Archive for Dezember 2016

Die neutestamentliche Gemeinde in Johannes 10 (2.Teil)

19. Dezember 2016

Die Schafe folgen dem Guten Hirten.

Das Gleichnis in Johannes 10 betont die enge Vertrauensbeziehung zwischen den Schafen und dem Guten Hirten:
„Die Schafe hören seine Stimme, und er ruft seine eigenen Schafe, jedes mit Namen, und führt sie hinaus. Wenn er seine eigenen Schafe hinausgeführt hat, geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm, denn sie kennen seine Stimme.“ (Johannes 10,3-4)
„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir …“ (Vers 27)

Hier in Perú (und möglicherweise auch in den anderen ehemaligen spanischen Kolonien) sind diese Worte noch schwieriger zu verstehen als in der europäischen Kultur. Peruanische Hirten gehen nicht vor ihren Schafen her. Sie gehen hinter ihnen und treiben sie vor sich her, so wie man es z.B. mit Kühen machen würde. Dieser kleine kulturelle Unterschied ist ein grosses Hindernis zum Verständnis des Evangeliums. Es macht einen grossen Unterschied in der Beziehung zwischen Hirte und Herde, ob der Hirte vor den Schafen hergeht oder hinter ihnen.

Wo der Hirte die Schafe vor sich hertreibt, besteht eine Beziehung der Überwachung und des gegenseitigen Misstrauens. Die Schafe haben niemanden, dem sie folgen können; sie müssen den Weg selber finden. Ausserdem fühlen sie sich ständig von hinten bedroht. Statt ihrem Hirten zu vertrauen, fürchten sie ihn. Der Hirte vertraut seinen Schafen ebensowenig: er muss sie antreiben, damit sie vorwärtsgehen, und er muss sie ständig überwachen, damit sie nicht vom Weg abkommen.
Das ist genau die Art von Beziehung, die in Perú seit der spanischen Eroberung herrscht zwischen Leitern und Geleiteten in der Gesellschaft, in der Politik, in der Arbeitswelt, und auch in den Kirchen: Antreiben und angetrieben werden; manipulieren, andere ausnützen, und ausgenützt werden. Auch in europäischen Kirchen habe ich diese Art kontrolliender, überwachender und manipulierender „Leiterschaft“ beobachten müssen. Aber wo diese Art von Beziehungen herrscht, da ist nicht neutestamentliche Gemeinde. Diese Beziehungen müssen vom Evangelium grundlegend verändert werden.

Wo der Hirte vor den Schafen hergeht, da sieht es ganz anders aus: Es herrscht eine gegenseitige Vertrauensbeziehung. Die Schafe vertrauen, dass der Hirte sie zu einem guten Ort führen wird, wo es zu essen gibt, und deshalb folgen sie ihm vertrauensvoll. Aber auch der Hirte vertraut seinen Schafen: er vertraut ihnen, dass sie ihm freiwillig folgen werden, und muss sie nicht ständig überwachen. – Ausserdem ist der Hirte derjenige, der als erster den Weg begeht. Wenn irgendwo ein gefährlicher Abgrund ist, eine kaputte Brücke, ein Sumpf, oder sonst ein Hindernis, dann ist der Hirte der erste, der der Gefahr begegnet und sie von den Schafen abwendet.
Das ist die Art von Beziehung, die wir mit dem Herrn Jesus haben können; und das ist auch die Art von Beziehung, die in einer echten christlichen Gemeinde zwischen „Leitern“ und anderen Christen besteht.

Wir stellen ausserdem fest, dass die Schafe immer dem Guten Hirten folgen, nicht einem anderen Schaf! In diesem Gleichnis muss jeder Älteste, „Pastor“ oder „Leiter“ sich selber als Schaf identifizieren, nicht als „Hirte“. Sicher, einige Schafe kennen den Weg besser als andere; aber das rechtfertigt nicht, dass sie sich über die Herde erheben und die Rolle des Hirten an sich reissen würden. Auch jene Schafe, die eine „Leitungsfunktion“ ausüben, werden dadurch nicht zu etwas anderem als Schafe. Eine Gruppe von Christen hört auf, neutestamentliche Gemeinde zu sein, wenn ihre Leiter sich anmassen, die Leben ihrer Mitchristen so zu überwachen und zu dirigieren, wie es allein dem Guten Hirten zusteht.

Die neutestamentliche Gemeinde in Johannes 10

12. Dezember 2016

Nachdem wir einige Worte des Herrn in Matthäus 18 und 23 betrachtet haben, gehen wir nun zu Johannes 10. In diesem Kapitel kommt zwar das Wort „Gemeinde“ nicht vor; aber Jesus spricht symbolisch von der „Schafherde“ und vom „Hirten“. Offenbar ist das ein Gleichnis über die christliche Gemeinde. Untersuchen wir einige Aspekte dieses Gleichnisses.

Die Tür zu den Schafen

Es gibt eine Tür zur Schafhürde, wo die Schafe ein und aus gehen. Jesus sagt: „ICH bin die Tür zu den Schafen“. (Johannes 10,7). Das ist sehr wichtig, um die neutestamentliche Gemeinde zu verstehen. Es gibt eine einzige Art, wie man Teil der Gemeinde werden kann und mit ihr in Kontakt kommen kann: Man muss durch Jesus hineingehen.
Der Herr fährt weiter: „Wenn jemand durch mich hineingeht, wird er gerettet werden; und er wird ein und aus gehen und Weide finden.“ (Vers 9). Wir erinnern uns an ein Lied Davids, das er wahrscheinlich komponierte, während er Schafe hütete: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Auf saftigen Weideplätzen lässt er mich ausruhen. An ruhigen Wassern weidet er mich. Er tröstet meine Seele.“ (Psalm 23,1-3) Wenn jemand durch die Tür hineingeht, die Jesus ist, dann führt ihn der Herr auf eine gute Weide. Und dort wird er auch die anderen Schafe antreffen. Wenn wir durch Jesus hineingehen, finden wir auch die Gemeinschaft mit seinen anderen Schafen.

Es ist so wichtig, dies zu verstehen, weil die katholische Kirche diese Ordnung auf den Kopf gestellt hat, und die evangelischen und evangelikalen Kirchen sind ihr darin nachgefolgt. Der römische Katholizismus lehrt, dass die Errettung von der Kirche kommt: „Ausserhalb der Kirche gibt es kein Heil.“ Und ganz ähnlich sagen die Evangelikalen: „Komm zur Kirche, damit du den Herrn kennenlernst.“ In dieser Sichtweise ist die Kirche eine Institution zur Verwaltung des Heils; eine Institution, die ein Eigenleben führt, unabhängig von den einzelnen Christen. Diese Institution stellt sich zwischen den Herrn und die einzelnen Christen. Von daher kommt die Abhängigkeit vom Priestertum, die macht, dass die Christen von einer Institution abhängig werden, oder von den Leitern dieser Institution, statt vom Herrn selber abhängig zu sein.

Das Gleichnis vom Guten Hirten zeigt uns eine andere Sichtweise: Die Gemeinde ist die „Schafherde“, die Gemeinschaft aller Christen. Sie ist weder ein Gebäude noch eine Institution; die Gemeinde ist eine Gruppe von Menschen. Sie besteht aus all jenen Menschen, die „durch Jesus hineingingen“, d.h. die eine persönliche Begegnung mit Jesus hatten und aufgrund dieser Begegnung errettet wurden. Sie sind definitionsgemäss „Gemeinde“, unabhängig von der äusseren Form, welche die Gemeinschaft unter ihnen annimmt. Sie sind in Gemeinschaft miteinander, weil sie zu Jesus gehören; nicht wegen einer gemeinsamen Mitgliedschaft in irgendeiner Institution. – Andererseits darf sich keine Institution rechtmässig „christliche Gemeinde“ nennen, wenn ihre Mitglieder durch irgendeinen anderen Prozess hineingekommen sind als eine persönliche Begegnung mit Jesus. Anstelle des katholischen Mottos sollten wir richtiger sagen: „Ausserhalb des Heils gibt es keine Gemeinde.“

Damit verachten wir keineswegs die Rolle, die den Christen dabei zukommt, andere Menschen zum Herrn zu führen. Nur müssen wir zwischen zwei Aspekten des christlichen Lebens unterscheiden:

Einerseits die Tätigkeit individueller Christen in ihrem Zeugnis für den Herrn und der Verbreitung des Evangeliums, was sowohl privat wie auch öffentlich geschehen kann;
und andererseits die Gemeinde im eigentlichen Sinn als Versammlung der Christen.

Das Zeugnis von Christen hat den Zweck, dass andere Menschen den Herrn persönlich kennenlernen können. Das geschieht nicht in Form eines „Rituals“ oder einer „institutionellen Handlung“. Es kann nur geschehen, wenn der Herr selber diesen Personen begegnet und sich ihnen offenbart. (Vgl. Lukas 10,22: „Niemand kennt, wer der Sohn ist, als nur der Vater; und [niemand kennt,] wer der Vater ist, als nur der Sohn, und wem es der Sohn offenbaren will.“ Und Galater 1,15-16: „Als es aber Gott gefiel, … seinen Sohn in mir zu offenbaren…“) Die „Eingangstür“ ist immer Jesus selber; sie kann nicht durch einen Prediger oder eine Institution ersetzt werden.

Eine Evangelisationsveranstaltung ist nicht „Gemeinde“. Die Gemeinde ist die Gemeinschaft jener, die bereits errettet sind; Evangelisation richtet sich an Unerrettete. Für die ersten Christen war dieser Unterschied sehr klar. Sie bezeugten Jesus privat und in der Öffentlichkeit, wo immer sich eine Gelegenheit bot; aber das nannten sie nicht „Gemeinde“. Wenn sie sich hingegen unter sich versammelten, dann luden sie keine Aussenstehenden dazu ein. Es wird sogar berichtet, dass „von den übrigen sich niemand getraute, sich ihnen anzuschliessen“ (Apostelgeschichte 5,13).

Die neutestamentliche Gemeinde in Matthäus 23 (3.Teil)

3. Dezember 2016

In der neutestamentlichen Gemeinde wird „Leiterschaft“ durch Dienst ersetzt.

Das sehen wir in Vers 12 unseres Kapitels Matthäus 23:

„Aber der grösste von euch sei euer Diener. Und jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und jeder, der sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

Wir können mehrere Parallelstellen zitieren:

„Ihr wisst, dass die Machthaber der Völker über sie herrschen, und die Grossen missbrauchen ihre Macht über sie. Unter euch soll es nicht so sein; sondern wer unter euch gross sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch wichtiger sein will, sei euer Sklave; wie auch der Menschensohn nicht gekommen ist, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld zu geben für viele.“ (Matthäus 20,25-28)

„Die Könige der Völker knechten sie, und die über sie herrschen, lassen sich Wohltäter nennen. Aber ihr sollt nicht so sein; sondern der Grösste unter euch soll werden wie der Jüngste, und der Leitende wie der Dienende. Denn wer ist wichtiger, der am Tisch sitzt oder der bedient? Nicht der, der am Tisch sitzt? Aber ich bin mitten unter euch wie der, der bedient.“ (Lukas 22,25-27)

„Ihr nennt mich ‚Meister‘ und ‚Herr‘, und das sagt ihr gut; denn ich bin es. Wenn also ich, der Herr und Meister, eure Füsse gewaschen habe, dann sollt auch ihr einander die Füsse waschen; denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr so tut, wie ich euch getan habe.“ (Johannes 13,13-15)

Ein „Leiter“ in der neutestamentlichen Gemeinde hat keine Privilegien. Jesus beanspruchte keine Privilegien vor seinen Jüngern und behandelte sie auch nicht autoritär. Sie anerkannten ihn als ihren Meister, weil sie in ihm eine echte Weisheit, Geistlichkeit und Autorität sahen, die sich in seinen Worten und in seinem Beispiel manifestierte. Deshalb war er es würdig, dass sie ihm nachfolgten. Und deshalb konnte er seinen Jüngern dienen, ohne seine Autorität zu verlieren.
Das ist das Beispiel, das Jesus allen Leitern unter seinen Jüngern nach ihm hinterliess. Ein echter christlicher Leiter sucht nicht ein „Amt“, eine „höhere Stellung“, oder Privilegien. Er knechtet seine Glaubensgeschwister nicht. Im Gegenteil, er übt seine Verantwortung zum Wohlergehen seiner Glaubensgeschwister aus. Ein echter christlicher Leiter wird immer ein Beispiel dieser Haltung geben, die auch im Herrn selber war: „Wir sollen (…) nicht uns selber zu Gefallen leben. Jeder von uns lebe dem andern zu Gefallen, indem er das Gute tut und ihn auferbaut. Denn auch der Christus hat nicht sich selber zu Gefallen gelebt …“ (Römer 15,1-3)

Aus der nichtchristlichen Welt sind wir es gewohnt, dass „Leiterschaft“ gleichbedeutend ist mit „herrschen“ oder „andere knechten“. Deshalb musste Jesus sehr klar sagen, dass in seinem Reich die Dinge anders sind. Ja, es gibt eine Vielfalt von Gaben und Funktionen in der Gemeinde (Römer 12,4-5, 1.Korinther 12,4-6); und einige dieser Funktionen schliessen das ein, was wir gemeinhin „Leiterschaft“ nennen. Aber in der christlichen Gemeinde begründet diese Vielfalt der Funktionen keine hierarchische Struktur und keine Unterscheidung zwischen „Geistlichen“ und „Laien“ (Siehe die vorhergehenden Betrachtungen.) Wer eine „Leiterschaftsfunktion“ innehat, steht deswegen nicht „über“ seinen Glaubensgeschwistern.

Es ist interessant zu beobachten, wie sorgfältig sich die Schreiber des Neuen Testaments in dieser Hinsicht ausdrücken: In einem weltlichen Kontext haben sie kein Problem zu sagen, ein Leiter sei „über“ anderen. Aber sie gebrauchen dieses Wort „über“ nicht, wenn sie sich auf einen christlichen Leiter beziehen. Betrachten wir nochmals genau Matthäus 20,25-27: „… die Grossen missbrauchen ihre Macht über sie. Unter euch soll es nicht so sein; sondern wer unter euch gross sein will, (…) und wer unter euch wichtiger sein will …“

In vielen gegenwärtigen Kirchen ist „Leiterschaft“ zu einer Machtposition geworden, verbunden mit viel Einfluss und manchmal auch finanziellem Gewinn. Infolgedessen fühlen sich jene Personen zu diesen Positionen hingezogen, die genau das suchen: Macht, Einfluss, und Reichtum. Das heisst, die Leiterschaftsstellungen werden allmählich von den ungeistlichsten Menschen eingenommen; von jenen, die in Bibelstellen wie den folgenden beschrieben werden:
„… Menschen mit verdorbenem Sinn, die die Wahrheit nicht haben, die fälschlich denken, die Gottesfurcht sei ein Mittel, Geld zu gewinnen …“ (1.Timotheus 6,5)
„… Feinde des Kreuzes Christi, deren Bestimmung das Verderben ist, deren Gott der Bauch ist, und deren Ehre in ihre Schande ist; die [nur] an das Irdische denken.“ (Philipper 3,18-19)
(Über die falschen Apostel): „… wenn jemand euch knechtet, wenn jemand euch aufzehrt, wenn jemand das Eure nimmt, wenn jemand sich selbst erhöht, wenn euch jemand ins Gesicht schlägt.“ (2.Korinther 11,20)
„… der es liebt, der Erste von ihnen zu sein, Diotrephes, nimmt uns nicht auf. (…) und nicht zufrieden damit, nimmt er auch die Brüder nicht auf; und jene, die [sie aufnehmen] wollen, hindert er daran und schliesst sie aus der Versammlung aus.“ (3.Johannes 9-10)

So entstehen Kirchen, die dem Anschein nach aufblühen, aber in geistlichem Elend leben; die voll von Habsucht, Intrigen, Lügen, Betrug, und weltlichem Ehrgeiz sind. Wo solche Dinge zu beobachten sind, und die Versammlung ergreift keine Massnahmen, um diese schlechten Leiter zu korrigieren und sie durch echte geistliche Leiter zu ersetzen, da können wir wissen, dass es sich nicht um neutestamentliche Gemeinde handelt.

Die Situation ist ganz anders an Orten wie China, wo die echte Gemeinde unter ständiger Bedrohung lebt. In China muss ein Gemeindeleiter damit rechnen, in Armut zu leben, und er geht ein erhöhtes Risiko ein, Verfolgung und Tod zu erleiden. Einige der wichtigsten christlichen Leiter in China können nicht einmal einer Gemeinde vorstehen, weil sie sich versteckt halten müssen; ihr ganzer Dienst besteht aus Fasten und Gebet, und Beratung anderer Leiter, die aktiv das Evangelium verkünden.
Dieselbe Situation – oder sogar noch schlimmer – besteht in vielen islamischen Ländern.
In solchen Umständen ist es viel wahrscheinlicher, dass tatsächlich die geistlicheren Christen Leiterschaft anstreben. Sie werden auf dieser Erde nicht belohnt werden dafür; deshalb wird ihre Belohnung vom Herrn umso grösser sein.

Es wäre traurig, wenn die Gemeinde nur in Verfolgungszeiten geistlich aufblühen könnte. Aber in Zeiten der Freiheit könnten wir zumindest die Leiter nach diesem Kriterium prüfen: Wäre diese Person auch unter den Umständen der chinesischen Gemeinde ein Leiter? Ist er in Leiterschaft, weil er dienen will, oder weil er herrschen will?