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Die neutestamentliche Gemeinde in Matthäus 18 (Teil 3)

22. Oktober 2016

Die christliche Versammlung ist der Ort, wo Sünde konfrontiert und korrigiert wird, und Gerechtigkeit hergestellt wird.

In der vorhergehenden Betrachtung sprachen wir über den Konsens, der entsteht, wenn alle ernsthaft und aufrichtig die Führung des Heiligen Geistes suchen. Damit möchte ich nicht den Eindruck erwecken, nur eine Gemeinde ohne Sünde und Konflikte sei eine neutestamentliche Gemeinde. Aber die neutestamentliche Gemeinde geht mit ihren Sünden und Konflikten auf biblische Weise um. Genau darüber spricht die erste Hälfte unseres Abschnitts Matthäus 18,15-20:

„Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, geh und weise ihn unter vier Augen zurecht. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen.“ (Vers 15)
Der erste Schritt besteht darin, dass eine private Sünde privat zurechtgewiesen werden sollte. Sie sollte noch nicht vor andere Personen getragen werden. Aber der Herr sagt auch nicht: „Vergib und vergiss!“, wie in vielen Kirchen fälschlich gelehrt wird. Nein, die Sünde muss konfrontiert werden. Die neutestamentliche Gemeinde unternimmt die nötigen Schritte, um sich von Sünde rein zu halten. So heisst es auch in Epheser 5.11: „Und nehmt nicht an den unfruchtbaren Taten der Finsternis teil, sondern weist sie zurecht.

Wir stellen fest, dass hier, in Matthäus 18,15, der Herr über private Sünden spricht. Eine öffentliche Sünde sollte von Anfang an öffentlich und vor Zeugen konfrontiert werden, wie Petrus in Apg.5,3-4 und 8,20-23 zeigt, sowie Paulus in Galater 2,11-14.

Wenn der fehlbare Bruder nach der privaten Konfrontation nicht umkehrt, dann soll er mit einem oder zwei weiteren Zeugen konfrontiert werden (Matthäus 18,16). Und „wenn er auf sie nicht hören will, dann sage es der Versammlung (Gemeinde) …“ (Vers 17)

„Gemeinde“ bedeutet hier „Versammlung“. Es bedeutet nicht „nur die Leiter“! Dieser Punkt muss betont werden, weil einige Kirchen und Gruppen erklären, Matthäus 18,15-17 zu praktizieren, aber in Wirklichkeit die (tatsächlich oder vermeintlich) fehlbaren Mitglieder vor die Leiter der Organisation bringen, welche dann nach ihrem eigenen Ermessen einen „Schuldspruch“ fällen. Das ist es nicht, was die Worte des Herrn bedeuten. Wenn eine Sache vor die „Versammlung“ gebracht wird, dann bedeutet das, dass sie öffentlich gemacht wird. Das ganze Volk Gottes wird informiert; und wenn eine Art „Gerichtsprozess“ durchgeführt wird, dann hat das ganze Volk Gottes das Recht, daran teilzunehmen. Dadurch wird verhindert, dass einzelne Leiter sich zu exklusiven Richtern aufschwingen, die oft Richter und Partei zugleich sind, und die hinter verschlossenen Türen Urteile fällen, ohne dass jemand kontrollieren oder Rechenschaft fordern könnte, ob es dabei mit rechten Dingen zuging. Solche willkürlichen Schuldsprüche werden in heutigen kirchlichen Organisationen allzu oft gefällt. Genau um dies zu verhindern, stellt der Herr hier ein Prinzip auf, das sogar in der weltlichen Justiz beachtet wird (und wieviel mehr sollte es im Volk Gottes beachtet werden!), nämlich dass Gerichtsprozesse öffentlich sein sollen. Noch mehr: Das Wort „ekklesia“ (Gemeinde / Versammlung) bedeutete im damaligen Griechisch ursprünglich „die Versammlung aller stimmberechtigten Bürger“. Jeder Bürger des Reiches Gottes hat ein Mitspracherecht, wenn es darum geht, einen Mitbürger zu konfrontieren und wiederherzustellen, der gesündigt hat.

Dasselbe finden wir in Galater 6,1: „Ihr Brüder, wenn jemand von einer Übertretung überrascht wird, dann sollt ihr, die geistlichen, ihn zurechtbringen in einem demütigen Geist; und achte auf dich selber, dass nicht auch du versucht wirst.“ Auch hier richtet sich der Aufruf, den fehlbaren Bruder zurechtzubringen, nicht nur an einige wenige Leiter, sondern an alle geistlich Gesinnten. (Gemäss Römer 8,1-16 und 1.Korinther 2,12-15 sollten wenn möglich alle Christen „geistlich“ sein!)

Beachten wir, dass das Ziel dieses Prozesses darin besteht, den Fehlbaren zurechtzubringen. Nicht ihn zu erniedrigen, nicht ihn zu verwerfen und zu verdammen. Aber beachten wir auch, dass dieses „Zurechtbringen“ nur dann geschehen kann, wenn der Fehlbare umkehrt. In Lukas 17,3 (Parallelstelle zu Matthäus 18,15) heisst es: „Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, weise ihn zurecht; und wenn er umkehrt, vergib ihm.“ Wenn ein Sünder nicht umkehrt, nicht einmal nachdem er vor der Versammlung konfrontiert und überführt wurde, dann muss der Geschädigte ihm nicht vergeben. „Und wenn er auch auf die Versammlung (Gemeinde) nicht hören will, dann sei er dir wie ein Heide und ein Zöllner.“ (Matthäus 18,17). Im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Lehre ist die Umkehr notwendig, damit Vergebung, Wiederherstellung und Versöhnung geschehen kann.

Das sollte uns nicht seltsam erscheinen, da ja dasselbe für die Beziehung zum Herrn selber gilt. Nur wer von seiner Sünde umkehrt, kann in eine persönliche Beziehung zu Jesus eintreten und gerettet werden. Das war die Botschaft, die Jesus vom Anfang bis zum Ende seiner irdischen Mission verkündigte (Matthäus 4,17; Lukas 24,47); und das war auch die Botschaft, die seine Apostel verkündeten (Apostelgeschichte 2,38; 3,26; 14,15; 26,18; usw). Der Herr gab zwar sein Leben für alle Menschen; aber seine Vergebung erreicht nur diejenigen, die umkehren.

Zurück zum Thema „Versammlung“. Unglücklicherweise ist dies ein Punkt, der heute fast unmöglich durchzuführen ist, weil wir gegenwärtig in einer nach biblischen Massstäben sehr irregulären Situation leben. An den allermeisten Orten finden sich die Christen unter verschiedene Konfessionen und Gemeindeverbände zerstreut, während die Mehrheit der Mitglieder dieser Verbände gar keine Christen nach biblischen Massstäben sind. Deshalb ist eine Versammlung der Mitglieder einer konfessionellen Kirche oder eines Gemeindeverbandes in keiner Weise eine Versammlung des Volkes Gottes. Um wieder eine „Versammlung“ im Sinne des Neuen Testamentes haben zu können, müssten alle echten Christen ihre jeweiligen Kirchen verlassen, und sich zusammen mit den echten Christen aus den anderen Kirchen versammeln.

Das ist gar keine so weit hergeholte oder revolutionäre Idee, wie es scheinen mag. Das ist nämlich tatsächlich schon geschehen, an Orten, wo es Erweckung gab. Wenn es gegenwärtig unmöglich scheint, dann liegt das daran, dass wir gegenwärtig sehr weit von einer Erweckungssituation entfernt sind, und dass die gegenwärtigen Kirchen sehr weit davon entfernt sind, „Gemeinde“ im Sinne des Neuen Testaments zu sein. In einer echten Erweckung zieht der Heilige Geist selber die Trennlinien: Nicht zwischen den verschiedenen Denominationen, sondern zwischen den echten und den falschen Christen in jeder Denomination. „Dann werdet ihr wieder den Unterschied sehen zwischen dem Gerechten und dem Bösen; zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient.“ (Maleachi 3,18)

Aber auch in der gegenwärtigen irregulären Situation bin ich der Meinung, dass wir zumindest folgendes fordern dürfen: Dass Sünden und Konflikte, die innerhalb einer Kirche oder eines Gemeindeverbandes nicht auf eine für beide Seiten zufriedenstellende bzw. gerechte Weise gelöst werden können, nicht als „interne Angelegenheiten“ der betreffenden Kirche oder des betreffenden Verbandes betrachtet werden dürfen. Dass solche Fälle – insbesondere wenn Leiter involviert sind – vor eine „Versammlung“ von Glaubensgeschwistern gebracht werden, die nicht demselben Gemeindeverband angehören, und die in der Lage sind, die Angelegenheit unparteiisch zu untersuchen. Wenn ein Gemeindeverband nicht dazu bereit ist, seine Probleme auf diese Weise behandeln zu lassen, dann können wir sicher sein, dass da keine neutestamentliche Gemeinde ist, sondern ein sektiererischer Geist.

Das Wort „Versammlung“ schliesst auch ein, dass es da keine Rangunterschiede gibt. In unserer Stelle in Matthäus 18 ist nirgends die Rede von irgendeinem Unterschied zwischen „Leitern“ und „Geleiteten“, oder zwischen „Geistlichen“ und „Laien“. Wo es um das Konfrontieren von Sünde geht, da gilt kein Ansehen der Person. Um es noch klarer zu sagen: Auch das einfachste Gemeindemitglied darf (und soll!) auch den mächtigsten „Leiter“ wegen einer Sünde zurechtweisen, und ihn sogar vor die „Versammlung“ bringen, wenn er nicht umkehrt. Matthäus 23,8-12 bekräftigt, dass es tatsächlich das ist, was der Herr sagen will.
Dabei muss „Sünde“ natürlich der Bibel gemäss definiert werden. Allzu viele religiöse Organisationen definieren fälschlich als „Sünde“ eine ganze Reihe von Handlungen, die u.a. genau das einschliessen, was der Herr hier ausdrücklich gebietet, nämlich einen Leiter zurechtzuweisen, wenn er sündigt.

Das einzige, was in der Versammlung des Volkes Gottes einen Unterschied macht, ist die geistliche Reife bzw. Weisheit jedes Mitglieds. In 1.Korinther 6,5 tadelt Paulus die Gemeinde in Korinth, weil es „keinen einzigen Weisen unter euch gibt, der zwischen seinen Brüdern Recht sprechen könnte“. Die korinthische Gemeinde war nicht in der Lage, im Konfliktfall die Gerechtigkeit wiederherzustellen.

Leider müssen wir dasselbe von den meisten heutigen Kirchen sagen. Einfachste Rechtsgrundsätze, die sogar in der weltlichen Rechtsprechung gelten, werden einfach übergangen. Entweder gilt das ungeschriebene Gesetz, dass Sünde toleriert werden muss, und den Opfern von Sünde, Betrug und Missbrauch wird gesagt: „Du musst vergeben und vergessen“. Oder die „Gemeindezucht“ wird hauptsächlich dazu eingesetzt, die Machtstellung der Leiterschaft auszubauen und Kritik an den Leitern zum Schweigen zu bringen. Schuldsprüche und „disziplinarische Massnahmen“ werden zum voraus abgesprochen von einem Klüngel von „Eingeweihten“, die als Kläger und Richter zugleich fungieren. Dem Angeklagten wird keine ordentliche Gelegenheit zur Verteidigung gegeben; die Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt; Aussagen von Belastungszeugen werden anonym vom Kläger-Richter vorgetragen („Uns ist bekanntgeworden …“, „Es wurde über dich gesagt …“); Entlastungszeugen werden nicht angehört; Schuldsprüche werden nicht gesetzmässig begründet; und es gibt keine Möglichkeit der Apellation an eine höhere Instanz.
In den meisten evangelikalen Kirchen und Organisationen, in denen ich während meines Lebens aktiv mitarbeitete, wurde all dies als normal angesehen. Aber das Wort Gottes sagt, dass eine solche Situation sehr weit von der Normalität entfernt ist. Eine Kirche, die nicht gerecht urteilt, fällt selber unter das Urteil Gottes.

Die neutestamentliche Gemeinde in Matthäus 18 (Teil 2)

12. Oktober 2016

Die christliche Versammlung handelt im Konsens.

„Wenn zwei von euch auf der Erde übereinstimmen über alles, was sie bitten, dann wird es ihnen geschehen von meinem Vater, der im Himmel ist. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“

Auf den ersten Blick scheint diese Verheissung der Erfahrung zu widersprechen: Viele Gebete, die in Gebetsversammlungen „in Übereinstimmung“ ausgesprochen werden, werden nicht erhört. Aber wir wissen, dass der Herr nicht lügt, und dass er alle seine Verheissungen erfüllt. Also liegt das Problem entweder bei unserer Erfahrung, oder bei unserem Verständnis der Worte des Herrn.

Wollte der Herr wirklich sagen, dass zwei oder drei Christen vereinbaren könnten, irgendetwas vom Vater zu erbitten – Reichtum, Berühmtheit, vielleicht sogar den Tod ihrer Feinde -, und der Vater würde ihnen all dies geben? – Ich glaube nicht, dass dies dem Charakter des Herrn entsprechen würde. Er gab seine Verheissungen nicht zu dem Zweck, seine Jünger zu egoistischen Wünschen zu ermutigen. Und wie gesagt, erfüllt sich die Verheissung erfahrungsgemäss ja auch nicht auf diese Weise. Vielmehr denke ich, wir müssen das Wort „übereinstimmen“ anders verstehen.

Im griechischen Original ist das Wort „symfonéo“, „zusammenklingen“. Von daher kommt unser Wort „Symphonie“. Wer oder was bewirkt in einer Symphonie, dass die Instrumente „übereinstimmen“, „zusammenklingen“? Es ist nicht das Instrument, das von sich aus spielt oder entscheidet, was es spielen soll. Es ist auch nicht der einzelne Musiker, der darüber entscheidet. Es ist nicht einmal eine „Vereinbarung“ zwischen mehreren Musikern. Jeder Musiker hat vor sich ein Notenblatt, das ihm sagt, was er spielen soll. Und das Orchester hat einen Dirigenten, der jeden einzelnen anweist, wann und wie er spielen soll. Es ist also nötig, dass alle Musiker nach derselben Partitur spielen, und auf die Zeichen des Dirigenten achten.

Auf die christliche Versammlung angewandt, entspricht die Partitur der geschriebenen Offenbarung Gottes, und der Dirigent ist der Herr selber. Nur wenn jeder „Musiker“ (Christ) sich an das geschriebene Wort Gottes hält und auf die Zeichen Gottes achtet, gibt es eine „Symphonie“. Wenn jeder seinen eigenen Wünschen folgt, gibt es keine Symphonie. Aber wenn einer der Musiker die Rolle des Dirigenten an sich reisst und den anderen befehlen will, wann und wie sie spielen sollen, dann gibt es auch keine Symphonie. In vielen gegenwärtigen Kirchen und Denominationen besteht das grösste Problem darin, dass ihre Leiter das Orchester dirigieren möchten und über die anderen „Musiker“ herrschen. So gelangt man nicht zu dem „Zusammenklingen“, das der Herr hier beschreibt. Er sagt nicht, dass alle mit einem von ihnen (einem „Leiter“) übereinstimmen sollten, sondern alle unter sich. Er spricht hier über einen geistlichen Konsens, der dann entsteht, wenn jedes Mitglied in persönlichem Kontakt mit Gott steht, seinen Willen tut, und seiner Führung folgt. Wo diese Voraussetzungen gegeben sind, da kommt es zur Einmütigkeit, weil alle miteinander den Willen Gottes erkennen.

Die neutestamentliche Gemeinde ist also imstande, Entscheidungen mittels eines geistlichen Konsenses zu treffen. Dieser Konsens entspringt nicht dem Diktat eines Leiters, auch nicht einer Mehrheitsabstimmung, und auch nicht einem „diplomatischen Kompromiss“ zwischen unterschiedlichen Meinungen. Er entspringt dem Gehorsam eines jeden Mitglieds der Führung Gottes gegenüber. Wenn man zu einem solchen geistlichen Konsens kommt, dann erfahren die Beteiligten eine grosse Gewissheit, dass sie im Willen Gottes sind. Deshalb können sie dann auch den Vater bitten mit der Gewissheit, dass er antworten wird, weil sie wissen, dass ihre Bitte seinem Willen entspricht. (Siehe 1.Johannes 5,14-15.) Kapitel 15 in der Apostelgeschichte berichtet, wie die Urgemeinde eine Streitfrage in gemeinsamer Übereinstimmung lösen konnte, weil alle der Führung des Heiligen Geistes folgten.

Manche der gegenwärtigen Kirchen können sich nicht einmal vorstellen, was ein solcher Konsens ist, weil sie noch nie etwas Ähnliches erfahren haben. Sie sind es sich gewohnt, dass alle Entscheidungen mit menschlichen Mitteln getroffen werden: Einseitige Entscheidungen von seiten der Leiterschaft, die dann mit Druck durchgesetzt werden; oder demokratische Abstimmungen und Mehrheitsbeschlüsse; oder nicht enden wollende Diskussionen, um jene, die „dagegen“ sind, zu „überzeugen“ und zu manipulieren, damit ein Anschein von Einmütigkeit entsteht. Oder sogar die Manipulation mittels falscher Informationen, Drohungen, Versprechungen von finanziellen Vorteilen oder einflussreichen Stellungen, usw. Wo wir solche Dinge beobachten, da können wir wissen, dass es sich nicht um neutestamentliche Gemeinde handelt.

Die neutestamentliche Gemeinde in Matthäus 18

1. Oktober 2016

Mit diesem Artikel beginne ich eine Serie von biblischen Betrachtungen über die neutestamentliche Gemeinde. Ich möchte aufzeigen, was das Wort Gottes sagt, und daraus einige Konsequenzen und Anwendungen für die aktuelle Situation ableiten. Viele Gruppen nennen sich „christliche Gemeinde“; aber wenige geben wirklich dem Wort Gottes die oberste Priorität. In einer neutestamentlichen Gemeinde gilt das Wort Gottes mehr als die Traditionen eines Gemeindeverbandes oder dessen Leiter.

Anstelle einer langen Diskussion darüber, woher das Wort „Gemeinde“ im Neuen Testament kommt und was es genau bedeutet (worüber es mindestens drei unterschiedliche Theorien gibt), oder ob man dieses Wort überhaupt noch verwenden oder nicht lieber anders übersetzen oder überhaupt einem anderen theologischen Konzept den Vorrang geben sollte, möchte ich lieber mitten hineinspringen und mit Matthäus 18,15-20 beginnen. Das ist eine der ganz wenigen Bibelstellen, wo der Herr Jesus selber das Wort „Gemeinde“ verwendet:

„Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, geh und weise ihn unter vier Augen zurecht. Wenn er auf dich hört, hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, dann nimm mit dir noch einen oder zwei, damit ‚aus dem Mund zweier oder dreier Zeugen jede Sache bestätigt werde.‘ Und wenn er auf sie nicht hören will, dann sage es der Versammlung (Gemeinde); und wenn er auch auf die Versammlung (Gemeinde) nicht hören will, dann sei er dir wie ein Heide und ein Zöllner.
Mit Gewissheit sage ich euch: Was ihr auf der Erde bindet, wird im Himmel gebunden werden, und was ihr auf der Erde löst, wird im Himmel gelöst werden. Nochmals sage ich euch mit Gewissheit: Wenn zwei von euch auf der Erde übereinstimmen über alles, was sie bitten, dann wird es ihnen geschehen von meinem Vater, der im Himmel ist. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“

In diesem Abschnitt finden wir einige Kriterien über die neutestamentliche Gemeinde. Wir werden sie klarer sehen, wenn wir die wesentlichen Aussagen des Herrn in diesem Abschnitt aufzählen, und sie mit dem vergleichen, was der Herr nicht gesagt hat.

„Zwei oder drei“ genügen, um „Gemeinde“ zu bilden.

Das heisst, um „Gemeinde“ zu sein, ist es nicht nötig, sich als Institution zu konstituieren, noch eine formelle Leiterschaft zu haben, noch eine gewissen Mindestzahl an „Mitgliedern“ zu haben. Der Herr erwähnt nichts von alldem. Nichts von dem Genannten ist ein Kriterium dafür, ob eine bestimmte Gruppe von Menschen „Gemeinde“ im neutestamentlichen Sinn sei. „Zwei oder drei versammelt“ genügen.
Wenn es jedoch in einer Stadt ausser diesen „zwei oder drei“ noch weitere wahre Christen gibt, dann sollten wir fragen, wie es um die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Christen bestellt ist. Um diese Frage werden wir uns, so Gott will, bei einer anderen Gelegenheit kümmern.

Sofern es im Namen des Herrn geschieht.

Dieser Punkt ist hinwiederum wesentlich. Damit eine Gruppe oder Versammlung neutestamentliche Gemeinde sein kann, muss ihre Versammlung im Namen des Herrn Jesus Christus geschehen. Das bedeutet insbesondere, dass eine Gruppe, die sich in ihrem eigenen Namen versammelt, nicht neutestamentliche Gemeinde ist. Unzählige Gruppen, Institutionen und Kirchen behaupten, „Gemeinde“ zu sein, aber sie versammeln sich im Namen ihrer eigenen Organisation. Vielleicht erklären sie in ihren Versammlungen, dass sie „im Namen Jesu Christi“ versammelt seien; aber in der Praxis zeigen sie, dass sie ihrer eigenen Organisation einen höheren Stellenwert einräumen: Sie arbeiten, lehren und evangelisieren, um mehr Mitglieder zu ihrer eigenen Organisation hinzuzugewinnen. Wenn jemand sie fragt: „Zu was für einer Gemeinde gehörst du?“, dann identifizieren sie sich mit dem Namen ihrer eigenen Organisation. Und im allgemeinen nehmen sie keine Korrektur an von einem Christen, der nicht zu ihrer eigenen Organisation gehört. Das kann sowohl in den mächtigsten Institutionen geschehen (z.B. in der römisch-katholischen Kirche), wie auch in den kleinsten unabhängigen Grüppchen. Wo diese Anzeichen zu beobachten sind, da ist ein wichtiges Kennzeichen der neutestamentlichen Gemeinde nicht erfüllt.

Es geht hier nicht um ein äusserliches „Namensschild“. Es gibt Gruppen, die sich „Gemeinde Jesu Christi“ nennen; aber wenn man sie näher kennenlernt, stellt man fest, dass sie mit diesem Namen ausschliesslich ihre eigene Organisation meinen. Es ist die innere Haltung, nicht das äussere Etikett, was darüber entscheidet, ob eine Gruppe sich wirklich im Namen Jesu versammelt.

Es ist bedeutungsvoll, dass praktisch alle echten geistlichen Erweckungen in der Geschichte ohne einen eigenen Namen und ohne konfessionelle oder institutionelle Ansprüche begannen. Es war lediglich ihre Umgebung – und hauptsächlich ihre Feinde -, welche den Erweckten Übernamen gaben wie „Täufer“, „Quäker“, „Methodisten“, „Pietisten“, „Pfingstler“, usw. Zu einem späteren Zeitpunkt begannen dann diese Gruppen von erweckten Christen diese Übernamen als ihre eigenen anzunehmen, und sich mit diesen Namen zu identifizieren. Und das signalisierte dann meistens auch schon das Ende der Erweckung und den Beginn eines schleichenden Abfalls vom Glauben, der sich darin manifestierte, dass sie nun sein wollten „wie alle anderen (Denomi-)Nationen“.

Ein wesentliches Hindernis zum Verständnis der neutestamentlichen Schriften besteht darin, dass fast zu jeder Zeit der grössere Teil der Christen geistlich in einer Gruppe aufgewachsen ist, die sich mit ihrem eigenen konfessionellen Erbe stärker identifiziert als mit der Heiligen Schrift. Dieses besondere konfessionelle Erbe wird dann ständig in die Schrift hineingelesen und verstellt die Sicht darauf, was wirklich geschrieben steht.
Aber „lebendig und wirksam ist das Wort Gottes, und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch bis zur Trennung von Seele und Geist, Gelenken und Mark; und hat Macht, Überlegungen und Gedanken des Herzens zu richten.“ (Hebräer 4,12). Dieses „lebendige und wirksame Wort“ (inbegriffen seine Beschreibungen der christlichen Gemeinde) kann von jedem erfahren werden, der dazu bereit ist, seine konfessionellen Traditionen beiseitezulegen, und der aufrichtig Gott sucht, um von ihm belehrt zu werden durch sein Wort und seinen Heiligen Geist.