anderen Lebensbereichen das Neue Testament sehr wohl klare „Unterordnungsstrukturen“ festlegt: nämlich inbezug auf die staatliche Regierung, und noch klarer im Familienleben. Allen wird gesagt, sie sollten sich der Regierung unterordnen (Römer 13,1.5, Titus 3,1, 1.Petrus 2,13). (Wenn auch diese Unterordnung ihre Grenzen hat, wo es um die Gebote Gottes geht; aber es ist hier nicht der Ort, darauf einzugehen.) – Noch klarer und detaillierter sind die Worte, die eine „Unterordnungsstruktur“ in der Familie definieren:
– Die Frauen sollen sich ihren Ehemännern unterordnen. (Epheser 5,22, Kolosser 3,18, Titus 2,5, 1.Petrus 3,1.5). – Zusätzlich gibt es zwei Stellen, die sagen, die Frauen sollten in Unterordnung sein, ohne anzugeben wem gegenüber (1.Korinther 14,34, 1.Timotheus 2,11). Aber vor dem klaren Hintergrund der Ehestruktur können wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass auch hier die Unterordnung dem eigenen Ehemann gegenüber gemeint ist (und nicht irgendwelchen anderen Männern gegenüber).
– Kinder sollen sich ihren Eltern unterordnen. Das wird in Lukas 2,51 und 1.Timotheus 3,4 impliziert.
– Sklaven sollen sich ihren Herren unterordnen. (Titus 2,9, 1.Petrus 2,18). Das ist auch eine familiäre Beziehung, da Bedienstete und Sklaven zur Familie des Hausherrn gezählt wurden.
– Die Jüngeren sollen sich den Älteren unterordnen (1.Petrus 5,5). Einige denken, es handle sich hier um eine „kirchliche“ Beziehung, da die vorangehenden Verse über die Gemeindeältesten sprechen. Aber durch den Gebrauch des Wortes „die Jüngeren“ stellt Petrus klar, dass der Grund für die Unterordnung nicht in einer „Leiterschaftsposition“ der Älteren besteht, sondern im Altersunterschied (der zugleich als Unterschied an Erfahrung und Weisheit verstanden wird). Auch wo es sich um die Gemeindeältesten handelt, so ist der Hintergrund dieses Prinzips doch der gewöhnliche Brauch in der erweiterten Familie. Deshalb gehört dieser Vers in die Kategorie der familiären Beziehungen (die sich in der Gemeinde fortsetzen), nicht der „institutionellen“.
Dasselbe beobachten wir, wenn wir den Gebrauch des griechischen Wortes „hypakoúo“ (gehorchen) untersuchen. Die grosse Mehrheit der entsprechenden Stellen sprechen vom Gehorsam Gott und seinem Wort gegenüber. Die übrigen beziehen sich alle auf innerfamiliäre Beziehungen:
– Sarah gehorchte ihrem Mann Abraham (1.Petrus 3,6).
– Kinder sollen ihren Eltern gehorchen (Epheser 6,1, Kolosser 3,20).
– Sklaven sollen ihren Herren gehorchen (Epheser 6,5, Kolosser 3,22).
Es gibt keine neutestamentliche Stelle, wo das Wort „hypakoúo“ den Gehorsam gegenüber einem Leiter in der Gemeinde bezeichnen würde.
Einige zitieren Hebräer 13,17, um einen „Gehorsam“ gegenüber Gemeindeleitern oder „Pastoren“ zu begründen. Leider wird dieser Vers in einigen Bibelübersetzungen ungenau oder irreführend übersetzt. Im griechischen Original steht hier weder das Wort „hypotássomai“ (sich unterordnen) noch das Wort „hypakoúo“ (gehorchen). Stattdessen befinden sich hier zwei andere Worte von wesentlich schwächerer Bedeutung: „peíthomai“ =“sich (freiwillig) überzeugen lassen“, und „hypeíko“= „nachgeben“. Eine genauere Übersetzung wäre: „Lasst euch von euren Leitern überzeugen und gebt ihnen nach, denn sie wachen zum Besten eurer Seelen …“
Das Neue Testament verwendet also recht viele Worte darauf, die „richtige Ordnung“ in den Familienbeziehungen darzulegen; aber es sagt beinahe nichts über eine derartige „Unterordnungsstruktur“ in der christlichen Gemeinde!
Wir finden ausserdem im Zusammenhang mit den bereits zitierten Stellen zwei Verse, die sagen: „Ordnet euch einander unter“ (Epheser 5,21, 1.Petrus 5,5). Die „Unterordnungsstrukturen“, die wir bis jetzt betrachtet haben, sind also nicht absolut. Sie müssen eingebettet sein in eine Umgebung von gegenseitigem Respekt und Unterordnung – sowohl in der Familie als auch in der Gemeinde.
Wir kommen also zu folgendem Schluss:
Die Unterordnung in der Gemeinde des Herrn soll nicht als Ausdruck einer hierarchischen und künstlichen Struktur verstanden werden, wie es z.B. in den Institutionen des Staates der Fall ist. In der Gemeinde ist die Unterordnung vielmehr eine natürliche Folge der familiären Beziehungen, die in den Kern- und erweiterten Familien existieren. Aus biblischer Sicht besteht in den Familien eine viel stärkere und wichtigere „Unterordnungsstruktur“ als in der Gemeinde. Diese Familienstrukturen sind der natürliche Ursprung der Ältestenschaft in der Gemeinde, und sie sind auch der Ursprung des Respekts und der Unterordnung, die freiwillig den Ältesten als weisen und reifen Vätern im Herrn entgegengebracht werden.
Jene Personen, die würdig sind, dass man sich ihnen auf diese Weise unterordnet, unterscheiden sich nicht durch ein definiertes „Amt“ oder eine „Position“, sondern dadurch, dass sie sich freiwillig „zum Dienst für die Heiligen gesetzt haben“ (1.Korinther 16,15-16), und dass sie als solche von der Gemeinde anerkannt wurden. All das ist eingebettet in die gegenseitige Unterordnung, die allen Gliedern der Familie Gottes entgegengebracht wird, unabhängig von ihrer Funktion in der Gemeinde oder Familie.
Im Licht der neutestamentlichen Lehre sollte jedem Leiter misstraut werden, der Unterordnung unter seine Person einfordert; und insbesondere dann, wenn diese Unterordnung kollidiert mit den von Gott eingesetzten familiären Beziehungen zwischen Ehepartnern oder zwischen Eltern und Kindern.