Rede vor der Homeschooling-Konferenz des Staates Vermont
Zwischen 1967 und 1974 wurde die Lehrerbildung in den Vereinigten Staaten insgeheim umgewandelt durch die koordinierten Anstrengungen einer kleinen Zahl privater Stiftungen, gewisser Universitäten, weltweiter Unternehmen, und ähnlicher Interessengruppen.
Drei kritische Dokumente in dieser Transformation waren: Zuerst „Taxonomie der Lehrziele“, von Benjamin Bloom. Dann ein Projekt in mehreren Staaten, das 1967 begonnen wurde, unter dem Namen „Die Schulbildung der Zukunft entwerfen“. Und schliesslich das „Schulprojekt verhaltensorientierter Lehrer“. Diese wurden in den Erziehungsdepartementen aller Staaten verbreitet; und den Pionierdistrikten, die diese Neuerungen zuerst einführten, wurde eine Art Bestechungsgelder ausbezahlt.
Beginnen wir mit „Die Schulbildung der Zukunft entwerfen“. Die Autoren definierten Schulbildung neu, nach deutschem Vorbild des 19.Jahrhunderts, als „ein Mittel, um wichtige wirtschaftliche und gesellschaftliche Ziele nationalen Charakters zu erreichen“. Und ich beeile mich beizufügen, dass die Entwicklung Ihres Sohnes oder Ihrer Tochter in keinem dieser Ziele enthalten ist. Die Schulbehörden der einzelnen Staaten würden von da an „handeln als Vollzugsinstanzen des Bundes, um sicherzustellen, dass die örtlichen Schulen die Anordnungen des Bundes erfüllen.“ Das Dokument sagt weiter, „das Erziehungsdepartement jedes Staates muss ein Veränderungs-Agent sein“, und „die Veränderung muss institutionalisiert werden“. Ich zweifle daran, dass irgendetwas darüber in irgendeiner Zeitung berichtet worden wäre.
Das „Schulprojekt verhaltensorientierter Lehrer“ skizziert spezifische Reformen, die ab 1967 dem Land aufgezwungen werden sollten. Ihr Ziel ist (Zitat) „die unpersönliche Manipulation, durch die Schule, eines zukünftigen Amerika, in welchem nur wenige in der Lage sein werden, die Kontrolle über ihre eigenen Meinungen zu behalten.“ Ein Amerika, in welchem „jedes Individuum bei seiner Geburt eine Mehrzweck-Identifikationsnummer erhält, welche Arbeitgebern und anderen Kontrollinstanzen erlaubt, ihnen nachzuspüren, und sie der unterschwelligen Einflussnahme des Erziehungsdepartements auszusetzen …“
Die Leser – Sie und ich waren natürlich nicht unter diesen Lesern – erfuhren, dass ab 1967 chemische Experimente mit Minderjährigen ein normales Vorgehen sein würden. Das ist eine deutliche Vorahnung der gegenwärtigen massiven Ritalin-Interventionen. Es wurde erwartet, dass Lehrer als „Veränderungs-Agenten“ des Staates handeln würden; und die Lehrerbildner wurden darüber informiert, dass ab sofort die Verhaltenswissenschaft den akademischen Lehrplan ersetzen würde. Das Projekt beschreibt eine Zukunft, „in der eine kleine Liga alle wichten Angelegenheiten unter Kontrolle hat, und in der die partizipative Demokratie weitgehend verschwinden wird.“ Kinder sollten dazu erzogen werden, anzuerkennen, dass ihre Kameraden, und überhaupt alle durchschnittlichen Menschen, derart unangepasst und unverantwortlich seien, dass sie unter Kontrolle gehalten und reguliert werden müssten. Die immense Zunahme der Gewalt an Schulen, und das allgemeine Chaos in den späten sechziger Jahren, als Lehrer landesweit ihre Fähigkeit verloren, Kinder zu disziplinieren, wurde als willkommene Rechtfertigung gesehen, um die traditionellen Freiheiten drastisch einzuschränken.
(…) Die „Taxonomie der Lehrziele“ … war (Zitat) „ein Instrument, um die Arten zu klassifizieren, wie Individuen handeln, denken oder fühlen sollen, als Resultat der Teilnahme an einer bestimmten Lehreinheit.“ Ich zweifle daran, dass irgendein denkendes Elternpaar unter dieser Voraussetzung ihre Kinder zur Schule senden würde. Die Kinder würden die „angemessenen“ Haltungen lernen, und müssten ihre „unangemessenen Haltungen“ (die sie von zuhause mitbringen) korrigieren lassen.
Aber warum wird dies alles getan? Ein grosser Teil der Antwort findet sich in der neusten Ausgabe des „Magazins für äussere Angelegenheiten“, eine der einflussreichsten Zeitschriften der USA, in einem Artikel von Mort Zukerman. Er schreibt unsere wirtschaftliche Überlegenheit gewissen Merkmalen des amerikanischen Arbeiters und des amerikanischen Arbeitsplatzes zu. Zwischen den Zeilen ist zu lesen, dass diese Überlegenheit von der Art herrührt, wie wir unsere Jungen ausbilden. Und worin besteht diese Überlegenheit? Nach Zukerman in erster Linie darin, dass der Amerikaner ein Dominostein ist, der sich vom Management dominieren lässt und nicht viel zu sagen hat. Im Gegensatz dazu, sagt Zukerman, „leidet“ Europa unter einer starken handwerklichen Tradition, die verlangt, dass der Arbeiter bei Entscheidungen mitredet. (…)
Ausserdem sagt er, „die Arbeiter in Amerika leben in einem ständigen Panikzustand, einer Angst, übergangen zu werden, sie wissen, dass die Unternehmen ihnen nichts schulden, es gibt keine Macht, gegen Entscheidungen des Managements zu apellieren. Die Angst ist unser geheimes Aufladegerät; sie gibt dem Management die Flexibilität, die andere Länder nie haben werden.“ … 1996 fürchteten fast die Hälfte der Angestellten grosser Firmen, entlassen zu werden. Das ist der doppelte Prozentsatz von 1991, als die Wirtschaftslage längst nicht so gut war. Diese Angst hält die Löhne unter Kontrolle.
Und unser endloser Konsum schliesst den goldenen Kreis. Zukerman sagt, die erstaunliche amerikanische Sucht nach Neuem gibt den amerikanischen Unternehmen ihren einzigartigen inländischen Markt. Andernorts vertrocknet das Geschäft in schwierigen Zeiten; aber wir hier kaufen weiter ein, bis wir pleite gehen, und verpfänden unsere Zukunft, damit die Güter und Dienste weiter fliessen. – Zukerman schreibt keineswegs kritisch, sondern lobend über diese Dinge. Zweifellos ist der fantastische Reichtum der amerikanischen Unternehmen ein direktes Ergebnis der Schulbildung. Schulen, die eine gesellschaftliche Masse dazu erziehen, bedürftig, ängstlich, neidisch, gelangweilt, talentlos und unvollständig zu sein. Die Wirtschaft der Massenproduktion braucht ein derartiges Publikum. Das ist niemandes Schuld. Genauso wie das Kleingewerbe der Amischen Intelligenz, Kompetenz, Nachdenken und Mitleid erfordert, so erfordern unsere Grossunternehmen eine gut verwaltete Masse – nivellierte, ängstliche, geistlose Familien, gottlos und angepasst; Menschen, die glauben, der Unterschied zwischen Coca Cola und Pepsi sei ein Streitgespräch wert. … Wir lernen in der Schule, dass Freude und Erfüllung von äusserlichen Dingen kommt, vom Besitz, und nicht von innen. Die Schule verkürzt unsere Konzentrationsspanne auf wenige Minuten, sodass wir ein Leben lang nach Erleichterung der Langeweile schreien, durch äusserliche Stimulation. Zusammen mit dem Fernsehen und Computerspielen, welche dieselbe Lehrmethode anwenden, werden diese Lektionen bleibend eingeprägt …
Einschub von seiten des Übersetzers:
Was vor gut einer Generation in den USA geplant wurde, ist heute in den Schulsystemen der gesamten westlichen Welt Wirklichkeit: Lehrer und Schüler werden gezielt daraufhin programmiert, die (vom Staat) erwünschten Denkweisen und Haltungen anzunehmen. Offizielle Lehrpläne enthalten nicht mehr bloss Ziele über Wissen und Können, sondern zunehmend emotionelle, haltungs- und verhaltensmässige „Lernziele“, die mittels psychologischer Manipulation der Schüler erreicht werden sollen. Ganz zu schweigen von den „inoffiziellen“ Zielen, über die der Normalbürger gar nicht informiert wird.
Eine kurze Durchsicht einiger mehr oder weniger zufällig ausgewählter Lehrpläne ergab Folgendes:
Zuerst einmal fällt auf, wie umfangreich diese Dokumente sind! Bis ins kleinste Detail wird vorgeschrieben, was (und z.T. auch wie) Lehrer lehren und Schüler lernen sollen. Der peruanische nationale Lehrplan von 2009 umfasst 484 Druckseiten. Allerdings sind darin nicht weniger als siebzehn „Schuljahre“ enthalten, weil der Staat heutzutage so ehrgeizig (oder totalitär) ist, schon die Erziehung von Kleinkindern von „null bis drei Jahren“ per Lehrplan zu regeln. – Entsprechend der sprichwörtlichen deutschen Gründlichkeit hat der Lehrplan für die bayerische Grundschule (Juli 2000) 305 Seiten für lediglich vier Schuljahre, das macht 76 Seiten pro Schuljahr! Angesichts dieser Vorschreib- und Kontrollwut nimmt es sich wie ein schlechter Scherz aus, wenn auf Seite 7 dieses Dokuments steht: „Die Grundschule bahnt freiheitlich-demokratische (etc …) Werthaltungen an.“ Der Ort, der angeblich auf das Leben in einer „freiheitlich-demokratischen“ Gesellschaft vorbereiten soll, ist gerade der Ort, wo am wenigsten Freiheit herrscht.
Sehen wir uns einige dieser Lehr- und Lernziele an. Im bayerischen Lehrplan steht unter „Fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgaben“ auf Seite 15:
„Soziales Lernen und grundlegende politische Bildung
Im Sinne einer politischen Grundbildung werden in der Grundschule soziale Lernprozesse initiiert und unverzichtbare Werte menschlichen Zusammenlebens erfahrbar gemacht. Durch die Förderung sozialer Verhaltensweisen wie Rücksichtnahme, Verantwortungsbereitschaft, Solidarität, Toleranz, Urteilsfähigkeit und die Bereitschaft, Konflikte friedlich zu lösen oder auszuhalten, werden die Schüler auf ein Leben als Staatsbürger in einer demokratischen Gesellschaft vorbereitet.“
– Nichts dagegen, dass Kinder lernen, aufeinander Rücksicht zu nehmen oder nach einem Streit wieder Frieden zu schliessen. Aber ist es wirklich Aufgabe der Schule, Kindern bestimmte Verhaltensweisen „anzuerziehen“, als ob sie als Vollwaisen aufwüchsen? Und ist es Aufgabe des Staates, solche Werte und Verhaltensweisen im Detail vorzuschreiben? Und was ist mit jenen „Werten“, die den christlichen Prinzipien widersprechen (wie z.B. die seit einigen Jahrzehnten im Sinne von „politischer Korrektheit“ umdefinierte Bedeutung von „Toleranz“)?
Weiter: „Die Kinder sollen ein stabiles Selbstwertgefühl aufbauen, um so eine bejahende Lebenseinstellung zu gewinnen und eine eigene Identität zu entwickeln.“ (Fachprofil Ethik, S.23). – Man kann verschiedener Meinung darüber sein, ob ein „stabiles Selbstwertgefühl“ von Vorteil ist oder nicht, und was genau darunter zu verstehen sei. Aber gerade in diesen Bereichen, wo man verschiedener Meinung sein kann, hinterlässt das Wörtchen „soll“ einen bitteren Nachgeschmack nach Gedankenpolizei.
„… sollen sich eine offene, realitätsbezogene Einstellung gegenüber Personen mit fremder Sprache und Kultur und damit Verständnisbereitschaft und Toleranz entfalten.“ (Fachprofil Fremdsprachen, S.28) – Wieder wird mit „Sollen“ eine Werthaltung vorgeschrieben, die mit dem eigentlichen Erwerb von Fremdsprachen nichts zu tun hat. Diese „Achtung und Toleranz vor Fremdem“ erscheint gehäuft im bayerischen Lehrplan; so auch in den Fachprofilen Heimat- und Sachunterricht sowie Kunsterziehung.
Weiter: „Pflanzen oder auch kleine Tiere nicht achtlos zertreten; nicht mit Lebensmitteln spielen.“ (S.74 Fachlehrplan Ethik 1./2.Jg, S.74) – Was hat das mit Schule zu tun? Und warum soll Kindern verboten werden, z.B. aus ihrem Kartoffelbrei im Teller eine Landschaft zu modellieren, oder aus Böhnchen Muster zu legen? Man wird an die Pharisäer erinnert, die Gottes Gebote durch eine Unzahl von Menschengeboten ersetzten (Matth.15,1-9).
Noch ein letztes Zitat aus Bayern, ohne Kommentar:
„Geschlechtsspezifische Rollenerwartungen hinterfragen“ (Fachlehrplan Heimat- und Sachunterricht, 4.Jg, S.264).
Gehen wir nach Nordrhein-Westfalen. Da wird schon ganz zu Anfang in den allgemeinen Richtlinien festgehalten, dass die Schule den Kindern ganz bestimmte vorgeschriebene Wertvorstellungen und Haltungen anerziehen soll:
„Die Arbeit in der Schule zielt im Sinne eines erziehenden Unterrichts darauf ab, die Kinder zu unterstützen, die Welt zunehmend eigenständig zu erschließen, tragfähige Wertvorstellungen im Sinne der demokratischen Grundordnung zu gewinnen und dadurch Urteils- und Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Damit verbunden ist die Aufgabe der Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler zu solidarischem Handeln in sozialer Verantwortung, zu Toleranz und Achtung der Menschenrechte und anderer, auch religiöser, Überzeugungen, zu einem friedlichen Miteinander in der Einen Welt sowie zur Achtung vor Natur und Umwelt zu erziehen.“ (S.14-15, „Erziehender Unterricht“)
Ebenso heisst es: „Lehrerinnen und Lehrer (…) bahnen Einstellungen und Haltungen an (…)“ (S.17, „Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer“).
Im Lehrplan für das Fach Deutsch wird den Schülern sogar vorgeschrieben, wie sie sich im Unterricht fühlen sollen: „Sie erfahren Freude an sprachlicher Gestaltung und sprachlichem Spiel, entwickeln ihr sprachliches Selbstvertrauen weiter und übernehmen Verantwortung im Gebrauch der deutschen Sprache.“ (S.23) – Wenn also ein Kind im Deutschunterricht trotz allen psychologischen Tricks des Lehrers keine Freude empfindet, dann hat es das Lernziel nicht erreicht?!
Der NRW-Lehrplan scheint ein Interesse daran zu haben, Mädchen und Jungen zwangsweise einander gleich zu machen: „Die unterschiedlichen Körper- und Bewegungserfahrungen können es notwendig machen, geschlechterbewusst zu differenzieren, um Mädchen zu stärken und Jungen für sich und andere zu sensibilisieren.“ (S.113, Lehrplan Sport). Von daher ist wohl auch der folgende Satz im Lehrplan für den Sachunterricht zu verstehen: „Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Respekt und Toleranz gegenüber anderen Personen und Gruppen leistet die kritische Auseinandersetzung mit Rollenerwartungen und Rollenverhalten von Jungen und Mädchen, Männern und Frauen.“ (S.42)
Der Lehrplan zum Sachunterricht verlangt auch „eine kritisch-konstruktive Haltung zu Naturwissenschaft und Technik“ (S.39). – In den „Kompetenzerwartungen am Ende der Klasse 4“ heisst es: „Die Schülerinnen und Schüler (…) erkunden Möglichkeiten der Partizipation von Kindern an Entscheidungen im Gemeinwesen und beteiligen sich daran (z.B. Planung von Spielplätzen und Schulwege (sic), Kulturprogramme für Kinder)“. (S.48) – Auch das sind Dinge, über die man verschiedener Meinung sein kann, bzw. die man der Entscheidung der einzelnen Kinder und deren Familien überlassen sollte. Aber nein, der Staat schreibt vor, wie Schüler zu denken und zu handeln haben.
Auch der Lehrplan für die Volksschule des Kantons Bern von 1995 schreibt ähnliche Dinge vor:
„Als sozialer Erfahrungsraum ermöglicht es die Schule, Regeln des Zusammenlebens anzuwenden und den Umgang mit Konflikten zu üben. Entsprechende Erfahrungen im Schulalltag fördern Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit. Rücksichtnahme, Geduld, Achtung, Toleranz, Einfühlungsvermögen, Verstehenwollen, Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Engagement und Mut sind wichtige Ziele sozialen Lernens.
Die Schule fördert das partnerschaftliche Zusammenleben von Mädchen und Knaben. Sie berücksichtigt die Interessen der Kinder und Jugendlichen beider Geschlechter gleichwertig.
(…) Die Schule fördert Haltungen, welche Diskriminierung – sei es aufgrund des Geschlechts, der sozialen Herkunft, der Religion oder der Rasse – ablehnen. Sie setzt sich für die Solidarität gegenüber Benachteiligten ein.“ (S.19, „Leitideen zur Sozialkompetenz“)
– Wiederum kann man mit vielen dieser Werte einverstanden sein, aber es erheben sich dieselben grossen Fragen: Wie werden diese Haltungen in der Praxis genau definiert? Und warum muss der Staat diese überhaupt vorschreiben? Wird da nicht auf gravierende Weise in den Bereich der Familie eingegriffen?
Mehrere Fachlehrpläne im bernischen Lehrplan enthalten unter den „Richtzielen“ eine ganze Liste von vorgeschriebenen „Haltungen“. Zum Fach „Natur-Mensch-Mitwelt“ steht da z.B: „Sich mit Formen und Traditionen des Zusammenlebens, mit Werten und Normen und mit ideologischen Strömungen auseinander setzen und dabei eine kritische Distanz zu fundamentalistischen und totalitären Denk- und Handlungsweisen erwerben.“ (S.52) – Merkt überhaupt noch jemand, dass das Vorschreiben bestimmter Werte, Denkweisen und Haltungen an sich bereits eine totalitäre Handlungsweise (von seiten des Staates) ist??
Zuguterletzt noch einige Beispiele aus Perú. Da wird auf S.32 des nationalen Lehrplans ganz direkt vorgeschrieben, was für Charaktereigenschaften ein Schüler am Ende seiner Schulzeit aufweisen soll:
„Ethisch und moralisch. Sensibel und solidarisch. Kreativ und innovativ. Kommunikativ. Kooperativ. Organisiert. Forscht und informiert sich. Mitfühlend und tolerant. Kritisch und reflektierend. Unternehmerisch. Transzendent. Flexibel. Löst Probleme. Proaktiv. Autonom.“
In der Fortsetzung wird auch die „Konsensbereitschaft“ als wichtiges charakterliches Lernziel hervorgehoben – ein Punkt, der in den deutschsprachigen Lehrplänen unter dem Stichwort „Konfliktlösung“ in ähnlicher Weise erscheint. Im gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima ist hier zu fragen, ob dieses Lernziel nicht zunehmend in dem Sinne verstanden wird, Schüler mit festen Überzeugungen (z.B. christlichen) dahingehend zu beeinflussen, dass sie „um des Friedens willen“ hinsichtlich dieser Überzeugungen Kompromisse eingehen?
Auch im peruanischen Lehrplan erscheint der Propagandaspruch, dass angeblich an der Schule „demokratisches Zusammenleben“ gelernt werden soll, obwohl jeder weiss, dass es die Lehrer bzw. deren Vorgesetzte sind, welche alle wichtigen Entscheidungen auf diktatorische Weise treffen.
Im weiteren enthalten die jahrgangsspezifischen Fachlehrpläne jeweils detaillierte Lernziele, nicht nur für „Kenntnisse und Fähigkeiten“, sondern auch für „Haltungen“. Auch da wird detailliert vorgeschrieben, wie sich die Kinder im Unterricht fühlen sollen, und an was für Tätigkeiten sie Freude haben sollen. Z.B. im Fachlehrplan „Kommunikation“ für den Kindergarten, Vierjährige (!): „Erfreut sich seiner künstlerischen Ausdrucksformen und zeigt Wertschätzung für die Produktionen der Gruppe und seiner eigenen.“ – Für Erstklässler: „Nimmt mit Begeisterung (!) an den persönlichen oder gruppenweisen Schreibprojekten teil.“ – „Zeigt Sicherheit und Vertrauen beim Schreiben.“ (Die Ironie dieser Sätze wird in ihrem vollen Ausmass erst verständlich, wenn man weiss, dass die Mehrheit der Schüler am Ende des ersten Schuljahres noch gar nicht lesen und schreiben können; aber alle lernen, wie man vorgibt, es zu können.) – Mathematik, erste Klasse: „Zeigt eine Neigung (!) zum Gebrauch der symbolischen und graphischen Sprache.“ – „Erfreut sich daran, geometrische Figuren in seiner Umgebung zu beschreiben.“
Noch ein paar spezifischere Beispiele aus dem Fach „Persönlich-Soziale Erziehung“: – „Beweist bürgerliches Verantwortungsbewusstsein darin, bei Käufen eine Quittung zu verlangen.“ (4.Klasse.) (Nicht etwa zum Zweck der eigenen Buchhaltung, sondern um dem Staat zu helfen, Kleingeschäftsinhaber aufzuspüren, die mittels Unterschlagung von Quittungen Steuern hinterziehen.) – „Organisiert sich verantwortungsbewusst in den Zivilschutzbrigaden der Schule und Gemeinde.“ (4. bis 6.Klasse.)
Aus dem Fach „Wissenschaft und Umwelt“: „Konfrontiert diskriminierende Situationen.“ (2.Klasse!) – „Anerkennt andere Standpunkte und neigt dazu, diese zu akzeptieren.“ (4.Klasse) – „Beurteilt die Ausbeutung natürlicher Ressourcen kritisch.“ (5.Klasse) – „Trifft verantwortliche und gesunde Entscheidungen über seine Sexualität.“ (6.Klasse) (Was soll das heissen??)
Die Beispiele sprechen für sich selbst.
(Fortsetzung folgt)
Nachbemerkung: Die in dieser Artikelserie angesprochenen Themen (und viele weitere) sind ausführlich behandelt und dokumentiert in Gattos Hauptwerk, „Underground History of American Education“. Frei zugänglich auf der Website des Autors, http://www.johntaylorgatto.com . Da das amerikanische System, wie erwähnt, auf dem preussischen basiert, sind Gattos Untersuchungen auch für Deutschland bedeutungsvoll.
Siehe auch vom selben Autor: „Warum Schulen nicht bilden“.