Archive for März 2012

Das Neue Testament – „Amtliche Version“ (Teil 2)

31. März 2012

Andere Ausdrücke für „Diener“

Es gibt im Griechischen des Neuen Testamentes einige andere sinnverwandte Wörter für „Diener“. Eines davon ist „hypäretäs“, das u.a. für Synagogen-, Gerichts-, u.ä. „offizielle“ Diener gebraucht wird. In den beiden von mir hier verwendeten Übersetzungen ist dieses Wort an keiner Stelle „amtlich“ übersetzt worden; aber vielleicht gibt es andere Übersetzungen (so gesehen z.B. im Spanischen), die das tun.

Ein anderes solches Wort ist „leitourgós“. Davon abgeleitet ist „leitourgía“ (Dienst); ein Ausdruck, der im Neuen Testament vor allem für zweierlei Dinge verwendet wird: für finanzielle Dienstleistungen, und für den Dienst eines jüdischen Priesters nach der Ordnung des Alten Testaments. Von daher kommt unser Wort „Liturgie“. Hier fällt mir auf, dass dieses Wort seinen Ursprung im alttestamentlichen Priestertum hat, welches mit dem Kommen Jesu hinfällig geworden ist. Der neutestamentliche Gläubige braucht keinen Priester oder Mittler mehr, um sich Gott zu nähern, denn die Mittlerschaft von Jesus Christus genügt dazu völlig (1.Tim.2,5, Hebr.10,19-22). Andererseits ist jeder Christ ein Priester vor Gott (1.Petrus 2,5.9). Der ursprüngliche Sinn von „Liturgie“ bezieht sich also auf etwas, was wir als Christen gar nicht mehr nötig haben!

Luther übersetzt „leitourgía“ in Lukas 1,23 und Hebräer 8,6 mit „Amt“ (es geht hier um den alttestamentlichen Priesterdienst), während die Zürcher Übersetzung an diesen Stellen „Dienst“ sagt. In Hebräer 9,21 haben dagegen beide Übersetzungen „Gottesdienst“. (Was ist „Gottesdienst“? Eine rituelle Verrichtung, oder ein Leben im Gehorsam Gott gegenüber? Das Problem liegt hier nicht so sehr in der Übersetzung, als vielmehr in unserem heutigen (Miss-)Verständnis des Wortes „Gottesdienst“.)
– In Philipper 2,30 sagt Luther „dienen“ und in 2.Korinther 9,12 „Steuer“ (in diesen beiden Stellen geht es um finanzielle Hilfe); die Zürcher Bibel übersetzt in beiden Stellen „Dienstleistung“. – Ein besonderes Problem scheint den Übersetzern Philipper 2,17 gewesen zu sein: „Und wenn ich auch als Trankopfer ausgegossen werde über dem Opfer und Dienst (leitourgía) eures Glaubens, so freue ich mich und freue mich mit euch allen.“ Die Lutherübersetzung hat hier „Gottesdienst“ (statt einfach „Dienst“); die Zürcher Übersetzung sagt „priesterliche Darbringung“ (wohl aus der Überlegung heraus, dass „leitourgía“ in anderem Zusammenhang für den Priesterdienst verwendet wird). Aber diese Übersetzungen bringen bereits ein bestimmtes Vorverständnis über die Auslegung mit hinein. Natürlich ist diese Stelle nicht so einfach zu verstehen, weil Paulus hier neutestamentliches christliches Leben in alttestamentlichen Begriffen ausdrückt. Aber warum nicht diese Verständnis- und Auslegungsarbeit dem Leser überlassen, indem man einfach das neutrale Wort „Dienst“ als Übersetzung gebraucht? – Dasselbe gilt für die anderen angeführten Stellen.


Hierarchische Stellung, oder einfache Beschreibung einer Funktion?

Untersuchen wir jetzt einige Ausdrücke, die für spezifische „Ämter“ (Dienste) verwendet werden.

Beginnen wir mit dem „Bischof“ – ein Ausdruck, der bereits im zweiten Jahrhundert so gebraucht wurde, als handelte es sich um die „höchste Stufe in der kirchlichen Hierarchie“. „Bischof“ ist eine verballhornte Form des griechischen „epískopos“, was wörtlich „Aufseher“ bedeutet. Genauso wie „diákonos“, handelt es sich um einen Begriff, der ursprünglich kein bestimmtes „Amt“ bedeutete. Er bezeichnete einfach die Tätigkeit der Fürsorge und Wachsamkeit für andere. Es würde keineswegs schaden, „epískopos“ mit „Aufseher“, „Fürsorger“ o.ä. zu übersetzen, statt des künstlichen Wortes „Bischof“.
Dieses Wort kommt fünfmal im Neuen Testament vor (Apg.20,28, Phil.1,1, 1.Tim.3,2, Titus 1,7, 1.Petrus 2,25). Von diesen Stellen gibt uns jene in der Apostelgeschichte eine besondere Information: Paulus spricht hier zu den versammelten Ältesten von Ephesus (Apg.20,17), und zu ihnen sagt er, dass „euch der Heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen (Aufsehern)„. Somit ist „Bischof“ (Aufseher) kein „Amt“ für sich; es handelt sich einfach um eine der Funktionen der Ältesten.

Von „epískopos“ abgeleitet ist das Verb „episkopéo“ (Aufsicht üben; achtgeben). Es kommt zweimal vor im Neuen Testament: In 1.Petrus 5,2 wird es als eine Funktion der Ältesten genannt (Luther übersetzt „wohl zusehen“; während die Zürcher Übersetzung das Wort auslässt). Und in Hebräer 12,15 wird es als eine der Funktionen aller Mitglieder der christlichen Gemeinschaft genannt, und wird übersetzt mit „darauf sehen“ oder „zusehen“.

Dann gibt es noch das Wort „episkopé“ (Aufsicht), welches in diesem Sinn vorkommt in Apg.1,20 und 1.Tim.3,1. In der Timotheusstelle wird es einhellig als „Bischofsamt“ übersetzt (obwohl es sich in Wirklichkeit, wie wir gesehen haben, um eine der Funktionen der Ältesten handelt.) In der Apostelgeschichte, wo gesagt wird, jemand müsse die „episkopé“ des Judas übernehmen, sagt die Zürcher Übersetzung „Vorsteheramt“ (auch in Apg.20,28 und Phil.1,1 übersetzt diese Version „Vorsteher“, nicht „Bischof“). – Es gibt aber keinen Wortbestandteil in „episkopé“, der „Amt“ bedeutet. – Luther sagt dagegen in Apg.1,20 „Bistum“. (Was für einem „Bistum“ ist Judas vorgestanden??)
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass „episkopé“ noch einen anderen Sinn hat, nämlich den der „Aufmerksamkeit“ Gottes oder seines Eingreifens. In diesem Sinn kommt das Wort in Lukas 19,44 und 1.Petrus 2,12 vor und wird normalerweise mit „Heimsuchung“ übersetzt.

Wenn wir nun zu dem Begriff des „Ältesten“ (presbýteros) kommen, so habe ich keine Probleme mit der Übersetzung. Wörtlich handelt es sich zwar um einen Komparativ („die Älteren“) – was bedeutet, dass in dem Fall, wo eine Gemeinde ausschliesslich aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen besteht, die „Älteren“ weniger als dreissig Jahre alt sein könnten. Aber von mir aus gesehen macht es keinen grossen Unterschied, ob man „die Älteren“ oder „die Ältesten“ sagt. Es ist ein Begriff, der weitgehend seinen normalen Wortsinn beibehalten hat. „Alt“ oder „Ältester“ zu sein, ist keine hierarchische Stellung; es ist eine Anerkennung aufgrund der (v.a. geistlichen) Reife, die von den übrigen Geschwistern im Leben dieser Personen festgestellt wird.
Einige Gemeinden haben zwar auch die Funktion der Ältesten zu einem hierarchischen „Amt“ gemacht. Dabei sind in den meisten dieser Gemeinden die „Ältesten“ dem „Pastor“ untergeordnet, wodurch sie faktisch zu „Zweitältesten“ degradiert werden. Ein solches Zweistufenschema (Älteste-Pastor) ist in der Bibel nicht zu finden.
Ein kleines Problem habe ich mit der Übersetzung von 1.Timotheus 4,14, wo die Kollektivform „presbytérion“ (Gemeinschaft der Ältesten) vorkommt. Die Zürcher Übersetzung macht daraus einen „Rat der Ältesten“, was dem Begriff sofort einen Beigeschmack von „Amtlichkeit“ und „Parlamentssitzung“ gibt. Luther sagt dagegen schlicht – und richtiger – „unter Handauflegung der Ältesten„.
Es gibt Denominationen, die auch diesen Begriff in ihre eigene Sprache aufgenommen haben und die Behörde des „Presbyteriums“ eingeführt haben (so gibt es z.B. die „Presbyterianische Kirche“). Ich denke, deutschsprachige Leser werden schnell die Künstlichkeit dieses Begriffs erkennen.

Sehen wir uns jetzt das Wort an, das die Evangelischen bzw. Evangelikalen normalerweise für ihre Gemeindeleiter gebrauchen: „Pastor“ (oder davon abgeleitet „Pfarrer“).
Es handelt sich dabei um das Wort „Hirte“ auf lateinisch; im Griechischen des Neuen Testamentes heisst es „poimén“ und wird durchwegs richtig und natürlich mit „Hirte“ übersetzt. Auffallend ist jetzt aber, dass dieses Wort im Neuen Testament nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit geistlichem Dienst vorkommt: in Epheser 4,11, fast am Ende einer Liste von fünf verschiedenen „Gaben zur Auferbauung der Heiligen“. Ausserdem kommt es in sieben neutestamentlichen Versen in seinem eigentlichen Sinn vor (Viehhirte); sowie in neun Versen, in denen sich Jesus selber mit einem Hirten vergleicht.
Natürlich hatten die Christen jener Zeit keinerlei „amtliche“ oder „hierarchische“ Vorstellung, wenn sie das Wort „Hirte“/“Pastor“ hörten! Sie hatten niemals einen gutgekleideten Mann auf einer Kanzel stehen sehen, der sich „Hirte“/“Pastor“ nennen liess. Die einzigen Hirten, die sie kannten, waren eben die Kuh- und Schafhirten ihrer ländlichen Umgebung. Wenn sich also Jesus mit einem Hirten verglich, dann war das ein Ausdruck äusserster Demut. Er verglich sich mit einer der einfachsten und ärmlichsten Tätigkeiten, die in seinem Umfeld ausgeübt wurden!

Es gibt ausserdem das abgeleitete Verb „poimaino“ (weiden; als Hirte hüten). Dieses Wort kommt zweimal in seinem eigentlichen Sinn vor (Vieh weiden), und fünfmal als Beschreibung von Jesus. Als Funktion in der christlichen Gemeinschaft kommt es an drei Stellen vor (Johannes 21,6, Apostelgeschichte 20,28, und 1.Petrus 5,2). In Johannes 21 handelt es sich um den Auftrag Jesu an Petrus. In der Apostelgeschichte und im 1.Petrusbrief geht es um eine Funktion der Ältesten. (In diesem Zusammenhang nennt sich auch Petrus selber im vorangehenden Vers „Ältester“.)
Der „Hirtendienst“ bzw. das „Pfarramt“ ist also, ebenso wie das „Bischofsamt“, in Wirklichkeit kein gesondertes „Amt“. Es ist einfach eine der Funktionen der Ältesten in der Gemeinde.

Dann gibt es noch ein griechisches Wort, das in verschiedenen Übersetzungen, und sogar an verschiedenen Stellen innerhalb derselben Übersetzung, ganz unterschiedlich wiedergegeben wird. Es erstaunt mich eigentlich, dass noch niemand auf die Idee gekommen ist, aus diesem Wort eine kirchlich-hierarchische „Amtsbezeichnung“ zu machen. Es handelt sich um das Wort „hägoúmenos“, das wörtlich „Führer“ oder „Leiter“ bedeutet. Von allen neutestamentlichen Begriffen ist das also derjenige, der unserem heutigen Konzept von „Leiterschaft“ am nächsten kommt.

Im Neuen Testament kommt „hägoumenos“ siebenmal vor. In Apostelgeschichte 7,10 wird es mit „Fürst“ bzw. „Regent“ übersetzt und bezieht sich auf die Regierungsstellung Josefs in Ägypten. In Matthäus 2,6 wird es mit „Herzog“ bzw. „Herrscher“ übersetzt und spricht von der Stellung des verheissenen Messias. In Lukas 22,26 spricht es von Leiterschaft im allgemeinen und wird mit „der Vornehmste“ bzw. „der Hochstehende“ übersetzt. In Apg.15,22 werden massgebende Männer in der christlichen Gemeinde und Reisebegleiter von Paulus und Barnabas so genannt. Die Zürcher Bibel übersetzt hier mit „führende Männer“; Luther – ziemlich unangebracht – mit „Lehrer“. Es ist interessant, dass das Neue Testament gerade hier, wo es um das Eigentliche von „Leiterschaft“ und Einfluss in der Gemeinde geht, keine spezifische „Amts-“ oder Funktionsbezeichnung gebraucht, sondern ein Wort, das eben nur gerade dies spezifisch ausdrückt: Leiterschaft.
Die meistzitierten (und am meisten missbrauchten) Stellen über „haegoúmenoi“ sind aber Hebräer 13,7 und 17 (und dazu am Rande noch Vers 24). Insbesondere Vers 17 wird oft als Begründung für die berühmt-berüchtigte Lehre von der „Unterordnung unter die Leiterschaft“ zitiert. Die Zürcher Bibel übersetzt hier mit „Vorsteher“, Luther wiederum mit „Lehrer“.
(Luther sah im Lehrdienst die wichtigste Aufgabe eines reformierten Pfarrers. Er hat damit leider das katholische Priester- und Sakramentssystem nicht wirklich überwunden, sondern ihm lediglich einen anderen Akzent gegeben. Er hat zwar dem Pfarrer seine priesterliche Mittlerfunktion genommen, die nur Jesus allein zukommt; aber dafür hat er ihm eine nicht weniger gefährliche andere Macht- und Monopolstellung verschafft: Er machte aus dem Pfarrer einen gelehrten Akademiker, der aufgrund seiner Studien über „geheimes Wissen“ verfügt, das gewöhnlichen Laien nicht zugänglich ist. „Wissensvermittlung“ ist aber nicht das Eigentliche am neutestamentlichen Lehrdienst, wie wir in der nächsten Folge sehen werden.)

Rechtfertigt nun Hebräer 13,17 den autoritären Leitungsstil, den allzuviele „Pastoren“ heutzutage ausüben? – Dieser Frage im Detail nachzugehen, würde hier zu weit führen. Ich hoffe mich ein anderes Mal damit befassen zu können. Hier nur stichwortartig drei Gründe, warum das nicht der Fall ist:

1. Dieser Vers identifiziert die „hägoúmenoi“ in keiner Weise mit den „Hirten“/“Pastoren“. Wir haben bereits gesehen, dass ein spezifisches „Pastorenamt“ (im heutigen Sinn) im Neuen Testament gar nicht existiert.
2. Die „hägoúmeoi“ werden in der Mehrzahl genannt; d.h. es gibt nicht nur einen einzigen von ihnen in der Gemeinde. Die Gemeinden im Neuen Testament wurden immer von einem Team von mehreren Leitern geleitet, nie von einem allein.
3. Die lehrreichste Stelle über die Rolle eines „hägoúmenos“ in der Gemeinde finden wir in Lukas 22,25-26. Da sagt Jesus, der Herr:

„Die Könige der Völker üben die Herrschaft über sie aus, und ihre Gewalthaber lassen sich Wohltäter nennen. Ihr dagegen nicht so! Sondern der Grösste unter euch soll werden wie der Jüngste, und der Hochstehende (=Leiter, hägoúmenos) wie der Dienende (diakonéo).“

In der christlichen Gemeinde darf sich also auch ein „hägoúmenos“ (Leiter) nicht anmassen, mehr zu sein als ein „diákonos“ (Diener). Er muss sogar umso mehr Diener werden, je wichtiger er sein möchte.

(Fortsetzung folgt)

Das Neue Testament – „Amtliche Version“

23. März 2012

Wenn ich über neutestamentliche Gemeinde sprechen will, stehe ich immer wieder vor dem Problem, dass die meisten unserer Bibelausgaben das Verständnis dieses Themas erschweren. Fast alle von uns haben sich angewöhnt, das Neue Testament in einer „amtlichen Version“ zu lesen. D.h. eine Übersetzung, die das gegenwärtige traditionelle Kirchenmodell voraussetzt, mit einem Pfarrer oder Pastor, der „predigt“, und vielen passiven Zuhörern, die dem Pastor folgen.

Da ich schon lange nicht mehr im deutschen Sprachraum lebe, habe ich keinen Überblick mehr über die deutschen Bibelübersetzungen. Ich nehme die Beispiele für diesen Artikel aus zwei älteren Versionen, die ich gerade zur Hand habe: die Lutherbibel in der Revision von 1912 und die Zürcher Bibel (Zwingli) in der Revision von 1931. Der Leser möge selber seine eigene Lieblingsübersetzung mit den folgenden Angaben zum Urtext vergleichen.

Im allgemeinen bin ich sehr für die älteren Bibelausgaben, da sie in der Regel noch näher am Urtext sind. Aber was das hier behandelte Thema betrifft, so sind diese – insbesondere die Lutherübersetzung, wie wir sehen werden – auch sehr „amtlich“, und verdunkeln damit den Sinn dessen, was die neutestamentliche Gemeinde wirklich war.

Das betrifft insbesondere das Wort „Amt“ selber. Woran denken wir zuerst, wenn wir z.B. vom „Predigtamt“ hören? An einen gutgekleideten „Pfarrer“ oder „Prediger“, der auf der Kanzel steht und über die Kirche regiert? Das vermittelt uns von Anfang an eine völlig verkehrte Vorstellung von der Gemeinde, die im Neuen Testament beschrieben wird. In Wirklichkeit existiert das Wort „Amt“ im Neuen Testament gar nicht! Wo es in den Übersetzungen vorkommt, steht im Urtext meistens eines von mehreren Wörtern, die schlicht „Dienst“ bedeuten und mit anderen Wörtern verwandt sind, die auch meistens mit „Diener“ übersetzt werden. Wären die „amtlichen Versionen“ konsequent, dann müssten sie statt von „Dienern Gottes“ von „Amtsträgern Gottes“ sprechen.

Vom Neuen Testament her gibt es aber keinerlei Grundlage, einen „Amtsträger“ über eine Gemeinde zu setzen und ihm Privilegien zu geben, die die „Laien“ nicht haben. Im Gegenteil: Wer „Amtsträger“ sein möchte, muss dazu bereit sein, die Stellung eines DIENERS einzunehmen.


„Amtsträger“, „Diakone“, oder „Diener“?

In der überwiegenden Mehrzahl der Stellen, wo in der Lutherübersetzung das Wort „Amt“ vorkommt, handelt es sich um die Übersetzung des griechischen Wortes „diakonía“. (Apg.1,17, 6,4, 20,24, 21,19, Röm.11,13, 12,7, 1.Kor.12,5, 2.Kor.3,7-9, 4,1, 5,18, 6,3, Kol.4,17, 1.Tim.1,12, 2 Tim.4,5.) Dieses selbe Wort wird aber an vielen anderen Stellen (richtigerweise) mit „Dienst“ oder „Dienen“ übersetzt (Lukas 10,40, Apg.1,25, Röm.15,31, 1.Kor.16,15, Eph.4.12, 2.Tim.4,11, Hebr.1,14, Offb.2,19); und in einer Reihe von weiteren Stellen (wo es in erster Linie um finanzielle Hilfeleistung geht) mit „Handreichung“ (Apg. 6,1, 11,29, 12,25, 2.Kor.8,4, 9,12).

Hier sehen wir bereits die Inkonsequenz der „amtlichen“ Bibelübersetzer. Ein und dasselbe griechische Wort, mit einem klaren und eindeutigen Sinn („Dienst“), wird willkürlich an einigen Stellen mit „Dienst“ und an anderen mit „Amt“ übersetzt. Diese Inkonsequenz kann nur einem einzigen Zweck dienen (amten?): das Image des „Amtsträgers“ auf seinem Podest zu halten, von den „Laien“ gesondert – während gleichzeitig versucht wird, den lächerlichen Eindruck zu vermeiden, der entstehen würde, wenn „diakonía“ konsequent mit „Amt“ übersetzt würde. So wie z.B. in den folgenden Stellen:

„In den Tagen aber, da der Jünger viele wurden, erhob sich ein Murmeln unter den Griechen wider die Hebräer, darum daß ihre Witwen übersehen wurden in dem täglichen Amt.“ (Apostelgeschichte 6,1)

„Aber unter den Jüngern beschloß ein jeglicher, nach dem er vermochte, zu senden ein Amt den Brüdern, die in Judäa wohnten … “ (Apostelgeschichte 11,29)

„Ich weiß deine Werke und deine Liebe und dein Amt und deinen Glauben und deine Geduld und daß du je länger, je mehr tust.“ (Offenbarung 2,19)

Offenbar zieht Luther die Übersetzung „Amt“ da vor, wo es um einen speziell „geistlichen“ Dienst geht wie z.B. Evangelisation, biblische Lehre, usw. Mit zwei bemerkenswerten Ausnahmen, wo die Lutherübersetzung trotzdem (richtigerweise) „Dienst“ sagt:

„daß einer empfange diesen Dienst und Apostelamt, davon Judas abgewichen ist, daß er hinginge an seinen Ort.“ (Apostelgeschichte 1,25)
– Hier hat die Wahl von „Dienst“ anscheinend stilistische Gründe, um die Redundanz „Amt und Apostelamt“ zu vermeiden. (Man müsste übrigens auch nicht „Apostelamt“ sagen; das entsprechende griechische Wort hat nichts „Amtliches“ an sich. Man könnte genausogut „Aposteltum“, „Aposteldienst“ o.ä. sagen; oder sogar einfach „Sendung“, denn „Apostel“ bedeutet „Gesandter“..)

„… daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werk des Dienstes, dadurch der Leib Christi erbaut werde…“ (Epheser 4,12)
– Hier handelt es sich um eine interessante Abweichung vom „amtlichen Prinzip“. Im Unterschied zu den meisten anderen Stellen ist hier nicht die Rede von Aposteln, Predigern o.ä, die einen geistlichen Dienst haben, sondern von „Laien“, schlichten „Heiligen“. Offenbar kann die „amtliche“ Übersetzung sich nicht erlauben zu sagen, auch „Laien“ könnten ein geistliches „Amt“ haben, und gebraucht deshalb hier das Wort „Dienst“, obwohl es genauso um einen geistlichen Dienst geht wie in den vielen Stellen, wo dasselbe Wort mit „Amt“ übersetzt wird! – So wird der Bibelleser darüber hinweggetäuscht, dass wir in diesem Vers einen wichtigen Beleg dafür haben, dass nicht nur die im Vers zuvor genannten „Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer“, sondern eben auch die „Laien“ geistlich „dienen“ bzw. „amten“ können. Nur dass Erstere zusätzlich dazu noch die Aufgabe haben, Letztere für diese Aufgabe „zuzurichten“.

Die Zürcher Übersetzung ist in dieser Hinsicht viel weniger „amtlich“. Sie vermeidet grundsätzlich das Wort „Amt“, ausser in Zusammensetzungen wie „Apostelamt“, „Bischofsamt“ usw. (von letzterem werden wir später sprechen). Das Wort „diakonía“ wird in der Zürcher Übersetzung richtigerweise immer mit „Dienst“ oder verwandten Wörtern übersetzt.

Zu „diakonía“ gibt es das entsprechende Verb „diakonéo“ (dienen). Dieses Wort ist auch in der Lutherübersetzung fast überall richtigerweise mit „dienen“ oder einem verwandten Wort übersetzt. Mit Ausnahme von 1.Petrus 4,11:

„so jemand redet, daß er’s rede als Gottes Wort; so jemand ein Amt hat, daß er’s tue als aus dem Vermögen, das Gott darreicht …“

Diese Übersetzung ist besonders inkonsequent, wenn man in Betracht zieht, dass dasselbe Wort „diakonéo“ auch im vorhergehenden Vers vorkommt und dort richtig mit „dienen“ übersetzt wurde:

„Und dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes: …“ (worauf der oben zitierte Vers folgt).

Es gibt überhaupt keinen Grund, warum „diakonéo“ im Vers 10 mit „dienen“ übersetzt werden sollte, aber im Vers 11 (in genau demselben Zusammenhang) mit „ein Amt haben“. Ausser eben, man setzt fälschlicherweise voraus, dass die Gemeinde Jesu von „Amtsträgern“ regiert werden solle, und liest dann diese Vorstellung in den Bibeltext hinein.

Dann gibt es auch noch das Wort „diákonos“ (Diener). Dieses wird in der Lutherausgabe richtigerweise mit „Diener“ bzw. „Knecht“ übersetzt – auch wieder mit einer Ausnahme, nämlich in 2.Korinther 3,6, wo von „Dienern des Neuen Bundes“ die Rede ist und Luther stattdessen sagt: „…das Amt zu führen des Neuen Testaments“.
Englische und spanische Ausgaben übersetzen „diákonos“ an bestimmten Stellen gerne mit „Minister“, das klingt noch viel gehobener. Ich bin froh, dass wir im Deutschen wenigstens dieses Problem noch nicht haben …

Dafür gebraucht die Zürcher Übersetzung in 1.Timotheus 3,8 und 12 (interessanterweise und inkonsequenterweise aber nicht in Philipper 1,1) das Kunstwort „Diakon“ (einfach eine buchstäbliche Übertragung des griechischen „diákonos“ ins Deutsche). Damit wird der Eindruck erweckt, das Neue Testament kenne ein besonderes „kirchliches Amt“ des „Diakons“. Wenn ein „Amtsträger“ kein Diener sein will, dann ist es natürlich angenehm, einige andere Geschwister für gewisse Dienstleistungen anzustellen. Würde man diese aber einfach „Diener“ nennen, dann gäbe es wohl nicht allzuviele Freiwillige für diesen Posten. Würde man sie andererseits zu „Amtsträgern“ erheben, dann würde damit eine unwillkommene Konkurrenz zum Pfarrer geschaffen. So erfand man als Zwischenstufe den „Diakon“ (und einige Bibelausgaben nennen in Römer 16,1 Phöbe eine „Diakonisse“). Inzwischen gibt es „Diakone“ für alles mögliche: im evangelikalen Raum habe ich schon von „Zeltdiakonen“, „Baudiakonen“ u.ä. sprechen hören. (Wer gibt in der heutigen Zeit schon gerne zu, dass er unbezahlte „Diener“ anstellt? „Diakon“ klingt da viel besser.) – In Wirklichkeit aber bedeutet „Diakon“, wie wir gesehen haben, gar nichts anderes als „Diener“.

Ich glaube, dass es im Neuen Testament durchaus Christen gab, die sich durch besondere Dienstwilligkeit hervortaten und deshalb in einem besonderen Sinn als „Diener“ bezeichnet wurden; denn 1.Tim.3 spricht offenbar von einer besonderen Gruppe von Menschen innerhalb der Gemeinde. Ich sage nicht, es hätte keine Unterschiede zwischen den Funktionen der verschiedenen Gemeindeglieder gegeben. Warum aber gebrauchten sie das so gewöhnliche Wort „Diener“ als Bezeichnung? Erinnern wir uns, dass das Wort „diákonos“ im Griechischen des Neuen Testamentes nicht diesen „amtlichen“ oder „hierarchischen“ Beigeschmack hatte wie „Diakon“ im Deutschen. Sie nannten sich schlicht „Diener“ – wie auch Paulus selber sich einfach einen „Diener Gottes“ nannte. Es macht einen Unterschied, ob wir einen Begriff einfach als Bezeichnung für eine effektiv ausgeübte Funktion gebrauchen, oder ob wir daraus eine hierarchische Stellung machen.

(Fortsetzung folgt)

PS: Bei späterer Gelegenheit gedenke ich eine Vergleichstabelle anzufügen, welche die Übersetzungen der erwähnten „Amtsbegriffe“ miteinander und mit dem griechischen Text vergleicht.

Die weisen Lektionen der Geschichte für Erzieher

15. März 2012

Von Dr. Raymond Moore

Ralph Waldo Emerson hatte recht, als er sagte: „Die Jahre lehren vieles, was die Tage niemals wissen.“ Wir täten gut daran, diese Zeile täglich zu wiederholen, denn wenn Sie und ich die Weisheit der Geschichte herausfordern, dann rufen wir den Zusammenbruch unserer Gesellschaft hervor. Einige denken, das Studium der Geschichte sei nicht viel wert. Und wenn wir sie studieren, dann denken wir oft, es könne uns nie passieren, was mit dem alten Griechenland und Rom geschah. Und wenn wir merken, dass es doch geschehen kann, dann ist es meistens zu spät.

(…)

Im alten Griechenland entwickelten Plato und Aristoteles die Idee, dass die Familien dem Staat gehörten. (Obwohl beide von ihren Eltern zuhause ausgebildet worden waren.) So propagierten sie eine Philosophie, wonach die Kinder dem Staat unterworfen werden sollten. In seinem Buch 6 betonte Plato die Wichtigkeit, den „jungen und zarten Sinn“ zu beeinflussen. Er schrieb: „Das ist die Zeit, wo der Charakter geformt wird und mit Leichtigkeit jeden Eindruck aufnimmt, den man ihm einprägen möchte.“ Und in Crito war seine Perspektive eindeutig totalitär: „Da du von uns [dem Staat] zur Welt gebracht und ernährt wurdest, kannst du da leugnen, dass du unser Kind und Sklave bist?“
Platos Jünger Aristoteles erklärte später in seiner Politik, dass „der Staat von Natur aus eindeutig vor der Familie und dem Individuum besteht, denn das Ganze hat notwendigerweise Vorrang vor seinem Teil.“ Und er verbreitete die Idee, dass der Staat die Verantwortung für alle Kinder spätestens ab sieben Jahren übernehmen solle. Von da an lebten während mehrerer Generationen die Kinder abgesondert von ihren Familien. Sie wurden überwältigt von der Rivalität zwischen Kameraden, von der Lächerlichkeit, vom Gruppendruck, von Obszönität, Drogen und Sex. Und es dauerte nicht lange, bis jener Staat zusammenbrach.

Rom wiederholte zum grössten Teil die Narrheiten Griechenlands. Mit Ausnahme von Kaiser Augustus, der mit seinen „Julianischen Gesetzen“ das Leben seiner Nation verlängerte. Diese Gesetze riefen zur Integrität der Familien auf. Der hervorragende römische Erzieher Quintilian sagte, die Bildung zuhause („homeschooling“) mit ihrem positiven Einfluss auf den Familienzusammenhalt sei besser als die staatlichen Schulen. Aber das konventionelle Denken überwog, der Totalitarismus siegte einmal mehr, und das Römische Reich brach zusammen, weil seine Gesellschaft ihre Familien geschwächt hatte.
Die Julianischen Gesetze könnten uns gut als Beispiel dienen, denn unter anderem verlangten sie von jungen Paaren: (1) dass sie heirateten, statt ohne Trauschein zusammenzuleben; (2) dass sie Kinder hätten; und (3) dass sie für ihre betagten Eltern sorgten. Letzterer Punkt ist sehr bedeutungsvoll heute, wo sich viele Söhne und Töchter anscheinend damit zufriedengeben, dass ihre Eltern und Grosseltern unnötig in irgendeiner staatlichen Einrichtung dahinschmachten. Das ist zugleich eine Lektion für die Eltern: Wenn Sie Ihre Kinder frühzeitig ausser Haus senden, bevor sie dazu bereit sind, dann werden sie eines Tages dasselbe mit Ihnen tun, wenn Sie alt sind.

Auf der Grundlage der Philosophie von Plato und Aristoteles war ihre Lehre vom „Staat als Vater“ nicht sehr überraschend, denn schliesslich war der Staat viel langlebiger als die Einzelperson. Warum also sollte der Staat nicht der Vater aller sein? Später waren Marx, Gandhi und Mao Tse-tung ebenso dazu bereit, die traditionelle Familienstruktur zugunsten des wirtschaftlichen Fortschritts des Staates zu opfern. Von ihrem atheistischen Gesichtspunkt her schlussfolgerten sie logisch, dass das Leben einer Einzelperson kurz war, während der Staat „für immer“ bestand.
Aber Jesus und das jüdisch-christliche Konzept des persönlichen ewigen Lebens ist ein Schlag ins Gesicht von solchen vergänglichen Ideen, und legt viel grösseren Wert auf die Einzelperson und die Familie. Das war es, was Moses tat; und unsere moslemischen Freunde beschämen uns Christen oft mit ihrer Hingabe an die Heiligkeit der Familienbeziehungen, und die Auferbauung von charakterstarken Kindern.
Heute, im Zeitalter von Marx, Gandhi und Mao, wiederholt sich die Geschichte des Sozialismus. Viele Menschen bestehen zunehmend darauf, dass der Staat Eigentümer der Kinder ist. Deshalb sagt Carle Zimmermann den Zusammenbruch der amerikanischen Gesellschaft voraus.

(Raymond y Dorothy Moore, „The Successful Homeschool Family Handbook“, 1994)

Mein Kommentar:

Nicht nur die amerikanische, auch die europäische Gesellschaft erlebt gegenwärtig die ersten Vorboten dieses Zusammenbruchs. Die wirtschaftliche Krise ist dabei nur eines von vielen Symptomen. Dass der zunehmende staatliche Totalitarismus von einer Mehrheit nicht nur hingenommen, sondern sogar gewünscht wird, ist ein weiteres Symptom, und ist zugleich eine der wichtigsten Ursachen für den Zusammenbruch.

Syrien – ein zweiter Irak?

12. März 2012

Vor gut einem Jahr habe ich einen Bericht weitergeleitet über die bedrängte Situation der irakischen Christen. Viele dieser Christen sind nach Syrien geflüchtet. Es scheint mir deshalb angebracht, die untenstehende Notiz über Syrien weiterzuleiten. Die Nachricht ist zwar schon zwei bis drei Monate alt, aber ich denke, die darin enthaltenen Hintergrundinformationen sind weiterhin aktuell.

Syrien: 50 Christen getötet während Unruhen

In der syrischen Stadt Homs wurden rund 50 Christen während den Unruhen getötet, sowohl von Aufständischen wie auch von Regierungskräften. Viele weitere können nur mit Mühe ihre Familien ernähren, weil die Gewalt ein normales Leben in der Stadt unmöglich macht.

(…) Die Christen machen 10% der syrischen Bevölkerung aus, d.h. etwa 2 Millionen. Diese Zahl schliesst Tausende irakischer Flüchtlinge ein, die wegen der Christenverfolgung ihr Land verlassen mussten.

Das syrische Regime funktioniert nicht nach westlichen Massstäben, aber bis jetzt erfreute sich die christliche Gemeinschaft religiöser Freiheit und Gleichstellung. Syrien ist eines der wenigen arabischen Länder, wo die Christen respektiert werden und ihnen erlaubt wurde, in Frieden neben ihren moslemischen Nachbarn zu leben.

Aber die gegenwärtige Krise hat das Land verunsichert; und jetzt werden die Christen als Parteigänger der Regierung Assad angesehen. Und wie in anderen vom „arabischen Frühling“ betroffenen Ländern, haben die radikalen Islamisten in Syrien die Gelegenheit ergriffen, um ihre Ziele voranzutreiben, was die Gefahr für die Christen stark erhöht.

Die syrischen Christen befürchten, dass sich ihre Situation verschlimmern wird, je stärker der internationale Druck auf die syrische Regierung wird und die Gefahr einer militärischen Intervention besteht. Ausländische Waffen und Kämpfer dringen bereits in das Land ein, um die Aufständischen zu unterstützen.

Ein wichtiger syrischer christlicher Leiter schrieb:
„Das syrische Volk möchte nicht, dass sich die internationalen Mächte in sein Leben einmischen, um das Land zu verteilen, wie es im Irak gemacht wurde. Jedes geheime Programm der Supermächte würde das Ende des Christentums im Nahen Osten bedeuten. Sehen wir nur, was mit den Christen im Irak geschah, nachdem dort der Krieg begann … Eine grosse Zahl von ihnen sah sich gezwungen, das Land für immer zu verlassen; und jene, die blieben, sind bis jetzt diskriminiert. Vergessen wir nicht, dass viele von ihnen verfolgt und ihre Kirchen bombardiert wurden. Deshalb sehen die syrischen Christen die Einmischung der Grossmächte mit grossem Misstrauen, denn sie befürchten, damit dasselbe Schicksal zu erleiden wie ihre irakischen Geschwister.“

Die westlichen und arabischen Medien haben ein verzerrtes Bild von den Unruhen in Syrien. Die Nachrichten über die von der Regierung begangenen Greueltaten (Nachrichten, die hauptsächlich aus einer einzigen seltsamen Quelle namens „Syrisches Observatorium für Menschenrechte“ mit Sitz in London stammen), gelten als „gut dokumentiert“; während die ebenso schrecklichen Taten der Aufständischen nicht in die Schlagzeilen kommen. Und obwohl einige Informationen angeben, Syrien befände sich in einem Bürgerkrieg, ist der Konflikt in Wirklichkeit hauptsächlich auf Homs konzentriert. Solche parteiischen Informationen verstärken den internationalen Druck auf die syrische Regierung.

Die Tragödie Syriens, besonders für die Christen und andere Minderheiten, lässt befürchten, dass das Land zu einem zweiten Irak werden könnte. Gegenwärtig wird anerkannt, dass der Krieg im Irak nicht nur ein Fehler war, sondern auch illegal, mit zerstörerischen Folgen für die Einwohner, insbesondere die Christen. Das darf nicht wieder geschehen. Als Christen sollten wir nicht nur für den Frieden Syriens beten, sondern auch um Weisheit für unsere Regierungen, dass sie bei Aktionen gegen Syrien an die möglichen Folgen denken.

(Zugesandt von The Voice of the Martyrs / Barnabas Fund)

Das erste Experiment in frühkindlicher Stimulation, oder: Wie man einen frühzeitigen Burnout produziert

5. März 2012

Von Dr. Raymond Moore

Frank Edwards erzählt die Geschichte des Harvard-Psychologieprofessors Boris Sidis, der anfangs des 20.Jahrhunderts von der Idee besessen wurde, „Superbabies“ zu produzieren. Sidis wollte berühmt werden mit seinem Experiment. Sein erstes Vorzeigestück würde sein gerade erst geborener Sohn William sein.
Täglich hängte er Buchstaben und Zahlen über die Wiege des Babys und sagte laut ihre Namen. Tatsächlich konnte der winzige Junge mit sechs oder acht Monaten bereits einige von ihnen erkennen. Mit zwei Jahren konnte er Schulbücher lesen; als Vierjähriger schrieb er Artikel auf Französisch und Englisch, und mit fünf Jahren schrieb er über Anatomie.
Aber im Alter von acht Jahren entwickelte William hysterische Lachanfälle, wenn er unter Stress stand. Damit erweckte er eher den Eindruck von Geistesgestörtheit als von Genialität. Als er vierzehn war, bestand sein Vater darauf, dass er an der Universität Harvard einen Vortrag hielte. Der Junge erhielt lauten Applaus, nur um mit hysterischem und unkontrollierbarem Lachen von der Bühne zu steigen. Der beschämte Vater brachte ihn schnell in ein Sanatorium, wo ihn die Reporter aufsuchten. William sagte ihnen, sein einziger Wunsch sei, wie ein normaler Mensch leben zu dürfen. Er rief seinen Vater auf, das Experiment abzubrechen.
Aber als er die Universität Harvard abgeschlossen hatte und am elitären Rice Institute in Texas zu arbeiten begann, fand er, dass er nicht mit anderen Menschen auskommen konnte.

Während er versuchte, sich mit seinen Kollegen und Studenten an dem Institut einzurichten, wurde er schuldig befunden, einen Aufruhr verursacht zu haben, und sein Unterricht wurde suspendiert. Er verschwand, und später arbeitete er in einem gewöhnlichen Kaufladen als Verkäufer. Einmal nahm er auf das Drängen eines Freundes eine Einladung an, einen Vortrag über die Wahrscheinlichkeit der Existenz von Leben auf dem Mars zu halten; aber sein geschädigtes Urteilsvermögen verleitete ihn dazu, stattdessen eine Stunde lang über Autotransfers zu sprechen.
Amerika war zu beschäftigt mit dem Krieg im Jahre 1944, um von William Sidis‘ Tod Notiz zu nehmen. Er starb im Alter von 46 Jahren in einer Pension in Brookline, Massachusetts. Bis zu seinem Tod hatte er sich geweigert, je wieder etwas mit seinem Vater zu tun zu haben, und hatte sogar sein beträchtliches Erbe ausgeschlagen.

(Aus Raymond und Dorothy Moore, „The Successful Homeschool Family Handbook“, 1994)

Warum Gott China segnet

1. März 2012

Vor einigen Wochen liess mich eine kleine Nachricht aufhorchen: Die Europäische Union hat China um Wirtschaftshilfe ersucht. So weit ist es also gekommen. Ich erinnere mich noch, vor einigen Jahrzehnten, da war das kommunistische Osteuropa um Hilfe aus dem Westen angewiesen, obwohl in der offiziellen Propaganda ständig die Überlegenheit des Kommunismus betont wurde. Und einige wenige westliche Politiker wagten es damals noch, ihren Amtskollegen im Osten zu sagen, sie möchten aber bitte aufhören, die Menschenrechte ihrer Untertanen mit Füssen zu treten.

Heute ist China längst nicht mehr so kommunistisch wie damals Osteuropa. Menschenrechtsverletzungen kommen dennoch immer wieder vor – insbesondere gegen Christen. Aber in den westlichen Medien und bei westlichen Politikern ist das kein Thema mehr – wie könnte es auch, wenn man vom Hilfeleistenden zum Hilfsbedürftigen geworden ist.

Beruht diese Umkehrung der wirtschaftlichen Verhältnisse darauf, dass China – zumindest was die Wirtschaft betrifft – einen Wandel zum Kapitalismus vollzogen hat, während Westeuropa immer sozialistischer wird? Das mag ein Teilaspekt sein; aber ich glaube, dass diese Erklärung zu kurz greift. Ich glaube, es gibt da tieferliegende geistliche Hintergründe, die damit zu tun haben, wann, wo und wen Gott segnet.

In einem Buch über Missionsgeschichte las ich einmal einen höchst interessanten Gedanken über den Untergang des Römischen Reiches. (Leider kann ich mich beim besten Willen nicht mehr an den Autor oder den Titel des Buches erinnern, sonst würde ich die Quelle angeben.) Es wurde da erwähnt, dass sich etwa ab dem 4.Jahrhundert der christliche Glaube immer stärker auch ausserhalb des Römischen Reiches auszubreiten begann, unter den „barbarischen“ Germanenstämmen. Parallel dazu wurde das Römische Reich zwar offiziell „christlich“ (indem Kaiser Theodosius das Christentum zur obligatorischen Staatsreligion erklärte), in der Praxis aber wurde das Heidentum jetzt einfach unter dem Deckmantel der entstehenden römisch-katholischen Kirche weiter praktiziert. So kam es zu einem Punkt, wo die mehrheitlich heidnischen Barbarenstämme in Tat und Wahrheit „christlicher“ waren als das offiziell christliche Römische Reich. Es war deshalb nur recht, wenn Gott sie mit militärischer Überlegenheit über das Römische Reich segnete.

In der offiziellen Kirchengeschichte liegt auch im 4. und 5.Jahrhundert der Schwerpunkt des Christentums immer noch im Römischen Reich. Es gibt aus dieser Zeit viel Literatur von bekannten römischen „Kirchenvätern“ und Theologen, während nur eine einzige germanische christliche Schrift bekannt ist (die gotische Bibelübersetzung von Wulfila). Widerspiegelt das aber den tatsächlichen Zustand des geistlichen Lebens? Ist theologische Gelehrsamkeit tatsächlich ein Beweis dafür, dass der Autor in einer christlich geprägten Kultur lebte? Oder könnte es sein, dass sich unter den heidnischen Barbarenstämmen mehr geistliches Leben, mehr Gehorsam Gott gegenüber, mehr echte Gottesfurcht fand als in Rom? – Wahrscheinlich nicht unter den einflussreichen Anführern und Kriegern; aber vielleicht unter dem einfachen Volk, das der Geschichtsschreibung unbekannt blieb?

Ich kann diese Fragen nicht mit Sicherheit beantworten. Aber die Parallele zum gegenwärtigen Verhältnis zwischen der westlichen Welt und China drängt sich geradezu auf. Noch immer nennt sich die Mehrheit der Westeuropäer „Christen“ – vielleicht nicht gerade „wiedergeboren“, aber immerhin „Christen“, Kirchenmitglieder. Und die grosse Mehrzahl christlicher Bücher wird weiterhin in Europa und den USA produziert. Gemäss offiziellen Kirchenstatistiken ist Europa immer noch einer der „christlichsten“ Kontinente der Welt. Dies im unübersehbaren Kontrast zum Blickwinkel von eher biblisch ausgerichteten Christen: Bereits vor einem Jahrzehnt vermerkten Missionsstatistiken, Europa sei der am wenigsten evangelisierte Kontinent der Erde, mit nur gerade 2,4% Einwohnern (nein, das Komma ist kein Tippfehler), die nach evangelikalen Massstäben als Christen bezeichnet werden können. (Die gegenwärtige Zahl dürfte noch um einiges tiefer liegen.) Und was das geistliche Leben betrifft – nicht nur die Grosskirchen, sondern inzwischen auch die Freikirchen haben die biblischen Wahrheiten derart demontiert, dass so gut wie nichts davon übriggeblieben ist. Soweit ich es beobachten kann, befinden sich die evangelikalen Freikirchen heute etwa auf demselben geistlichen Niveau wie die grossen Landeskirchen vor 30 bis 40 Jahren. Das Christentum wird zwar noch bekannt, aber nicht mehr gelebt.

China hingegen ist weiterhin ein offiziell atheistisches Land. Das Christentum und andere Religionen werden zwar geduldet, solange sie sich der staatlichen Aufsicht (mit den entsprechenden Beschränkungen) unterwerfen und nichts tun oder lehren, was im Widerspruch zur Staatsdoktrin steht. Echte Religionsfreiheit besteht jedoch nicht, und eine grosse Zahl von Leitern inoffizieller Kirchen befinden sich ihres Glaubens wegen im Gefängnis.
Trotzdem (oder gerade deswegen?) erlebt China eine der langandauerndsten und intensivsten geistlichen Erweckungen der Gegenwart. Die Anzahl der Christen hat während der letzten vierzig Jahre ständig zugenommen. Da sich viele von ihnen im Untergrund befinden, sind keine genauen Zahlen bekannt; ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung dürfte aber um die 10% betragen. Und ihre Hingabe an Jesus, ihre Konsequenz und ihre Leidensbereitschaft übertrifft westliche Christen bei weitem.

Der Untergrundkirchenleiter „Bruder Yun“, der selber in chinesischen Gefängnissen aufs Schrecklichste gefoltert wurde, macht in seinem Buch „Heavenly Man“ eine erstaunliche Aussage:

„Wir haben auch verstanden, dass die letzten dreissig Jahre des Leidens, der Folter und Verfolgung der chinesischen Hauskirchen zur Ausbildung Gottes für uns gehörten. Der Herr hat uns entsprechend vorbereitet, um Missionare in der moslemischen, buddhistischen und hinduistischen Welt zu sein.
Einmal sprach ich an einem Ort im Westen, und ein christlicher Bruder sagte zu mir: ‚Schon viele Jahre bete ich, dass die kommunistische Regierung in China gestürzt werde, damit die Christen in Freiheit leben können.‘ Das ist nicht die Art, wie wir beten! Wir beten nie gegen unsere Regierung, und wir bitten erst recht nicht, dass Flüche über sie fallen. Im Gegenteil, wir haben gelernt, dass Gott die Kontrolle hat über unser Leben und über die Regierung, unter der wir leben. Wie Jesaja über Jesus prophezeite: ‚Die Herrschaft wird auf seinen Schultern ruhen.‘ (Jesaja 9,6). Gott hat die chinesische Regierung zu seinen Zwecken gebraucht, indem er seine Kinder so geformt hat, wie es am besten war. (…) Betet nicht dafür, dass die Verfolgung aufhöre! Wir sollten nicht um eine leichtere Last bitten, sondern um einen stärkeren Rücken, um die Last zu tragen. Dann wird die Welt sehen, dass Gott mit uns ist, und uns stärkt zu einem Leben, das seine Liebe und seine Macht widerspiegelt. Das ist die wahre Freiheit!“

Die Kulturrevolution hat China vom Ausland abgeschnitten. Das hatte für die chinesische Kirche die positive Auswirkung, dass sie lange Zeit unberührt blieb von dem beispiellosen moralischen und geistlichen Zerfall der westlichen Kirchen während der vergangenen Jahrzehnte, und auch von den fruchtlosen theologischen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Denominationen. So ist der grösste Teil der chinesischen Kirche zu einer Gemeindeform zurückgekehrt, die näher am Neuen Testament liegt als die allermeisten Kirchen der westlichen Welt. Was das geistliche Leben betrifft, so ist China heute wahrscheinlich eines der christlichsten Länder der Erde.

Das muss zwangsläufig Auswirkungen auf die Wirtschaft haben. Nicht nur indirekt in der Form eines vielleicht nicht ganz konkret zu fassenden „Segens“, sondern ganz direkt durch das bewusste Praktizieren eines christlichen Lebensstils in der Wirtschaft, wie letztes Jahr über eine christliche Unternehmerkonferenz in China berichtet wurde:

„(…) Durch das rasante Wachstum des Christentums im bevölkerungsreichsten Land der Welt gibt es inzwischen Firmen mit mehreren tausend Mitarbeitern, die von Christen nach biblischen Prinzipien geleitet werden.
(…) ist in der 8-Millionen-Einwohner-Stadt Shenyang nahe der nordkoreanischen Grenze bereits eine Akademie für christliche Führungskräfte im Bau. In den Gebäuden auf dem 230 Hektar grossen Gelände sollen Christen lernen, wie sie chinesische Firmen und Abteilungen erfolgreich führen und gleichzeitig christliche Werte leben und weitergeben können. Die christlichen Unternehmer fördern Integrität und Gerechtigkeit in der von Turbokapitalismus geprägten chinesischen Wirtschaft. In China beschäftigen christliche Unternehmer schon heute zahlreiche Firmenseelsorger, die sich ausschliesslich um das geistliche Wohl der Mitarbeiter kümmern.“
(„Zeltmacher-Nachrichten“, http://zeltmacher-nachrichten.eu, 6.Oktober 2011)

Ich würde annehmen, dass selbst die „evangelikale Hochburg“ USA noch weit zurückbleibt hinter dem hier gezeichneten Bild. Wundern wir uns also nicht, wenn Gott China segnet. Und wer weiss, vielleicht muss sich Europa bald von China auch punkto Menschenrechte zurechtweisen lassen.