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Krise in den evangelischen Gemeinden

26. Juni 2010

Von Guillermo Green

Eine nüchterne Betrachtung der Situation der evangelischen Gemeinden Lateinamerikas. Gefunden auf Spanisch im Blog http://tiempospeligrosos.com. Die nachfolgende Betrachtung kann durchaus auch der europäischen Christenheit etwas zu sagen haben.

(Vorbemerkung des Übersetzers: Die spanische Sprache kennt die spitzfindige Unterscheidung zwischen „evangelisch“ und „evangelikal“ nicht. Kirchen, die den lutherischen oder reformierten Landeskirchen im deutschsprachigen Raum vergleichbar wären, gibt es in Lateinamerika nicht. „Evangelisch“ bedeutet in diesem Zusammenhang also vorwiegend „evangelikal“ bzw. „pfingstlich“, wobei die lateinamerikanischen „Evangelikalen“ aber schon ziemlich stark von der liberalen Theologie und vom Ökumenismus beeinflusst sind.)

Als Jorge Gómez sein Buch schrieb, „Das Wachstum und der Abfall in den evangelischen Gemeinden von Costa Rica“ (INDEF, 1996), ignorierten viele Pastoren seines Landes diese Studie, oder noch schlimmer, sie verlachten ihn als einen weiteren „Spielverderber“. Sie hätten besser auf ihn gehört. Edward Cleary, ein Missionar in Bolivien und Perú und z.Z. Professor für lateinamerikanische Studien am Providence College, Rhode Island, hat soeben bestätigt, dass nicht alles zum Besten bestellt ist in den evangelischen Gemeinden in Lateinamerika. Tatsächlich geht es ihnen schlecht.

Während der letzten Jahrzehnte richtete sich viel Aufmerksamkeit auf die Personen, die die katholische Kirche verliessen, um sich evangelischen (vorwiegend pfingstlichen) Gemeinden anzuschliessen. Es wurden viele Artikel geschrieben, Umfragen angestellt, und Siegesgesänge angestimmt – wie z.B. die angeblichen Zahlen aus Guatemala, wonach 50% des Landes evangelisch sein sollen. Aber unsere Brillen waren nicht richtig eingestellt; wir litten unter Kurzsichtigkeit. Während viele Menschen die katholische Kirche verliessen, erstarkten gleichzeitig die einheimischen Religionen, und eine „Erweckung“ des alten amerikanischen Heidentums ist unterwegs. Das bedeutet, dass nicht alle, die die katholische Kirche verliessen, sich den Evangelischen anschlossen. Ebenso wachsen z.Z. die östlichen Religionen inbegriffen „New Age“, der Buddhismus und der Gnostizismus, auf aufsehenerregende Weise. Und da diese Bewegungen keine eigentliche „Mitgliedschaft“ haben, ist es schwierig, die Anzahl ihrer Anhänger festzustellen – zumal viele gleichzeitig die katholische oder evangelische Religion praktizieren. Die Pfingstbewegung selber hat eine Wandlung erlebt und ist in vielen Regionen zu einer neuen Religion geworden, zu einer Neo-Pfingstbewegung, die „Gesundheit, Wohlstand und Sieg“ betont. Und während die alte Garde weiterhin proklamiert: „Wir haben Erweckung“, müssen wir uns heute fragen: „Erweckung welcher Religion?“ Als Tatsache bleibt, dass die letzten drei Jahrzehnte massive Bewegungen von einer Religion zur anderen gesehen haben. Anscheinend gehen diese Bewegungen gegenwärtig weiter. Und anscheinend ist die evangelische Kirche von ebendiesem Prozess sehr betroffen.

Heute gibt es bessere Kriterien und tiefergehende Untersuchungen des Phänomens, das Lateinamerika erlebt. Es ist schon fast „Mode“ geworden, seine Religion zu wechseln. Das Problem ist, dass somit für viele ihre „Bekehrung“ zum evangelischen Glauben nichts weiter ist als eine Mode. Betrachten wir einige Statistiken.

Ziffern und Zahlen

Die Wissenschaft der Umfragen und Ziffern ist schwierig. Wir ziehen den Hut vor jenen, die diese wertvollen Untersuchungen anstellen. Der Optimismus hat jedoch die Evangelischen auf beklagenswerte Weise beeinflusst bei ihren Umfragen. Z.B. veröffentlichte Johnstone in „Operation World“ 1993, dass 27,9% der Chilenen Protestanten seien, davon 25,4% der Chilenen Pfingstler. Aber eine sorgfältige Volkszählung von 1992 zeigte, dass nur 12,4% evangelisch waren. 2002 lag die Zahl bei etwa 16%. In Brasilien war das Wachstum der evangelischen Kirchen sehr schnell; wahrscheinlich wohnt die Hälfte der lateinamerikanischen Evangelischen in Brasilien. 1993 sagte Johnstone, dass dort 21,6% der Bevölkerung evangelisch waren; aber das kontrastiert mit der Volkszählung von 2000, die den Prozentsatz der Evangelischen mit 15,4 angibt.

(Anm. d. Ü: Vor Jahren habe ich persönlich im peruanischen Zweig von „DAWN“ mitbekommen, wie deren Statistiken zustandekommen. Man geht dort grundsätzlich davon aus, dass auf jedes evangelische Gemeindemitglied zwei „Sympathisanten“ kommen, die die Gemeinde besuchen und von ihrer Überzeugung her ebenfalls evangelisch sind. Somit wird die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder mit drei multipliziert und dies als die Zahl der Evangelischen angegeben. – In Wirklichkeit kann aber selbst von den eingetragenen Mitgliedern nur eine kleine Minderheit eine persönliche Wiedergeburt bezeugen.)

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