Archive for the ‘Land und Leute im peruanischen Hochland’ Category

Die innerperuanische Migrantenkarawane

27. April 2020

Perú befindet sich wahrscheinlich unter den Ländern mit den strengsten Quaräntäne-Massnahmen, die zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie dienen sollen. Niemand darf sein Haus verlassen, ausser um Lebensmittel oder Medikamente einzukaufen, oder wer im Lebensmittelhandel oder Gesundheitswesen arbeitet. Geschäfte, die nicht zu diesen Sparten gehören, mussten schliessen. (Zusätzlich sind nur noch Banken, offiziell genehmigter Journalismus, sowie natürlich Polizei und Militär erlaubt.) Der Gebrauch sowohl öffentlicher wie privater Verkehrsmittel ist verboten. Auch Warentransporte (ausser Lebensmittel), Post- und Kurierdienste sind stillgelegt; Geschäfte dürfen also auch keine Hauslieferungen durchführen. Nachts und sonntags herrscht totale Ausgangssperre.

Als diese Massnahmen eingeführt wurden, soll gemäss Umfragen die Zustimmung der Bevölkerung zur Regierungspolitik von 52% auf 87% gestiegen sein – während in normalen Zeiten ein peruanischer Präsident ab seinem zweiten Regierungsjahr froh sein kann, wenn er auf über 20% Zustimmung kommt. Das ist anscheinend typisch für Perú, und für die meisten der ehemaligen spanischen Kolonien: Man möchte lieber einem „starken Mann“ folgen, statt selber Verantwortung zu übernehmen. Deshalb ist dieser Teil der Welt ein fruchtbarer Nährboden für alle Arten von Diktatoren.
Aber wie ich aus den Nachrichten vernehme, geschieht dasselbe auch in anderen Teilen der Welt – auch in Europa. Wie ein Kommentator sagte: „Diktaturen werden selten mit Gewalt eingeführt. Viel häufiger begrüsst die Bevölkerung die Zerstörung ihrer Freiheiten mit tosendem Applaus.“

Als Folge dieser seit sechs Wochen geltenden Massnahmen zeichnet sich jetzt eine humanitäre Katastrophe von unabsehbarem Ausmass ab. Das halbe Land ist arbeitslos. Nach einer Umfrage müssen mindestens 29% der Peruaner damit rechnen, auch nach Aufhebung der Quaräntäne ihre Arbeit nicht wieder aufnehmen zu können.

In Perú gibt es eine umfangreiche innere Migration. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sind hunderttausende von Menschen vom Land in die grösseren Städte, und von dort in die Hauptstadt Lima gezogen. Viele von ihnen arbeiteten dort als informelle Händler auf der Strasse, oder verrichteten einfache Handwerksarbeiten. Alle diese Tätigkeiten sind jetzt verboten. Viele dieser Menschen, die keine Ersparnisse haben, stehen vor dem Hungertod.
Nach Ostern machten sich rund 600 von ihnen auf, um zu Fuss in ihre über 500 Kilometer entfernte Heimat zurückzukehren. Nach etwa 50 Kilometern wurden sie von einer Polizeisperre aufgehalten, nach Lima zurück transportiert und in einem Fussballstadion untergebracht: Sie müssten dort eine 15-tägige Quaräntäne verbringen, und dann werde die Regierung sehen, wie sie Busse organisieren könne für ihre Heimreise.
Aber inzwischen haben sich viele weitere solche Gruppen nach allen Himmelsrichtungen aufgemacht. Die Zahl dieser Migranten wird jetzt auf Zehntausende geschätzt, und könnte bis auf eine halbe Million anwachsen. Einige Gruppen sind aufgehalten worden und übernachten jetzt unter freiem Himmel in Parks und ähnlichen Orten. Andere wandern weiter. Um Nahrung und Wasser zu erhalten, sind sie auf die Grosszügigkeit von Anwohnern angewiesen.

Auch Personen, die eine feste Anstellung hatten, sind betroffen. Statt eine Lockerung der Massnahmen und eine Wiederaufnahme der Arbeit zu verlangen, fiel der peruanischen Handelskammer nichts Besseres ein, als die Regierung um ein erleichtertes Verfahren für Massenentlassungen zu bitten – was auch bewilligt wurde. Niemand hat eine Ahnung, wie die dadurch entstehenden Probleme je gelöst werden sollen.

Die Regierung hat die Regionalregierungen damit beauftragt, Rückführungsoperationen für die Migranten zu organisieren. Doch diese sind damit hoffnungslos überfordert. Über 16’000 Personen haben sich in die Warteliste eingetragen, um in die Region Cusco zurückzukehren; aber der Gouverneur von Cusco hat erklärt, er könne höchstens für 600 Personen die Reise finanzieren. Nach Cajamarca möchten rund 70’000 Personen zurückkehren. In mehreren Regionen funktioniert schon die Warteliste nicht: Die veröffentlichten Internet-Links und Telefonnummern stellten sich als ungültig heraus.

Zu allem Überfluss hat die reisserische Berichterstattung der Massenmedien eine allgemeine Panik verursacht, vor allem in ländlichen Gebieten. An vielen Orten wurden Bürgerwehren organisiert, welche auf eigene Faust alle Zugangswege absperren, damit keine Auswärtigen ins Dorf gelangen können. Auch landwirtschaftliche Märkte können unter diesen Bedingungen nicht mehr stattfinden. Manche dieser Dörfer haben gemeinschaftlich beschlossen, dass sie selbst ihre eigenen Landsleute, die aus Lima zurückkehren, nicht aufnehmen wollen. „Die Regionalregierung soll sich um sie kümmern, aber hierher kommen sie nicht. Das ist ein Beschluss des ganzen Dorfes. Wir alle könnten uns mit diesem Virus anstecken, und dazu sind wir nicht bereit“, erklärte ein Gemeindevertreter der Presse gegenüber.

Wer wird einmal Rechenschaft ablegen müssen für diese alarmierenden Zustände? Die Medien, welche die Gefährlichkeit dieses Virus in unverantwortlicher Weise aufbauschen und übertreiben? Die Politiker, die dem Diktat internationaler Organisationen folgen und sich gegenseitig mit drastischen Massnahmen überbieten, um ihre „Führungsqualitäten“ zur Schau zu stellen? Die Weltgesundheitsorganisation und andere internationale Meinungsmacher, die mit ihren irreführenden und politisch motivierten Verlautbarungen an der allgemeinen Panik auch nicht unschuldig sind?

Wer nicht nur unkritisch die Berichterstattung der Massenmedien übernehmen möchte, dem empfehle ich, sich hier zu informieren. Alle Informationen auf der verlinkten Seite sind mit Quellen dokumentiert. Viele davon stammen von anerkannten Fachleuten, die aber in der Presse kaum zur Sprache kommen.

Quellen zu den obenerwähnten Nachrichten: Meldungen der letzten Woche in „La República“ und „El Comercio„, Lima.

Demokratieverständnis in Perú und in Europa

13. September 2019

Letztes Jahr ist bei einer Volksabstimmung in Perú eine Verfassungsreform gutgeheissen worden, die v.a. für mehr Transparenz und Gerechtigkeit bei Wahlen sorgen soll. Eingeführt worden ist diese Reform aber bisher nicht, weil das Parlament zuerst darüber befinden muss, ob und wie diese Reform verwirklicht werden soll. Dabei sind alle möglichen Änderungs- bzw. Verwässerungsvorschläge eingebracht worden, und die Debatten darüber sind immer wieder verschleppt worden. Der politischen Elite ist anscheinend viel daran gelegen, diese Reformen zunichte zu machen, oder sie zumindest so weit hinauszuzögern, dass die nächsten Parlamentswahlen noch unter der alten Gesetzgebung abgehalten werden müssen.

Für mich als Schweizer ist ein solches System nicht so leicht nachvollziehbar. Nach dem schweizerischen Verständnis bedeutet Demokratie („Volksherrschaft“), dass das Volk das letzte Wort hat. Ergebnisse einer Volksabstimmung werden ohne Wenn und Aber umgesetzt, da hat das Parlament nichts mehr zu sagen. Ausser eine Abstimmung sei durch falsche Informationen behördlicherseits manipuliert worden, wie in einem nicht so lange zurückliegeden Fall (meines Wissens erstmals) in der Schweiz gerichtlich entschieden wurde.

Ein möglicher Ausweg bleibt der peruanischen Regierung noch: Wenn erwiesenermassen das Parlament den Auftrag der Exekutive sabotiert, dann kann unter gewissen Umständen der Staatspräsident das Parlament auflösen. Doch die Verfassung macht ihm das nicht leicht; es müssen dazu eine ganze Menge Bedingungen erfüllt sein. Andererseits haben Umfragen ergeben, dass in der gegenwärtigen Situation eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung eine solche Massnahme gutheissen würde. Immer wieder finden Streiks und Protestaktionen statt, bei denen zur Auflösung des Parlaments aufgerufen wird.

An all das musste ich denken, als ich kürzlich von den Entrüstungsstürmen las, die Boris Johnson ausgelöst haben soll mit seiner Entscheidung, das britische Parlament – nicht aufzulösen, nur für ein paar Wochen zu schliessen. Die Situation ist durchaus mit der peruanischen vergleichbar. Der Brexit ist nach demokratischen Massstäben eine beschlossene Sache; das Volk hat entschieden. Doch das Parlament hat bisher die Inkraftsetzung dieses Beschlusses erfolgreich verhindert. Auch wenn einige Snobs wie Richard Dawkins verlauten liessen, man hätte das tumbe Volk gar nicht über eine so hochwichtige Sache abstimmen lassen dürfen – so weit ist England noch nicht, dass selbsternannte Wissenschaftspäpste die Regierung in der Tasche hätten wie im Mittelalter die Päpste von Rom. (Deutschland scheint in dieser Hinsicht „weiter“ zu sein. Wann gab es dort zum letzten Mal eine Volksabstimmung?)

Man mag manche Einwände gegen demokratische Regierungsformen an sich vorbringen. Aber wenn ein Land einmal entschieden hat, sich demokratisch zu regieren, dann müssen die Regierenden sich an diese Spielregeln halten. Auch gewählte „Volksvertreter“ können einen Volksbeschluss nicht einfach annullieren. Und die Exekutive hat in einer Demokratie den Auftrag, den Willen des Volkes in die Tat umzusetzen, gegen alle Widerstände – selbst wenn diese Widerstände vom Parlament kommen. Deshalb ist „Demokratie“ gerade dasjenige Argument, das man nicht gegen Boris Johnson ins Feld führen kann. Im Gegenteil, er hat das Demokratischste getan, was er in seiner Situation tun konnte: nämlich dem Volkswillen Geltung zu verschaffen (oder es zumindest zu versuchen). Die Reaktion von Parlament und Presse zeigt, dass Europa anscheinend noch (oder wieder) weiter entfernt ist von einem echten Demokratieverständnis als Perú.

Lateinamerikanische Migranten und die Nachrichten darüber

26. November 2018

Liebe Blog-Leser,

während den letzten Monaten liessen mir meine Aktivitäten keine Zeit mehr zum Blog-Schreiben. Doch nun möchte ich mich zurückmelden, mit einem aktuellen lateinamerikanischen Thema.

Ab und zu lese ich aus Neugier einige Nachrichten aus deutschsprachigen Medien im Internet. Was Lateinamerika betrifft, scheint es da in den letzten Wochen nur ein Thema gegeben zu haben: eine sogenannte „Migrantenkarawane“, die aus einigen mittelamerikanischen Ländern ausgezogen ist und es anscheinend auf die USA abgesehen hat. Dabei werden regelmässig die Regierungen Mexikos und der USA für ihren „Mangel an Mitmenschlichkeit“ gerügt. Meldungen wie die folgende scheinen es dagegen nicht auf die andere Seite des Atlantiks zu schaffen. (Auszugsweise von mir übersetzt) :

Politische Motive in der Karawane von Honduranern beklagt

Der Präsident von Guatemala, Jimmy Morales, (…) erklärte, diese Karawane sei „politisch motiviert. Sie hat zum Ziel, die (Landes-)Grenzen gewaltsam zu durchbrechen. Zu diesem Ziel nützen sie das Wohlwollen der Staaten aus, und bringen damit natürlich das Wichtigste, die Menschen, in Gefahr.“
Angesichts dieses Betrugs, sagte seinerseits der honduranische Präsident, Juan Orlando Hernández, hätten viele Teilnehmer der Karawane ihre Entscheidung bereut, und etwa 2’000 Personen seien in ihr Land zurückgekehrt, während 486 sich noch auf dem Weg befänden. (… Für die Rückkehrer) gebe es in Honduras eine Arbeitsgruppe, um sie zu empfangen, und ein Paket von Angeboten, damit die Personen ihre Lebensqualität verbessern können. (…)“

Tageszeitung „La República“, Lima, 20.Oktober 2018

(„La República“ ist übrigens keineswegs eine „rechtsradikale“ Zeitung, sondern im Gegenteil sozialdemokratisch ausgerichtet. Nur dass sie es nicht für nötig hält, sämtliche Meldungen zu zensurieren, in denen ein anderer Standpunkt zum Ausdruck kommt.)

Doch gibt es daneben eine Tragödie unvergleichlich grösseren Ausmasses, die in den deutschsprachigen Medien völlig zu kurz kommt. Allein in Perú sind während den letzten Jahren über eine halbe Million Venezolaner eingewandert, und täglich kommen etwa tausend dazu. Andere südamerikanische Länder melden ähnliche Zahlen. In Grossstädten wie Lima trifft man inzwischen überall auf Venezolaner. Warum interessieren sich die Nachrichtenmacher in Europa anscheinend nicht dafür? Über die Gründe kann ich nur spekulieren:

Die Venezolaner veranstalten keine gewalttätigen Protestaktionen. Sie kommen auch nicht mit überheblichen Forderungen nach staatlichen Sozialleistungen – die ein Land wie Perú sowieso nicht erbringen könnte. Auch ist die Kriminalität unter ihnen nicht wesentlich grösser als unter der einheimischen peruanischen Bevölkerung. Nein, die meisten kommen bescheiden, gewillt sich anzupassen, und dankbar. Dankbar, dass sie eine Bleibe finden dürfen in einem Land, wo sie nicht auf der Strasse nach Hunden und Ratten jagen müssen, um etwas zu essen zu haben. Deshalb sind sich selbst Ingenieure, Ärzte und Anwälte nicht zu schade, erst einmal in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Strasse Imbisse zu verkaufen, solange sie keine Arbeit finden können, die ihrer Ausbildung eher entspricht. – Es zieht sie auch nicht mehrheitlich in die USA. Lieber gehen sie in Länder, wo sie nicht so grosse sprachliche und kulturelle Schranken überwinden müssen. Und wohin die Reise nicht so teuer ist. Ihnen finanziert ja keine internationale Organisation die Reisekosten. – Und natürlich haben sie nicht die Absicht, den Regierungen und Einwohnern ihrer Gastländer bewusst Schwierigkeiten zu bereiten. Kurz, es handelt sich mehrheitlich um ganz normale, friedfertige Migranten „alten Stils“. Und es ist klar, dass es sich bei ihnen um die Opfer einer Notsituation in ihrem Land handelt, und nicht um die Schuldigen. Deshalb hat auch die peruanische Regierung kein überaus grosses Problem damit, ihnen erleichterte Bedingungen für den Grenzübertritt und die Niederlassung zu gewähren. Z.B. wird ihre nationale Identitätskarte als gültiger Ausweis anerkannt, denn die venezolanischen Behörden sind gegenwärtig ausserstande, der Nachfrage nach Pässen nachzukommen. Ob mit Absicht oder aus tatsächlichem Mangel an Kapazität, bleibe dahingestellt.

Diese Art von Migranten dienen nicht als Kanonenfutter für politische Propaganda. Insbesondere weil es etwas schwierig wäre, die Leser davon zu überzeugen, dass auch hier die Prügelknaben der „politisch korrekten“ Medien, Trump und Putin, daran schuld seien. Aus all diesen Gründen sind die Millionen venezolanischer Migranten anscheinend für deutschsprachige Nachrichtenmedien längst nicht so interessant wie die paar tausend Radaumacher aus Mittelamerika. Die Situation der Venezolaner könnte ja dem Leser bewusst machen, was das Wort „Migration“ eigentlich (früher einmal) bedeutete: eine friedliche Auswanderung, oft ausgelöst durch eine echte Notsituation, und mit der Absicht, sich durch eigene Arbeit im Gastland eine neue Existenz aufzubauen und sich an die dortigen Bedingungen anzupassen. So wie vor Jahrzenten z.B. Tamilen, Tibeter, Ungaren, und noch früher Juden in Länder wie die Schweiz flüchteten. – Ja, Fremdenfeindlichkeit hat es immer gegeben; doch sie hielt sich in Grenzen, weil jene Einwanderer in der Regel keine grösseren Probleme verursachten. Wenn sich heute in manchen Teilen Europas eine feindseligere Stimmung den „Migranten“ gegenüber breitmacht, dann muss man sich doch fragen, ob das nicht auch mit dem Verhalten und den Absichten dieser Migranten selber zu tun hat (und den Drahtziehern dieser Migrationen), die sich von früheren Migrationen wesentlich unterscheiden. Das Beispiel der Venezolaner könnte aufzeigen, dass auch heute noch eine Masseneinwanderung möglich ist, ohne dass es zu grösseren politischen Krisen und Zusammenstössen kommen muss. Sofern die Einwanderer die nötigen Voraussetzungen erfüllen.

Und nicht zuletzt muss man sich fragen, angesichts der unausgewogenen Gewichtung der Nachrichten im deutschsprachigen Raum, was für politische Motive bei diesen Medien dahinterstehen.

Die Korruption, die auf uns zukommt

6. August 2017

Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, in einem Land zu leben, das von Korruption geprägt ist? Hier ein paar Beispiele, was gewöhnliche Bürger in Perú so erleben können:

Sie müssen auf einem Amt oder auf der Polizei irgendeinen Papierkram erledigen: z.B. einen Geburtsschein, ein Leumundszeugnis, eine Wohnsitzbescheinigung, o.ä. ausstellen lassen … aber Ihr Antrag wird jedesmal abgelehnt, weil der zuständige Beamte immer wieder einen neuen Formfehler findet, oder noch ein zusätzliches Belegdokument verlangt, das nicht in der ursprünglichen Liste aufgeführt war. Oder Sie kommen überhaupt nicht an die Reihe: „Wir haben jetzt gleich eine Sitzung. Kommen Sie morgen wieder.“ – Das ist die Art des Beamten, Ihnen mitzuteilen, dass er ohne Schmiergeld Ihren Antrag nicht bearbeiten wird.

Oder Sie stehen vor dem Universitätsabschluss und haben eine wichtige Prüfung knapp bestanden, während Ihre Kollegen durchgefallen sind. Doch als die offiziellen Noten veröffentlicht werden, stellen Sie fest, dass alle Ihre Kommilitonen plötzlich bessere Noten haben als Sie. Warum? – Einfach. Ihre Kollegen haben den Professor bestochen, damit er ihre Noten aufbessert.

Oder Sie sind Opfer eines massiven Betrugs geworden und haben eine Strafanzeige eingereicht. Einige Zeit später erhalten Sie unerwartet Besuch von der Polizei mit einem Hausdurchsuchungsbefehl. Dabei wird in Ihrem Haus ein Drogenpaket „gefunden“. Nun stehen Sie vor Gericht. Auf Umwegen erfahren Sie, dass jene Polizisten von der Betrügerbande angeheuert worden waren, die Sie damals angezeigt hatten. Aber das können Sie vor Gericht natürlich nicht beweisen.

Hier als weitere Illustration einige Ausschnitte und Zusammenfassungen von Zeitungsmeldungen der letzten Jahre:

Vor den bevorstehenden Regional- und Kommunalwahlen 2014 wurde bekannt, dass 2131 Kandidaten zuvor Gefängnisstrafen wegen verschiedenen Delikten abgesessen hatten. Mindestens dreizehn von ihnen waren wegen Drogenhandels verurteilt worden; fünf wegen Terrorismus.

In der Stadt Arequipa werden für eine Baubewilligung bis zu 1500 Soles verlangt (mehr als ein gewöhnlicher Monatslohn). Und bis man die Bewilligung erhält, muss man über sechs Monate lang warten. 16’000 geplante Wohnhäuser können deswegen nicht gebaut werden. Dabei fehlen in der Stadt mindestens hunderttausend Wohnungen.

129 Erpresserbanden im Baugewerbe in Lima
Allein in Lima gibt es 129 Bauarbeitergewerkschaften, die in Wirklichkeit als Deckmantel für Mafiabanden funktionieren, welche von den Baufirmen Schutzgelder erpressen. In einem einzigen Bezirk haben diese Banden während der letzten zwei Monate fünfzehn Personen ermordet. Sie fordern von den Baufirmen auch 30% der Arbeitsstellen, die sie dann gegen eine Gebühr von 300 Soles an interessierte Arbeiter „weiterverkaufen“.

Polizisten als Drogen- und Waffenhändler
Polizisten stahlen Drogenhändlern regelmässig deren „Ware“, um sie an andere Händlerringe zu verkaufen. Durch das Abhören von Gesprächen konnten drei Polizisten überführt und festgenommen werden; aber es wird angenommen, dass viele weitere involviert sind, auch höhere Funktionäre.
Ein anderer, ebenso gelagerter Fall im selben Monat betraf den Handel mit Waffen, die festgenommenen Kriminellen abgenommen worden waren.

Straffreiheit für Grossbetrug
“Eine kriminelle Organisation benutzt die legalen Möglichkeiten der Stadtverwaltungen zu Betreibungsverfahren, um den Staat um Millionenbeträge zu betrügen. Diese Woche will diese Bande 7,8 Millionen Soles von der Stadtverwaltung von Tacna, bzw. von deren Bank kassieren. Die Funktionäre der Bank argwöhnen zwar den Betrug, sehen sich aber rechtlich ausserstande, ihn zu verhindern.
(…) Diese Organisation operiert seit 2008 und hat sich bisher über 100 Millionen Soles angeeignet mittels tausenden von Betreibungsverfahren für fiktive oder überhöhte Bussen.
(…) Die Staatsanwaltschaft hat 200 Fälle solcher Betreibungsverfahren entdeckt, die nach demselben Schema abliefen und wo dieselben Namen auftauchen, was darauf schliessen lässt, dass ein einziger Drahtzieher im Hintergrund agiert. Am 26.Dezember 2014 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen 47 Personen, darunter Bürgermeister, städtische Funktionäre, Betreibungsbeamte und Anwälte, die dieser Organisation angehören. Die Richter haben die Anklage in ihrer Gewalt, aber der Prozess beginnt bis heute nicht.”

Staatsanwälte entlassen, nachdem sie Hausdurchsuchung durchführten
Vier Staatsanwälte, die mit der Bekämpfung der Korruption beauftragt waren, erhielten Anzeigen über die Existenz einer Spionagezentrale, von wo aus im Auftrag des Regionalpräsidenten César Álvarez Telefongespräche abgehört wurden. Sie ordneten eine Hausdurchsuchung an; aber das entsprechende Gesuch geriet am Gericht zuerst in die Hände einer Beamtin, die Komplizin des Regionalpräsidenten war. Dadurch erhielten die Beteiligten zum voraus Kenntnis von der Hausdurchsuchung und hatten deshalb Zeit, belastendes Material wegzuschaffen. Am Morgen vor der Hausdurchsuchung wurden die vier Staatsanwälte ins Büro des Oberstaatsanwaltes zitiert und gewarnt, diese nicht durchzuführen, unter Androhung von Folgen. Die Durchsuchung wurde dennoch durchgeführt. Ein derselben Bande zugehöriger Kongressabgeordneter erwirkte sieben Tage später die Entlassung der vier Staatsanwälte; und der Fall, den diese untersucht hatten, kam nie vor Gericht.

Es ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel, dass den Mafia-Banden jeweils eine beträchtliche Anzahl von Anwälten, Richtern, hohen Polizeibeamten und Regierungsfunktionären angehört, welche als Gegenleistung für ihren Anteil am “Kuchen” für die juristische Immunität der Täter sorgen. Tatsächlich ist es inzwischen so weit, dass an vielen Orten nicht mehr zwischen Regierung und Mafia unterschieden werden kann.

Mit dem jüngsten und gigantischsten Korruptionsfall, dem „Fall Odebrecht“, ist es spätestens seit diesem Jahr jedermann klar, dass die Korruption die höchsten Regierungsebenen durchdringt. Es handelt sich um ein brasilianisches Grossunternehmen, das Regierungen mehrerer lateinamerikanischer Länder mit Millionenbeträgen geschmiert hat, um dafür Bauaufträge im Milliardenbereich zu ergattern. Viele hohe Regierungsfunktionäre sind in den Fall involviert, sowie sämtliche ehemaligen peruanischen Staatspräsidenten seit 2002. Einer von ihnen sitzt bereits im Gefängnis; gegen einen anderen läuft ein Auslieferungsantrag an die USA, wohin er sich geflüchtet hat; gegen einen dritten und gegen den gegenwärtigen Präsidenten wird noch ermittelt. Alle diese Präsidenten haben bei ihrem Amtsantritt hoch und heilig versprochen, alles daran zu setzen, die Korruption zu bekämpfen.

Noch drei Punkte, die das Bild abrunden:

1. Jahrzehntelang haben Soziologen, Journalisten und Politiker die These vertreten, dass „Armut Kriminalität erzeugt“. Aber inzwischen mussten sogar die Vereinten Nationen einsehen, dass dies nicht zutrifft. So im regionalen Entwicklungsbericht 2013-2014 des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) für Lateinamerika mit dem spanischen Titel „Seguridad ciudadana con rostro humano“ („Innere Sicherheit mit menschlichem Antlitz“). Dort heisst es:

„Im letzten Jahrzehnt erlebte Lateinamerika ein grosses Wachstum in zwei Bereichen: in der Wirtschaft und in der Kriminalität. Die Region hat insgesamt ein beachtliches wirtschaftliches Wachstum erzielt, sowie eine Verringerung der sozialen Ungleichheit, der Armut und der Arbeitslosigkeit. Trotzdem (sic) haben die Kriminalität und die Gewalt zugenommen.“

Weiter wird ausgeführt:

„In den letzten Jahren hat Lateinamerika ein grösseres Wirtschaftswachstum erreicht als die USA und die wichtigsten Volkswirtschaften Europas. (…) 70 Millionen Menschen überwanden die Armut. (…) Die Arbeitslosigkeit hat seit 2002 kontinuierlich abgenommen und erreichte 2012 den Tiefstand von 6,4%. (…) Aber die Verbrechen und Morde haben zugenommen.“

Hier in Perú kann man das sogar anhand regionaler Unterschiede beobachten: Das Problem der bewaffneten Erpresserbanden konzentriert sich vorwiegend auf die Hauptstadt Lima und die reichen Küstenstädte im Norden des Landes. Im „armen Hochland“ dagegen hat die Kriminalität noch längst nicht diese bedrohlichen Ausmasse angenommen.
Die Logik des Verbrechens ist also offenbar nicht: „Wer arm ist, stiehlt“, sondern vielmehr: „Wo es mehr zu holen gibt, da wird mehr gestohlen“ (und betrogen, erpresst und gemordet). Oder auch: „Wer mehr Mittel hat, kann seine verbrecherischen Neigungen intensiver ausleben.“ Das Verbrechen wird nicht von den Umweltbedingungen erzeugt, sondern kommt aus der angeborenen Bosheit des menschlichen Herzens.

2. Wie die angeführten Beispiele illustrieren, ist Korruption nicht ein isoliertes Problem bestimmter Politiker und Funktionäre, sondern zieht die gesamte Bevölkerung in Mitleidenschaft. Probleme wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Unterentwicklung, mangelnde Bildung, Armut, usw. werden zu einem grossen Teil von der Korruption und Kriminalität verursacht oder zumindest verschärft.
Ich war dieses Jahr in zwei der erwähnten nördlichen Küstenstädte. Diese Städte sehen viel verwahrloster aus als die „armen“ Städte im Hochland; und überall liegt auf den Strassen Müll herum. Im April waren diese Gegenden von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht worden; die Strassen sind überall voller Löcher oder überhaupt ohne Belag zurückgeblieben. Aber nirgends sah ich Wiederherstellungsarbeiten im Gange. Man erklärte mir, das liege an der mangelnden Organisationsfähigkeit der Stadtregierungen, und eben an der Korruption: Mittel, die zur Behebung von Unwetterschäden zur Verfügung gestellt werden, verschwinden meistens in den Taschen korrupter Funktionäre.

3. Derartige Ausmasse an Korruption können nur mit dem „Einverständnis“ der Bevölkerung entstehen. Hier eine weitere Zeitungsmeldung:

„Gemäss den Meinungsumfragen sind regelmässig 75% der Bevölkerung der Korruption gegenüber gleichgültig. Diese Gleichgültigkeit äussert sich z.B. darin, dass über korrupte Regierungsmitglieder gesagt wird: ‚Er stiehlt zwar, aber er baut uns Strassen, Schulen, Spitäler …‘
Die Kontrollmechanismen funktionieren nicht, weil alle diese Institutionen infiltriert sind. Richter, Staatsanwälte und Polizisten gehören kriminellen Organisationen an.“

Als Gegenmassnahme wird jeweils „mehr Kontrolle“ gefordert, also mehr Überwachung durch den Staat. Aber diese Kontrollmassnahmen führen gerade wieder zu mehr Korruption: Für alles und jedes braucht man eine Bewilligung – ob man seinen Hausrat an einen neuen Wohnort transportieren will, oder mit Minderjährigen eine Reise unternehmen will, oder chemische Produkte wie Ammoniak oder Zitronensäure kaufen will. Und die Beamten, die diese Bewilligungen ausstellen, sind natürlich ihrerseits korrupt, sodass kriminelle Banden über die Kontrollen lachen, während ehrliche Bürger das Nachsehen haben.
Es gehört in diesen Zusammenhang – ob als Ursache oder als Folge -, dass der Durchschnittsperuaner keinen Respekt vor dem Gesetz hat. Der Funktionär oder Politiker respektiert das Gesetz nicht, weil er sich als „Herr“ über das Gesetz sieht, das er nach Belieben umbiegen oder abändern kann. Und der einfache Bürger respektiert es nicht, weil er weiss, dass das Gesetz nicht zu seinem Schutz da ist, sondern als Instrument in den Händen korrupter Machthaber dient. Viele Vergehen, die in Europa gesetzlich geahndet werden, werden deshalb in Perú noch nicht einmal als Unrecht wahrgenommen. Dazu gehören z.B. Haftpflichtfälle; Fundunterschlagung; Sachbeschädigung; Verlangen von Gebühren für Dienstleistungen, die von Gesetzes wegen gratis sein sollten; u.v.a.m.

* * *

Ich habe weit ausgeholt, weil es für westeuropäische Leser schwierig sein dürfte, sich die ganze Lebenswirklichkeit vorzustellen, die sich hinter Schlagworten wie „Korruption“ und „Kriminalität“ verbirgt. Aber nun komme ich erst zu meinem eigentlichen Anliegen. Warum schreibe ich all dies in einem deutschsprachigen Blog? Nicht etwa, um über die hiesigen Zustände zu jammern. Sondern vielmehr weil ich sehe, dass all dies in näherer Zukunft auf Europa zukommt.

Korruption, Kriminalität und Gesetzlosigkeit sind weltweit gesehen keine Ausnahmeerscheinungen. Sie sind vielmehr der vorherrschende Lebensmodus in allen Ländern und allen Zeiten, die nicht tiefgreifend vom Wort Gottes geprägt und umgestaltet worden sind. (Hört man z.B. Schilderungen von Venezolanern, die vor kurzem aus ihrem Land ausgewandert bzw. geflüchtet sind, dann nehmen sich die peruanischen Zustände dagegen noch direkt paradiesisch aus.) Die Frage ist also nicht: „Warum ist Perú so ein korruptes Land?“ Perú ist keine Ausnahme. Die Frage ist vielmehr: „Warum hatten Westeuropäer und Nordamerikaner das unbeschreibliche Vorrecht, während einigen Jahrhunderten auf einer relativ korruptions- und verbrechensfreien Insel zu leben?“

Die Antwort liegt darin, dass das biblische Christentum diesem Kontinent eine Weltanschauung und ein Wertesystem gegeben hat, das sich radikal von den Werten der übrigen Welt unterscheidet. Einige Säulen dieses Wertesystems sind z.B:

Die Regierung steht nicht über dem Gesetz, sondern darunter. Das war bereits für das alttestamentliche Israel festgeschrieben: „Und wenn (der König) sich auf den Thron seines Reiches setzt, dann soll er für sich in einem Buch eine Abschrift dieses Gesetzes schreiben (…) und soll alle Tage seines Lebens darin lesen, damit er lerne, den Herrn seinen Gott zu fürchten, und alle Worte dieses Gesetzes zu halten (…), damit sich sein Herz nicht über seine Brüder erhebe, noch rechts oder links vom Gebot abweiche …“ (5.Mose 17,18-20)
Darin inbegriffen ist das Prinzip des Rechtsstaates und der Gewaltentrennung: Das Gesetz beschränkt die Willkür der Regierung, und selbst der König muss zur Rechenschaft gezogen werden, wenn er das Gesetz übertritt.

Die Regierung und das Gesetz eines Staates unterstehen der Regierung und dem Gesetz Gottes. Auch das ist in der zitierten Stelle inbegriffen, sowie z.B. in Römer 13,3-4, wo es heisst, dass die Regierung dazu da ist, gute Taten zu loben und böse Taten zu bestrafen. (Dabei ist natürlich vorausgesetzt, dass Gott, nicht der Mensch, bestimmt, was gut und was böse ist.) – Man vergleiche auch Jesaja 33,22: Gott vereinigt in sich die drei Regierungsgewalten (Legislative, Exekutive und Judikative). Höchst interessant ist, dass hier, mehrere Jahrhunderte vor Christus, diese drei Gewalten, die oft als eine „neuzeitliche Erfindung“ angesehen werden, bereits ausdrücklich genannt werden.
Dieses Prinzip schliesst ein, dass es auch da, wo die Gewaltentrennung nicht funktioniert, immer noch eine letzte Instanz gibt, die gegen eine korrupte Regierung angerufen werden kann; nämlich Gott selber.

– Bei Gott gibt es kein Ansehen der Person. Das bedeutet: Vor Gott und vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Auch dies ein wichtiges rechtsstaatliches Prinzip, das in Kulturen, die dem Wort Gottes fremd sind, regelmässig verletzt wird.

Gott regiert über alles; nicht nur über einen „religiösen Bereich“. Biblische Werte wie Ehrlichkeit, Einhalten von Verpflichtungen, Reinheit, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Verantwortung, usw, gelten insbesondere für das Alltagsleben, die Familie, den Arbeitsplatz, die Gesellschaft und die Politik. Wenn eine Mehrheit der Gesellschaft diese Werte anerkannte und nach ihnen lebte, dann hatte das ganz andere Auswirkungen, als wenn eine Regierung versuchte, solche Werte mit Gesetz und Strafe durchzusetzen.

Solange die römisch-katholische Kirche die Vorherrschaft innehatte, konnten sich diese Werte noch nicht wirklich durchsetzen, weil die kirchliche Hierarchie dem Volk das Wort Gottes vorenthielt und es als Machtinstrument in ihrer eigenen Hand missbrauchte, statt die Kraft dieses Wortes zur Ermächtigung jedes Einzelnen freizusetzen. Hierin liegt auch die Antwort auf die Frage, warum Lateinamerika, obwohl mehrheitlich katholisch, nie wirklich von christlichen Werten beeinflusst wurde.
Aber ein bis zwei Jahrhunderte nach der Reformation hatte dieses Wort viele Länder so weit durchdrungen, dass es zu tiefgreifenden und in der ganzen Weltgeschichte einzigartigen Reformen in Gesellschaft und Staat kam. Manchmal wurden diese Reformen von Menschen durchgesetzt, die selber keine bekennenden Christen waren; aber sie waren dennoch von biblischen Werten geprägt worden und lebten inmitten einer Gesellschaft, die von diesen Werten geprägt worden war.

Wer nie für längere Zeit aus dem Kulturkreis der ehemaligen Reformationsländer herausgekommen ist, der kann wahrscheinlich gar nicht ermessen, was für ein enormer Segen das christliche Erbe dieser Länder sogar heute noch ist. Schon Immanuel Kant erlag dem Trugschluss, das moralische, sittliche und rechtliche Empfinden seiner angestammten Kultur sei ein allgemeingültiger, allgemein menschlicher “moralischer Imperativ”, während es sich in Wirklichkeit um die Auswirkung des christlichen Erbes handelte. Kant kam nie zu jenen Stämmen Papua-Neuguineas, wo der Verrat als höchste Tugend galt (Don Richardson, “Friedenskind”). Er kam nie zu den korrupten Richtern und Politikern in Perú. Er konnte nicht ermessen, wie radikal seine eigene Kultur in den Jahrhunderten vor ihm umgestaltet worden war, um dieses allgemeine rechtliche und moralische Empfinden hervorzubringen, in dessen Einflussbereich er lebte.

Nun aber ist Europa eifrigst damit beschäftigt, die letzten Reste seiner christlichen Vergangenheit zu demontieren. Man meint, dieselben (oder zumindest ähnliche) Werte auf der Grundlage eines atheistischen Humanismus aufrechterhalten zu können. Doch wenn ich Nachrichten und Kommentare aus Europa lese – auch aus kirchlichen Kreisen –, dann stelle ich fest, dass man schon heute in Europa gar nicht mehr weiss, was diese grundlegenden Werte eigentlich sind. Um es in einem Bild auszudrücken: Die Europäer zehren gegenwärtig von den letzten übriggebliebenen Früchten eines Baumes, den sie schon längst umgehauen und von seiner Wurzel abgetrennt haben. Wenn Europa (und Nordamerika) nicht sehr bald zu seinen christlichen Wurzeln zurückkehrt und eine geistliche Erweckung erlebt, dann wird dieser “Vorrat” demnächst aufgebraucht sein. Dann werden auch in Europa “peruanische Verhältnisse” herrschen, was Korruption und Kriminalität betrifft.

John Adams, einer der ersten Präsidenten der USA und Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (und soviel ich weiss, selber kein wiedergeborener Christ), hat das schon 1798 vorausgesehen, als er schrieb:

“Aber sollte das amerikanische Volk einmal zu jener hinterhältigen Verstellung gegeneinander und gegen fremde Länder fähig sein, die die Sprache der Gerechtigkeit und Mässigung annimmt, während sie Gesetzlosigkeit und Extravaganz praktiziert, (…) dann wird dieses Land zur erbärmlichsten Wohnstätte der Welt werden. Denn unsere Regierung ist nicht mit der Macht ausgestattet, menschliche Leidenschaften zu bekämpfen, die nicht von der Moral und der Religion gezügelt würden. Habsucht, Ehrgeiz, Rachsucht oder Wollust würden die stärksten Bande unserer Verfassung sprengen, so wie ein Wal ein Fischnetz zerreisst. Unsere Verfassung wurde nur für ein moralisches und religiöses Volk geschaffen. Sie ist völlig ungeeignet zur Regierung irgendeines anderen Volkes.”

In Europa dürfte dieser Punkt bald erreicht sein, wo Regierungen nicht mehr aufgrund der überkommenen, auf christlichen Grundlagen basierenden Staatsverfassungen regieren können und das auch nicht mehr wollen.

Vishal Mangalwadi bringt es in seinem lesenswerten Werk “Das Buch der Mitte” folgendermassen auf den Punkt:

“Wenn die Bibel die Kraft war, die in Europa und Amerika die Korruption niedrig hielt, führt eine Ablehnung der Bibel zwangsläufig zu einer erneuten Zunahme der Korruption – und das kann das werteorientierte Klima zerstören, das Männer wie McCormick für ihren Erfolg brauchen. (McCormick war der amerikanische Erfinder der Mähmaschine, der damit die Nahrungsmittelproduktion seines Landes im 19.Jh. um ein Vielfaches erhöhte.)
Integrität ist nicht etwas, das Menschen von Natur aus und aufgrund ihres eigenen Verdienstes zu eigen ist. Eine Wirtschaft, die auf Vertrauen beruht, bricht zusammen, wenn ihr die geistlichen Ressourcen fehlen, die einst Grundlage dieses Vertrauens waren.”

Mangalwadi ist einer der führenden christlichen Theologen Indiens. Er hat von daher den Vorteil, die westliche Kultur “von aussen” zu betrachten und sie mit seiner angestammten indischen Kultur vergleichen zu können. Manches, was er über Wertvorstellungen, Korruption und Armut in Indien berichtet, kommt mir von meiner Umgebung her sehr bekannt vor, obwohl der religiöse Hintergrund hier in Perú ganz anders ist. Kulturen, die nie vom biblischen Christentum geprägt wurden, unterscheiden sich in dieser Hinsicht offenbar kaum voneinander.

Wenn die westliche Welt auf ihrem bisherigen Kurs weiterfährt, wird sie bald auch wieder zu einer solchen nichtchristlichen Kultur werden. Wenn Sie also wieder einmal Berichte aus sogenannten “Drittweltländern” lesen oder hören über Korruption, Kriminalität, Verantwortungslosigkeit, Misswirtschaft, Mangel an Barmherzigkeit gegenüber Notleidenden, usw, dann bitte ich Sie daran zu denken: Solche Berichte sind zugleich Illustrationen dessen, was auch auf Europa zukommt, wenn Europa nicht umkehrt zu Gott und seinem Wort.

Knallzeit

28. Dezember 2012

Zum Jahresende ein nicht allzu tiefsinniges Stimmungsbild aus Perú.

Was würden Sie denken, wenn jemand in einem Laden einen „Schwiegermuttertöter“ verlangte? – Keine Angst, das ist nur einer der phantasievollen Namen, die hierzulande bestimmten Feuerwerks- oder Knallkörpern gegeben werden. Andere heissen z.B. „Zwiebelchen“, „Weisse Ratte“, etc. Es ist hierzulande üblich, dass sowohl am Heiligabend wie auch am Silvesterabend um Mitternacht so viele Knaller wie nur möglich abgefeuert werden. Und da die meisten Peruaner nach dem Motto leben: „Wenn schon ein Fest ist, dann muss man es ausgiebig feiern“, so findet die Knallerei während der letzten Woche des Jahres fast fortwährend statt, besonders nachts.

Da es vor allem Kinder und Jugendliche sind, die diesem Vergnügen frönen, kommt es dabei immer wieder zu Unvorsichtigkeiten und Unfällen. Es häufen sich in diesen Tagen die Nachrichten über Jugendliche, die wegen unsachgemässer Behandlung eines solchen Sprengkörpers (als solcher müssen die potenteren Ausführungen wohl bezeichnet werden) zwar nicht ihre Schwiegermutter, aber z.B. ein Auge oder mehrere Finger verloren haben. In unserer Nachbarschaft beobachteten wir einmal, wie ein solcher Riesenknaller einen Backstein aus der Mauer riss, vor der er gezündet wurde.

Es ist zwar verboten, Feuerwerkskörper an Minderjährige zu verkaufen, und auch die Lagerung solcher Waren und der Verkauf an Erwachsene unterliegt strengen Bestimmungen. (Insbesondere seit vor einigen Jahren in Lima ein ganzer Markt wegen der dort zum Verkauf angebotenen Feuerwerke in Flammen aufging.) Aber niemand hält sich an diese Bestimmungen. Die Polizei konfisziert zwar ab und zu als Alibiübung einige Kilo oder Tonnen Feuerwerk, aber da bleibt immer noch genug übrig, damit der Schwarzmarkt ungehindert weitergehen kann. Das meiste davon ist importiert aus China, offenbar hergestellt von Billigarbeitern zur Ausfuhr in Billigpreisländer. Denn anscheinend können die Hersteller es sich nicht leisten, jemanden anzustellen, der die lateinische Schrift und/oder Fremdsprachen beherrscht. „FIREWOKRS – MADE IN CHIAN“ (sic) steht z.B. in grossen Buchstaben auf einem dieser Erzeugnisse.

Zum Strassenbild gehört in diesen Tagen auch, dass man da und dort in der Stadt lange Schlangen von zumeist ärmlich aussehenden Kindern am Strassenrand stehen oder sitzen sieht. Sie warten auf eine Verteilung von billigen Spielsachen oder von heisser Schokolade und Panettone (das ist der hier übliche Weihnachts-Nachtisch), wie sie von grossen Unternehmen oder von hochstehenden Politikern organisiert werden, die sich in der Öffentlichkeit beliebt machen wollen. Es gibt Kinder, die eine ganze Nacht in einer solchen Warteschlange zubringen, damit sie am anderen Tag, wenn die Verteilung stattfindet, sicher nicht leer ausgehen. In unserer Stadt sind leider kürzlich die Kinder gleich bei zwei Gelegenheiten vergeblich Schlange gestanden, weil, wie nachher entschuldigend im Radio erklärt wurde, „etwas dazwischengekommen sei“, sodass die versprochenen Spielsachen nicht zum angekündigten Termin eintrafen.

Im übrigen ist dies eine Zeit, wie in Europa auch, wo man Verwandte einlädt und gut isst. Nur dass hierzulande dabei wahrscheinlich viel mehr Alkohol getrunken wird. Leider sind manche Familienväter während dieser ganzen Woche kaum je nüchtern anzutreffen.

Wie sehr wünschen wir uns, dass die Kinder hier Jesus kennenlernen, damit sie in ihm echte Freude erleben können, statt der zweifelhaften und oft mit viel Bitterkeit vermischten Vergnügen, die die Welt anbietet!

Europäer, was kommt auf euch zu?

26. November 2012

Bis hier ins entfernte Perú gelangen die Schlagzeilen über die Wirtschaftskrise und die damit verbundenen Unruhen in Europa. Was wird daraus noch werden?

Was mich am meisten beunruhigt, ist nicht die Krise an sich, sondern ein gewisser Wesenszug vieler Europäer (insbesondere deutschsprachiger?), der mir nach vielen Jahren des Lebens in Perú noch viel deutlicher auffällt: Viele Europäer haben masslos übertriebene (materielle) Ansprüche an das Leben. Vielleicht fällt ihnen das in ihren Heimatländern, wo alle diese Ansprüche erfüllt sind, gar nicht mehr auf. In einer Umgebung wie hier im peruanischen Hochland hingegen kommt eine solche Eigenschaft sofort ans helle Tageslicht.

Z.B. sind die Strom- und Wasserversorgung hier ziemlich unzuverlässig. In vielen Wohngegenden ist es normal, dass es nachmittags kein fliessendes Wasser mehr gibt bis zum nächsten Morgen. Natürlich ist das Wasser aus dem Wasserhahn auch nicht zum Trinken geeignet: man muss es zuerst abkochen oder desinfizieren. Stromunterbrüche sind ebenfalls an der Tagesordnung. Weshalb ich beim Tippen dieses Artikels alle paar Minuten eine Sicherheitskopie mache, damit bei einem plötzlichen Stromausfall nicht die ganze Arbeit verlorengeht. Kerzen oder Taschenlampen sollte man für solche Fälle auch immer bereithalten. – Könnten Sie all das als normal und alltäglich hinnehmen?

Ein älteres deutsches Ehepaar, deren Tochter (Missionarin) hier in Perú heiratete, war entsetzt über das Haus, wo das frischgebackene Ehepaar wohnen würde. Es war eigentlich ein für hiesige Verhältnisse gut gebautes und komfortables Haus: aus Zement, nicht bloss aus Lehmziegeln; und sogar der Fussboden war aus Zement, nicht aus Holzplanken oder sogar aus gestampftem Lehm wie in manchen anderen Häusern. Es hatte sogar einen eigenen Wassertank mit Pumpe auf dem Dach, sodass auch nachmittags Wasser aus dem Hahn kam. Nur hatte es keine modernen vollisolierten doppelverglasten Fenster, sondern einfache Holzrahmen, in die die Scheiben nach altmodischer Weise mit Fensterkitt eingepasst waren; und es gab keine Heizung (das gibt es hier höchstens in den piekfeinen Hotels für die verwöhnten Touristen). So kann die Zimmertemperatur frühmorgens in der kalten Jahreszeit bis auf dreizehn Grad absinken – aber das macht eigentlich nichts, denn tagsüber wärmt die Sonne auch in der kalten Jahreszeit auf gegen zwanzig Grad auf. – Auch sonst war manches an dem Haus einfacher und von geringerer Qualität als in Deutschland üblich. Ein Grund zu grosser Aufregung für die besorgten Eltern.

Einmal assen wir mit einem Schweizer Ehepaar in einem Restaurant und bestellten Fisch. „Ist das üblich hier?“, fragten sie, „wir essen eigentlich nicht oft Fisch.“ – „Wir auch nicht“, antwortete meine Frau, „an manchen Tagen findet man keine guten Fische auf dem Markt, oder dann sind sie teuer.“ – Aber es stellte sich heraus, dass die Schweizer an etwas ganz anderes gedacht hatten: Sie waren sich gewohnt, jeden Tag Fleisch zu essen, und da galt Fisch bereits als ein Essen zweiter Klasse. – Bei solchen Gelegenheiten kann man den (beidseitigen) Kulturschock geradezu mit Händen greifen. (Meine Frau hat während ihrer ganzen Kindheit kaum je Fleisch genossen, weil ihre Eltern es sich einfach nicht leisten konnten – oder wenn, dann nur die billigen Innereien, aber keine guten Stücke.)

Beim Kartoffelnschneiden kommt es öfters vor, dass man dabei auch noch einen Wurm mit zerschneidet. Und wenn man auf dem Markt Früchte kauft, dann sind meistens einige darunter, die ihr Verfalldatum schon längst überschritten hätten, wenn sie eines hätten. Manchmal sind gewisse Lebensmittel einfach nicht zu bekommen. Selbst so alltägliche wie Brot – wenn z.B. der Bäcker gerade an einem dreitägigen Familienfest ist, sich betrunken hat oder einen Unfall hatte. Dann findet das Frühstück einfach etwas später statt, weil man zuerst Kartoffeln kochen oder Omeletten braten muss. – Auch käme hier niemand auf die Idee, wir hätten ein „Recht“ darauf, jegliche Art von Früchten oder Gemüse aus jeglichem Land zu jeglicher Jahreszeit kaufen zu können.

Reisen – besonders wenn es in abgelegene Gebiete geht – sind öfters mit unvorhergesehenen Zwischenfällen verbunden. Wenn der Bus fern von jeglicher Ortschaft eine Panne hat, kann das mehrere Stunden Wartezeit bedeuten. Manche Transportbetriebe haben gar keinen Fahrplan; sie fahren einfach, wenn der Bus voll ist. Und manchmal erfährt man erst in letzter Minute, dass eine Fahrt gar nicht stattfinden kann, weil eine Strecke gesperrt ist wegen Streiks, Hochwasser, Erdrutschen, Bauarbeiten, oder anderen Gründen.

Ich erinnere mich noch, wie schon in meiner Kindheit viele meiner Kameraden jammerten und stöhnten, wenn sie einmal auch nur zehn Minuten zu Fuss irgendwohin gehen mussten, statt im Auto chauffiert zu werden. Heute, wo Nicht-Autobesitzer so gut wie ausgestorben sind, dürfte diese „Krankheit“ noch weiter verbreitet sein. Hier im peruanischen Hochland hingegen habe ich Kinderlager geleitet, wo die Teilnehmer mehrere Kilometer weit zu Fuss gekommen waren – eine Kindergruppe war fünf Stunden lang gewandert, um teilnehmen zu können. Geschlafen wurde im Lager am Boden auf Wolldecken oder Schaffellen, bei Temperaturen zwischen fünf und zehn Grad. Keines der Kinder beklagte sich darüber; manche waren sich auch von zuhause nichts Besseres gewöhnt.

Nicht zuletzt befindet sich Perú im „pazifischen Feuergürtel“, der erdbebengefährdetsten Zone der Welt. Ich weiss nicht, ob das in Europa überhaupt noch in die Nachrichten kommt – aber seit den grossen Erdbeben von Haiti, Chile und Japan in den letzten Jahren kommt dieser „Feuergürtel“ überhaupt nicht mehr zur Ruhe. Fast jeden Monat wird allein aus Südamerika ein grösseres Erdbeben (um Stärke 6 auf der Richterskala) gemeldet; und kleinere Beben sind an der Tagesordnung. Unter diesen Umständen bleibt man sich eher bewusst, dass unser Leben „nur ein Hauch“ ist, und dass unser Hab und Gut keineswegs sicher ist, sondern von einem Tag auf den anderen verlorengehen könnte.

Interessanterweise gibt es auch Europäer, die gerade wegen der „abenteuerlichen“ Aspekte in Perú Ferien machen. Sie betreiben dann verrückte Sportarten wie Wildwasserfahren oder Bungee-Jumping – offenbar um ihrer allzu wohlgeordneten Welt eine Zeitlang zu entfliehen. Ich muss sagen, nach solchen Dingen habe ich kein Bedürfnis. Ich habe schon genug Abenteuer, wenn ich z.B. selber auf unser Wellblechdach steigen muss, um es zu reparieren, weil es keine Dachdecker gibt. Oder wenn ich nachts in einem fremden Dorf, in dem es nicht einmal Strassennamen gibt und wo die meisten Leute kein Spanisch verstehen, eine Person suchen muss, von der ich nichts als ihren Namen weiss. Oder wenn ich auf dem Weg mein Fahrrad über Bäche tragen muss, weil es keine Brücken gibt. Oder wenn ich mir selber etwas zu essen zubereiten muss in einer Hütte auf über 4000 Metern über Meer, wo es als Brennmaterial für die Feuerstelle nichts als getrockneten Kuhmist gibt. Wenn ich von solchen Reisen zurückkehre, dann kommt mir mein nicht europataugliches Haus jeweils wie ein Palast vor.

Übrigens hätten die meisten Peruaner gar keine Zeit dafür, „Abenteuerreisen“ in fremde Länder zu unternehmen, oder auch nur in ihrer eigenen Stadt Vergnügungen nachzugehen – abgesehen von einfachen Dingen wie Fussballspielen, Familien- und Dorffeste, oder zuhause fernsehen (letzteres ist leider auch hier eine Volksseuche). Eine derartige Freizeitkultur oder Freizeitindustrie wie in Europa existiert hier überhaupt nicht. Nach der Arbeit ist man müde und muss ausruhen; die gesetzlich vorgesehene Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche wird praktisch überall weit überschritten.

Warum schreibe ich das alles? – Hauptsächlich weil ähnliche Zustände auch für Europa voraussehbar sind, wenn die Wirtschaftskrise weiter voranschreitet. Wie werden das die Europäer aushalten, die glauben, wie selbstverständlich ein Anrecht auf perfekten Komfort, perfekte Dienstleistungen und einen gemütlichen Feierabend zu haben? Wenn schon jetzt, lange bevor es so weit ist, Tausende auf die Strasse gehen wegen einiger Sparmassnahmen, was wird dann sein, wenn dieser Komfort eines Tages wirklich nicht mehr da ist? Gut möglich, dass dann die wahre Natur des gefallenen Menschen wieder in all ihrer Hässlichkeit ans Licht kommen wird, und die psychologischen, zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Nebenwirkungen der Wirtschaftskrise viel zerstörerischer sein werden als die materiellen Folgen der Krise selbst. Im Klartext: Allzu viele Menschen könnten mit Gewalt, Verbrechen, Revolutionen und Krieg reagieren, wenn ihre materiellen Ansprüche plötzlich nicht mehr erfüllt werden.

„Den Reichen in der jetzigen Welt gebiete, dass sie nicht hochmütig seien, noch ihre Hoffnung auf den unsicheren Reichtum setzen, sondern auf Gott, der uns alles reichlich darbietet zum Genuss; dass sie Gutes tun, reich seien an guten Werken, freigebig seien, gern mitteilend, wodurch sie für sich selbst einen guten Schatz beiseite legen auf die Zukunft hin, damit sie das wahrhaftige Leben erlangen.“ So schrieb Paulus an Timotheus (1.Tim.6,17-19). Und ein wenig vorher: „Denn wir haben nichts in die Welt hereingebracht; so ist offenbar, dass wir auch nichts hinausbringen können. Wenn wir aber Nahrung und Kleidung haben, sollen wir uns daran genügen lassen. Die aber, die reich werden wollen, fallen in Versuchung und in eine Schlinge und in viele törichte und schädliche Begierden, die die Menschen in Untergang und Verderben stürzen.“ (1.Tim.6,7-9) Solche Genügsamkeit wird in der kommenden Zeit lebenswichtig sein.
– Jakobus schreibt noch viel radikaler: „Nun wohlan, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die und die Stadt ziehen und wollen da ein Jahr zubringen und Handel treiben und Gewinn machen – ihr wisst ja nicht, wie es morgen um euer Leben steht! (…) Nun wohlan, ihr Reichen, weint und jammert über die Drangsale, die über euch hereinbrechen! Euer Reichtum ist verfault und eure Kleider sind von Motten zerfressen. Euer Gold und Silber ist verrostet, und ihr Rost wird zum Zeugnis gegen euch sein und euer Fleisch verzehren wie Feuer …“ (Jakobus 4,13-14; 5,1-2)

Wohlstand und ein reibungsloses Funktionieren von Dienstleistungen sind keineswegs ein „Recht“, das wir einfordern könnten. Schon gar nicht vom Staat: es ist nicht Aufgabe des Staates, seine Bürger zu ernähren. (Allerdings ist es auch nicht sein Recht, sich auf Kosten der Bürger zu ernähren.) Nach Römer 13,3-4 und 1.Petrus 2,14 ist die Aufgabe der Regierung darauf beschränkt, die Übeltäter zu bestrafen und die Guten zu belohnen. Die Regierung ist aber nicht dazu eingesetzt, Kranke zu pflegen, Arme zu versorgen, Kinder zu erziehen, und Geschenke zu verteilen, wie heutzutage vielfach geglaubt wird. Für diese Bereiche sind in erster Linie die Familien und in zweiter Linie die christlichen Gemeinschaften zuständig.
Wir sind in dieser Hinsicht wieder bei der Mentalität angelangt, die schon das römische Reich zum Zusammenbruch führte:

„Edward Gibbon erwähnte in seinem Buch Der Untergang des Römischen Weltreiches (1776-1788) die folgenden fünf Kennzeichen, die Rom am Ende aufwies:
erstens eine zunehmende Vorliebe für Zurschaustellung und Luxus (Wohlstand);
zweitens eine grösser werdene Kluft zwischen den sehr Reichen und den sehr Armen (dies kann auf Völker bezogen sein, aber auch innerhalb eines Volkes zutreffen);
drittens eine exzentrische Sexualität;
viertens eine groteske, wunderliche Kunst, die sich als originell ausgab, und eine Begeisterung, die sich für kreativ hielt;
fünftens ein zunehmendes Verlangen, auf Kosten des Staates zu leben.
Dies kommt uns allen sehr bekannt vor. Wir haben seit unserem ersten Kapitel viel gesehen – nun sind wir wieder in Rom.“
(Francis Schaeffer, „Wie können wir denn leben?“)

Man könnte hier auch noch die Freizeitindustrie und Vergnügungssucht anführen („Brot und Spiele“).
Schaeffer schreibt auch:

„Als es mit der von verschärfter Inflation und einer aufwendigen Regierung belasteten Wirtschaft Roms immer mehr bergab ging, wurde die Herrschaft des Staates immer autoritärer, um der Apathie entgegenzuwirken. Da niemand mehr bereit war, freiwillig zu arbeiten, musste der Staat in dieser Hinsicht oft eingreifen, und Freiheiten gingen verloren …“

Auch das (autoritäre Diktaturen) dürfte durchaus zur näheren Zukunftsperspektive Europas gehören – sofern nicht eine radikale Umkehr zu Gott stattfindet.

Jedenfalls haben die heutigen Europäer – mit wenigen Ausnahmen – ihren gegenwärtigen Reichtum nicht verdient. Es dürfte den wenigsten unter ihnen bewusst sein, dass sie im Begriff stehen, den letzten Überrest des Erbes vergangener Generationen aufzuzehren – Generationen, die materiellen Wohlstand nicht als ein einzuforderndes Recht ansahen und schon gar nicht als eine Selbstverständlichkeit, sondern im Gegenteil als einen unverdienten Segen Gottes. Wahrscheinlich war es auch unter diesen vergangenen Generationen keine Mehrheit, die persönlich wiedergeboren waren; aber immerhin herrschte eine allgemeine Gottesfurcht, und die grosse Mehrheit war von einer christlichen Weltanschauung geprägt. (Das trifft insbesondere für das 18.Jahrhundert und noch bis ins 19.Jahrhundert hinein zu, und insbesondere für die Reformationsländer.) Deshalb konnte Gott ihnen auch solche materiellen Segnungen anvertrauen. Heute aber ist auch dieses christliche Erbe weitgehend über Bord geworfen worden. Damit hat Europa nicht nur die gegenwärtige Krise heraufbeschworen, sondern hat sich zugleich jeglicher geistlicher Stütze beraubt, die nötig wäre, um einer solchen Krisenzeit erfolgreich und mit Gottvertrauen begegnen zu können. Was also soll aus Europa werden?

Leider haben auch die christlichen Kirchen und Gemeinden längst aufgehört, das „Salz der Erde“ zu sein. Wenn sie selber, die doch Hüter der Wahrheit Gottes sein sollten, der Staatsideologie und dem Wohlstandsglauben nachfolgen, wer soll sie dann auf den Weg Gottes zurückführen? Wenn das Salz seine Schärfe verliert, womit soll es dann wieder salzig gemacht werden?

Unsummen von Geld haben die Kirchen – nicht zuletzt die evangelikalen – investiert in ihre Prunkbauten, ihre Multimedia- und Verstärkeranlagen, ihre Unterhaltungsindustrie – lauter Dinge, die am Jüngsten Tag in Flammen aufgehen werden. Die Apostel Jesu haben ohne alle diese Dinge mehr und standfestere Jünger Jesu hervorgebracht als die heutigen Kirchen mit all ihrem Reichtum. Aber heute, wenn das Geld knapp wird, verzichtet man lieber auf das Missionsbudget, als auf ein luxuriöses und unnötiges Gemeindegebäude.

Apropos Missionsbudget: Da steht auch im Zentrum einer peruanischen Stadt ein solches millionenschweres Renommiergebäude, seinerzeit finanziert von einer europäischen Missionsgesellschaft (statt dass man mit dem Geld die Armen und die echten Diener Gottes unterstützt hätte, wie es in der Bibel steht). Dieses Gebäude kam kürzlich im Fernsehen – aber nicht etwa zur Ehre Gottes, sondern weil zwei Fraktionen der in sich gespaltenen Gemeinde das unwürdige Schauspiel boten, einander gegenseitig mit Polizeigewalt aus dem Gebäude hinauszuwerfen. Statt die Ausbreitung des Reiches Gottes zu fördern, hat dieses Gebäude nur die Geld- und Machtgier der seinerzeit von den Missionaren eingesetzten Leiter gefördert.

Wenn also sogar evangelikale (und missionseifrige) Kirchen im In- und Ausland das Beispiel einer solch materialistischen Gesinnung geben, was ist dann erst von „Weltmenschen“ zu erwarten? Was soll aus Europa werden?

„Denn es ist Zeit, dass das Gericht anfängt beim Hause Gottes; und wenn es zuerst mit uns anfängt, was wird das Ende jener sein, die dem Evangelium Gottes nicht gehorchen?“ (1.Petrus 4,17)

Skurrile Nachrichten aus Perú

6. Juni 2012

Im folgenden eine kleine Sammlung von Merkwürdigkeiten, die im Lauf der letzten Jahre über Radio, Zeitungen oder Internet berichtet wurden:

Was alles gestohlen wird…

In einem Bezirk der Hauptstadt Lima wurden in einer Nacht 34 Schachtdeckel aus den Strassen gestohlen.

Aus einer medizinischen Ausstellung in Lima wurde ein wichtiges Ausstellungsstück, eine Lunge, gestohlen. Der Diebstahl machte im ganzen Land Schlagzeilen. Schliesslich kam aus, dass eine Mitarbeiterin der Ausstellung die Schuldige war: Sie wollte, wie sie sagte, für Aufsehen in den Medien sorgen, um mehr Besucher für die Ausstellung zu gewinnen.

In einer grösseren Stadt war eines Morgens die gesamte Trinkwasserversorgung zusammengebrochen. Der Grund: Diebe hatten in der Nacht zuvor mehrere hundert Meter Stromkabel einer Überlandleitung entwendet. Die Leitung gehörte zur Stromversorgung einer Pumpe, die Wasser aus einem See pumpte zur Versorgung der Stadt. Einer der Diebe bezahlte die Tat mit seinem Leben: er wurde von einem Stromschlag getötet.

Was der Alkohol bewirkt

Ein Schuldirektor versuchte einem von der Schulbehörde angeordneten Alkoholtest zu entgehen, indem er die Schulhofmauer zu überklettern versuchte. Dies misslang ihm aber, und er fiel ins Innere des Hofes zurück. Die Eltern der Schüler hatten seit drei Monaten den Rücktritt des Direktors verlangt, da er regelmässig betrunken zur Arbeit kam.

Radiomeldung:
„Ein betrunkener Mann, in Begleitung einer weiblichen Person, versuchte mitten in der Nacht samt seinem Auto in ein schlichtes Privathaus einzudringen, angeblich um Schnaps zu kaufen. Er verursachte dadurch beinahe den Einsturz des Hauses. Als er von der Polizei festgenommen wurde, sagte er nur: ‚Caramba, verkauft mir Schnaps, ich will weitertrinken mit meiner Geliebten!'“

Ungebildete Lehrer

Ein Fernsehprogramm beauftragte Schüler, ihren Lehrern im Unterricht bestimmte Fragen über den gerade behandelten Stoff zu stellen, oder über Themen des Allgemeinwissens, und die Antworten mittels einer versteckten Kamera zu filmen. Die einhellige Antwort der Lehrer war fast jedesmal: ‚Such es im Internet!‘
Fragen wie: ‚Wer hat Machu Picchu entdeckt?‘ [hier in Perú allgemein bekannt], oder ‚Wie heisst der gegenwärtige Bildungsminister?‘, konnten von der grossen Mehrheit der Lehrer nicht beantwortet werden.

Freudscher Versprecher

Ein neugewählter Bürgermeister schwor seinen Amtseid „bei Gott und dem Geld“.
(Auf Spanisch hat das Wort für „Geld“ – „plata“ – einen gewissen Anklang an „Vaterland“ – „patria“ -, bei dem er hätte schwören sollen.)

Nachträglich korrigierte Nachricht

Radiomeldung:
„Der Jugendfürsorge wurden drei Jungen übergeben, die sich den ganzen Tag auf dem Hauptplatz der Stadt herumgetrieben hatten und angeblich Arbeit suchten. Sie sagten, sie würden von ihren Eltern vernachlässigt und bekämen nicht einmal zu essen. Die Eltern werden dringend ersucht, sich zu melden.“

Am nächsten Tag:
„Die Eltern der drei Jungen, über die wir gestern berichteten, konnten ausfindig gemacht werden, und die wahre Geschichte ist ans Licht gekommen: Die Jungen, die auf dem Land lebten, hatten mit Streichhölzern gespielt und dabei einen kleineren Brand verursacht. Aus Angst vor der elterlichen Strafe waren sie in die Stadt geflüchtet und kamen auf die Idee, sich als von ihren Eltern verlassene Kinder auszugeben.“

Alltägliche Tiere im peruanischen Hochland

18. April 2012

Ich denke, ich sollte wieder einmal etwas über unsere alltägliche Umgebung schreiben. Zum Beispiel über die Tiere, denen wir ab und zu begegnen.
Als die charakteristischsten Tiere des Hochlandes gelten der Kondor und der Puma. Die Inkas betrachteten sie als Götter. Ich konnte aber noch keinen von ihnen in freier Wildbahn beobachten. Der Kondor ist vom Aussterben bedroht, und Pumas sollen eher scheu sein. Nur wenn sie sich in ihrer Lebensweise gestört fühlen, können sie angriffig werden. Z.B. haben vor einigen Jahren Bergbauern während der Trockenzeit einen Grasbrand verursacht (das tun sie öfters absichtlich, es soll eine rituelle Bedeutung im Zusammenhang mit dem Kult der „Mutter Erde“ haben) und haben dadurch einige Pumas aus ihrem angestammten Jagdgebiet vertrieben. Auf der Suche nach einem neuen Lebensraum haben diese dann einige Hirtenjungen angefallen.

Im folgenden werde ich einige weniger aufsehenerregende Tiere vorstellen, die wir öfters zu Gesicht bekommen und deshalb auch fotografieren konnten.

Libellen gibt es in allen Farben. Die Hochlandbewohner nennen sie auch „carta-carta“ („Brief-Brief“), weil nach dem Volksglauben ihr Erscheinen ankündigen soll, dass man demnächst einen Brief bekommt.

Die Stabheuschrecke sieht tatsächlich wie ein dünner Holzstab aus. Selbst grössere Exemplare (sie können bis 20 cm lang werden) sind deshalb im Gesträuch nicht leicht zu sehen:

Offenbar sind die Stabheuschrecken auf diese Tarnung angewiesen, weil sie eher schwerfällige Tiere sind. Sie können weder fliegen noch springen. Hier sieht man sie etwas besser:

Hier nochmals ein Beispiel guter Tarnung. An einem Baumstamm wäre dieser Nachtfalter trotz seiner Grösse so gut wie unsichtbar, da er genau wie ein Stück Rinde aussieht. Zudem reflektieren seine Flügel z.T. die Farbe seiner unmittelbaren Umgebung; deshalb hat die linke Hälfte des linken Flügels einen etwas anderen Farbton als der Rest. Dieser Falter hier konnte offenbar nicht mehr vor Tagesanbruch zu seiner „Wohnung“ zurückfinden und hat sich deshalb auf dem Fensterbrett niedergelassen:

Spinnen gibt es massenhaft, in allen Grössen und Formen! Hier eine junge Tarantel. Ausgewachsen können sie (mit Beinen) bis handgross werden. Als wir noch am Stadtrand wohnten, spazierte ab und zu eine von ihnen ins Haus hinein. Menschen werden jedoch selten von ihnen gestochen.

Dieses unscheinbare Tierchen hingegen fordert jedes Jahr mehrere Todesopfer. Es handelt sich um die berüchtigte Schwarze Witwe, eine der giftigsten Spinnenarten der Welt. Obwohl sie nur klein ist (Körper rund 1 cm, mit Beinen ca. 5 cm), kann ihr Biss tödlich sein. Zum Glück wagt sie sich normalerweise nicht in die Stadt hinein. An den steinigen Berghängen der Umgebung kommt sie jedoch häufiger vor, als uns lieb ist. Man muss deshalb bei Wanderungen entsprechende Vorsichtsmassnahmen treffen: möglichst keine Kleider und offene Taschen oder Rucksäcke am Boden liegenlassen (die Spinnen könnten hineinkriechen), und sich nicht an Orte hinsetzen, wo Spinnweben in der Nähe sind. Die Schwarze Witwe spinnt ihre Fäden mit Vorliebe zwischen Steinen oder an niedrigen Büschen in Bodennähe. Meistens läuft sie nicht so gut sichtbar umher wie auf dem obigen Bild, sondern hält sich unter Steinen oder zwischen Pflanzen versteckt, so wie unten.
Nicht einmal ihre eigenen Artgenossen sind sicher vor ihr: Ihren Namen hat die Schwarze Witwe von der Angewohnheit, dass das Weibchen das Männchen nach der Paarung aufzufressen pflegt.

– Frösche und Kröten müssen in Perú noch nicht unter Naturschutz gestellt werden. Manchmal verirren sie sich bis in unseren Hinterhof – zur Freude unserer Kinder und zum Leidwesen meiner Frau.

Zikaden sind eigentlich in subtropischen und tropischen Gegenden heimisch. Während der wärmeren Jahreszeit kommen auch welche ins Hochland und machen mit ihrem lauten Zirpen auf sich aufmerksam. Sie sitzen hier aber die meiste Zeit still und schwirren nur ab und zu müde von einem Baum (oder Sonnenblumenstengel) zum nächsten; während sie in ihrer Urwald-Heimat in blitzschnellem Zickzackflug hin- und herschiessen und dabei öfters kopfvoran mit einer Wand – oder auch mit einer Person – kollidieren.
Kinder betrachten die Zikaden offenbar als Spielzeug. Sie halten sie z.B. in der Hand fest und lassen sie dann gerade so weit los, dass sie zirpen, aber nicht davonfliegen können.

Auch verschiedene Kolibri-Arten sind im Hochland manchmal zu sehen. Die Blumen in unserem Garten sind offenbar ein Anziehungspunkt für sie: wenn sie blühen, kommt täglich ein Kolibri (oder mehrere) vorbei, um Nektar zu saugen. Sie sind aber eher scheue Vögel. Hier ist es meinem Sohn trotzdem gelungen, einen zu fotografieren:

Wahlen in Perú

18. April 2011

Vor einer Woche wurde der neue peruanische Kongress gewählt; und aus zehn Präsidentschaftskandidaten (von denen sich aber nur fünf in den Medien Gehör verschaffen konnten) wurden jene zwei ausgewählt, die sich beim zweiten Wahlgang anfangs Juni gegenüberstehen werden. Ich ergreife die Gelegenheit, um ein wenig das Umfeld zu beschreiben, in welchem wir hier leben, bzw. in naher Zukunft voraussichtlich leben werden.

Zunächst ein Umstand, der aus europäischer Sicht nicht so leicht verstanden wird: Wahlen sind hierzulande ganz ausgeprägte Persönlichkeitswahlen; d.h. Parteiprogramme und Prinzipien spielen bei der Entscheidung kaum eine Rolle. So gut wie jeder Kandidat, der Präsident werden will, gründet zu diesem Zweck seine eigene Partei; deren Programm ist dabei eher nebensächlich. Tatsächlich glichen sich dieses Jahr viele Vorschläge der Kandidaten so sehr, dass man beinahe denken musste, einer hätte vom anderen abgeschrieben. Politische Parteien sind hierzulande also nicht in erster Linie Organisationen zur Verwirklichung eines politischen Programms, sondern persönliche Unterstützungsorganisationen eines bestimmten Kandidaten und Parteigründers. Die einzige heute noch existierende Partei, die eine längere Tradition und ein einigermassen fest umrissenes Programm hat, ist die ursprünglich radikal-revolutionäre, heute aber gemässigt-sozialdemokratische APRA. Gerade diese Partei (welcher der abtretende Staatspräsident Alan García angehört) hat sich aber dieses Jahr innerlich zerstritten, sodass sie sich auf keinen Präsidentschaftskandidaten einigen konnten. In der Folge verloren sie auch von ihren 36 Sitzen im Kongress alle bis auf vier. So kann eine – wenn auch noch so traditionsreiche – Partei fast von einem Tag auf den anderen verschwinden, wenn sie keinen „starken Mann an der Spitze“ mehr vorzuweisen hat.

Die Gründe für diese Abwesenheit von Prinzipien und Programmen sehe ich in der Kultur und Geschichte dieses Landes. Mindestens seit der Inkazeit sind sich die Peruaner gewohnt, einem „starken Mann“ blindlings zu folgen. Die spanische Eroberung und Kolonialherrschaft, samt ihrer Zwangskatholisierung, verstärkte diese Tendenz noch. Da Perú nie eine Reformation erlebt hat, sind hierzulande die Prinzipien des Rechtsstaates sehr schwerverständlich. Diese sind nämlich ein Erbe der Reformation, wie Francis Schaeffer ausführt (in „Wie können wir denn leben?“):

„Die Grundlage für Freiheit ohne Chaos wird in Paul Roberts Wandgemälde dargestellt, das er Die Gerechtigkeit erhebt die Völker nannte. (…) Es befindet sich im Treppenhaus des alten Gebäudes des Obersten Gerichtshofes der Schweiz in Lausanne. (…) Robert stellte verschiedene Arten von Gerichtsfällen im Vordergrund dar, und hinter der Richterbank stehen die Richter in ihren langen, schwarzen Gewändern. Somit stellt das Bild die Frage: Wie sollen die Richter richten? Auf welcher Grundlage können sie einen Urteilsspruch fällen, von dem sich nicht sagen lässt, dass er willkürlich sei? Über den Richtern malte Robert die Gerechtigkeit mit unverbundenen Augen, und ihr Schwert ist nicht vertikal nach oben gerichtet, sondern nach unten auf ein Buch, und auf dem Buch steht geschrieben: ‚Das Gesetz Gottes.‘ Dieses Gemälde brachte die Basis für Soziologie und Rechtsprechung zum Ausdruck, die Nordeuropa nach der Reformation besass.

(…) Die ausdrückliche Lehre der Bibel, dass alle Menschen – auch Monarchen – dem Gesetz Gottes gegenüber verantwortlich sind, wurde in den Ländern in die Praxis umgesetzt, in denen die Lehre der Reformation, dass die Bibel die einzige, endgültige Autorität sei, Wurzel geschlagen hatte. Anderswo war es für die zentralisierenden Monarchen vom politischen Standpunkt aus gesehen nur natürlich, die Hilfe der hierarchischen römisch-katholischen Kirche zur Kontrolle politischer (und nicht nur religiöser) Andersgläubigkeit in Anspruch zu nehmen.

(…) Das deutlichste Beispiel für das Reformationsprinzip der politischen Kontrolle des Volkes über ihren Regenten finden wir in einem Buch, das von einem Schotten verfasst worden ist – Samuel Rutherford (1600-1661). Dieses Buch trägt den Titel Lex Rex: Das Gesetz ist König. (…) Was Paul Robert für die Richter im Gebäude des Obersten Gerichts malte, hatte Rutherford bereits in seinem Buch ausgeführt. Hier gab es ein Konzept der Freiheit ohne Chaos, denn es war eine Freiheit mit Form. Oder, anders ausgedrückt, hier gab es eine Regierung des Gesetzes an Stelle der willkürlichen Entscheidungen von Menschen – denn die Bibel als endgültige Autorität war die Grundlage. (…) Samuel Rutherfords Werk und die Tradition, auf der es beruhte, hatte einen grossen Einfluss auf die Verfassung der Vereinigten Staaten, wenngleich auch moderne Angelsachsen ihn weitgehend vergessen haben…“

Es überrascht daher nicht, dass Länder, die keine Reformation erlebt haben, den auf Gesetzen und Prinzipien beruhenden Rechtsstaat nur der Form nach übernommen haben, aber nicht den Prinzipien nach. Oder, wie der argentinische Evangelist Alberto Mottesi schreibt:

„Der lateinamerikanische Herrscher unterwirft sich im allgemeinen dem Gesetz nicht; insbesondere, wenn es ein von ihm selbst gemachtes Gesetz ist. Unsere Regierungsphilosophie ist macchiavellisch: der Herrscher macht das Gesetz. (…) Obwohl unsere Länder die nordamerikanische verfassungsmässige Form gebrauchen, haben sie den Geist nicht verstanden, der darin lebt. Deshalb haben unsere Nachahmungen nicht funktioniert. (…) Bei uns übertreten sowohl die Herrscher wie die Beherrschten gewohnheitsmässig das Gesetz, sobald keine Überwachung und keine Strafandrohung da ist. Das kommt daher, dass wir glauben, das Gesetz sei von Menschen gemacht, und es sei die Regierung, die uns Rechte gibt. So verwundert es nicht, dass wir den Herrscher als einen Potentaten sehen, der die Gelegenheit ausnützen soll, solange er sie hat.“
(Alberto Mottesi, „Amerika 500 Jahre später“)

Zurück zu den peruanischen Wahlen. Jemand hat einmal bemerkt, bei den Wahlen gehe es darum, von mehreren Übeln das kleinste zu wählen. Kaum je war dieser Spruch so treffend wie dieses Jahr. Die zwei meistgewählten Präsidentschaftskandidaten, die den Sprung in den zweiten Wahlgang geschafft haben, sind gleichzeitig die (vom jeweils anderen Segment der Bevölkerung) meistgehassten: Am meisten Stimmen erhielt Ollanta Humala, ein ehemaliger Militärkommandant, der im Jahr 2000, als das Fujimori-Regime zusammenbrach, mit einer Kompanie Soldaten den bewaffneten Aufstand probte. (Dieser Umstand scheint jedoch aus dem Bewusstsein der Bevölkerung weitgehend verschwunden zu sein). Insbesondere die armen Bergbewohner im südlichen Perú (also die Gegend, wo wir wohnen) haben mehrheitlich für Humala gestimmt. – An zweiter Stelle liegt Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori (1990-2000), die die Politik ihres Vaters fortsetzen möchte (oder wenigstens die positiven Aspekte davon; die negativen verschweigt sie einfach).

Was bedeutet das für die Zukunft? – Hinter Humala steht Hugo Chavez und ein marxistisches Programm. Obwohl er beide Umstände während des Wahlkampfes zu leugnen versuchte: Sein schriftlich niedergelegtes Programm sieht u.a. vor, die grossen Betriebe zu verstaatlichen, die Staatsverfassung völlig neu zu schreiben, die Meinungsäusserungsfreiheit einzuschränken, und die Wechselkurse staatlich festzulegen (letzteres eine auch im seinerzeitigen europäischen Ostblock bekannte staatliche Bereicherungstaktik). Perú würde sich damit in den kommunistischen Block eingliedern, der sich in Lateinamerika unter der Führung von Chavez allmählich formiert, und zu dem bereits die Nachbarländer Ecuador und Bolivien gehören. – Die meisten Humala-Wähler haben aber keineswegs diese Absicht (wie schon erwähnt, interessieren sie sich nicht gross für Parteiprogramme). Sie erhoffen sich einfach eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. Sie haben genug davon, dass die Regierung in Lima ständig optimistische Zahlen über das Wirtschaftswachstum veröffentlicht, während die Lebensmittelpreise steigen und die Berggebiete so arm sind wie zuvor. „Die in Lima haben uns vergessen.“ Humala verspricht, diese Situation zu ändern.

Was Keiko Fujimori betrifft, so sind viele der Ansicht, es fehle ihr an Format, um die Geschicke des Landes zu führen. Sie ist zwar Kongressabgeordnete, hat sich aber als solche nicht besonders hervorgetan. Sodass Kommentatoren bemerkten, ihre einzige politische Errungenschaft bisher bestehe darin, Fujimori zu heissen. Kurz, es wird befürchtet, eine allfällige Präsidentschaft von Keiko Fujimori könnte zu einer „Marionettenregierung“ verkommen, die von fremden Interessen aus dem Umfeld ihres Vaters und/oder dessen berühmt-berüchtigten Beraters und Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos ferngesteuert würde. Ausserdem hat Keiko nie eine befriedigende Stellungnahme abgegeben zu den Verletzungen der Gewaltentrennung und der Menschenrechte unter der Regierung ihres Vaters, sodass eine Wiederholung dieser Situation nicht ausgeschlossen ist.

Die beiden Kandidaten stellen aus der Sicht der Bevölkerung die zwei extremen Gegenpole dar (obwohl in Wirklichkeit beide dieselben totalitären und diktatorischen Tendenzen teilen). Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die Partei, die in den Wahlen unterliegt, Versuche unternehmen wird, die gewählte Regierung zu stürzen. Schon unter der gegenwärtigen Regierung Alan Garcías (die als „politische Mitte“ gilt) haben gewaltsame Proteste und revolutionäre Agitation zugenommen. Bei der gegenwärtigen Konstellation ist damit zu rechnen, dass diese Tendenz weiterhin zunehmen wird.

Nicht zuletzt: Im Hochsicherheitsgefängnis von Lima sitzen die drei umstrittensten Persönlichkeiten der letzten dreissig Jahre in der peruanischen Geschichte: die bereits erwähnten Alberto Fujimori und Vladimiro Montesinos, sowie Abimael Guzman, der Gründer und Anführer der maoistischen Terrororganisation „Leuchtender Pfad“. (Diese übt weiterhin den Krieg von ihrem Urwald-Reduit aus, und rekrutiert weiterhin Anhänger.) Alle drei haben mehrmals gezeigt, dass sie auch vom Gefängnis aus durchaus noch in der Lage sind, auf das Tagesgeschehen Einfluss zu nehmen. Und alle drei warten darauf, dass einmal ein ihnen wohlgesinnter Präsident an die Macht kommt, der sie begnadigt. Egal wer die Wahlen gewinnt, werden jetzt einer oder zwei von ihnen darauf hoffen, dass dieser Moment bald kommt.

Andererseits könnte man den stattgefundenen ersten Wahlgang auch als „Anti-USA-Votum“ interpretieren. Mit Humala und Fujimori hat die Wählerschaft zwei Kandidaten den Vorzug gegeben, welche – im Vergleich mit den übrigen – nur eine geringe Affinität zu den USA aufweisen. Das könnte darauf hindeuten, dass sich Perú doch nicht so leicht in die von den USA vorangetriebene „Neue Weltordnung“ einbinden lassen wird, wie es bis jetzt den Anschein hatte.

Noch ein Wort zur evangelischen/evangelikalen Präsenz in diesen Wahlen: Vor sechs Jahren kündigte der ehemalige Pastor Humberto Lay an, die Evangelischen hätten sich lange genug vor den Karren anderer politischer Interessen spannen lassen, er werde jetzt eine eigene evangelische Partei gründen. Er trat dann auch (getreu der peruanischen Tradition) selber als Präsidentschaftskandidat dieser Partei an, erreichte aber nur ein bescheidenes Resultat. Schon damals war mir die „Evangelizität“ dieser Partei eher fragwürdig: Die oben zitierte Ankündigung Lays war an die evangelischen Kirchen gerichtet; in einem an die Öffentlichkeit gerichteten Fernsehinterview sagte er jedoch, seine Partei sei konfessionell neutral. Das Parteiprogramm vertrat keine spezifisch christlichen Werte, und trat wie alle anderen für die Verstaatlichung des Bildungs- und Gesundheitswesens ein, sowie für einschneidende staatliche Eingriffe in weiteren Bereichen. Ausserdem verursachte diese Partei schon in ihren Anfängen mehrere Skandale: interne Spaltungen; und Missbrauch von evangelischen Kirchen für Wahlpropaganda. – In den diesjährigen Wahlen ist jetzt die evangelische Identität offenbar völlig aufgegeben worden: Die Partei stellte als ihren Präsidentschaftskandidaten den früheren Wirtschaftsminister Pedro Pablo Kuczynski auf, und ging zu diesem Zweck eine Koalition ein mit der katholischen Partei der Opus-Dei-Frau Lourdes Flores, und mit der „Humanistischen Partei“. Dadurch haben sie offenbar Stimmen gewonnen (Kuczynski blieb auf dem dritten Platz nur knapp hinter Keiko Fujimori zurück), verloren aber zugleich Parteimitglieder, die mit dieser Koalition nicht einverstanden waren. – Die politische Ausrichtung von Kuczynski ist mir nicht ganz klar; ich würde ihn am ehesten als einen Befürworter der „Neuen Weltordnung“ einschätzen, könnte mich hierin aber auch irren.

Ein Aspekt des Wahlkampfes hat mich besonders betrübt, vom Hintergrund meiner Arbeit mit den Kindern her: Keiner der Kandidaten hatte irgendeinen Vorschlag zum Schutz und zur Stärkung der Familien. Keiner sagte etwas davon, z.B. die vielen aus Not berufstätigen Mütter zu unterstützen, damit sie weniger arbeiten müssten und mehr Zeit für ihre Kinder hätten. Kein Wort zur Bekämpfung des Alkoholismus – eine hier äusserst verbreitete Sucht, und Hauptursache der Zerrüttung der Familien. (Soweit ich sah und hörte, kam es auch keinem Journalisten in den Sinn, entsprechende Fragen zu stellen.) Dafür vertraten fast alle die Einführung von Ganztagesschulen und von „Vorschulen für Null- bis Dreijährige“ nach dem Motto: Der Staat ist dein Ernährer, dein Vater und deine Mutter. Das scheint auch der Wunsch einer erdrückenden Bevölkerungsmehrheit zu sein: Kinder zu zeugen, nur um sie gleich nach der Geburt der staatlichen Obhut zu übergeben. Hiess es noch vor zwanzig Jahren, in Perú werde der Familienzusammenhalt grossgeschrieben, so ist Perú jetzt offenbar in dieser Hinsicht ganz auf den Lebensstil der übrigen westlichen Welt eingeschwenkt.

Zum Schluss nochmals einige Abschnitte von Schaeffer (a.a.O.). Diese Worte, vor über dreissig Jahren geschrieben, sind wahrhaft prophetisch und gelten für die gesamte westliche Welt:

„Ich bin davon überzeugt, dass die ’schweigende Mehrheit‘, Junge und Alte, den Verlust von Freiheiten hinnehmen werden, ohne ihre Stimme zu erheben, solange ihr persönlicher Lebensstil nicht bedroht ist. Und da persönlicher Friede und Wohlstand die einzigen Werte sind, die für die Mehrheit zählen, wissen die Politiker, dass sie nur diese Dinge versprechen müssen, um gewählt zu werden.
(…) Edward Gibbon erwähnte in seinem Buch Der Untergang des Römischen Weltreichs die folgenden fünf Kennzeichen, die Rom am Ende aufwies: erstens eine zunehmende Vorliebe für Zurschaustellung und Luxus (Wohlstand); zweitens eine grösser werdende Kluft zwischen den sehr Reichen und den sehr Armen (…); drittens eine exzentrische Sexualität; viertens eine groteske, wunderliche Kunst, die sich als originell ausgab (…); fünftens ein zunehmendes Verlangen, auf Kosten des Staates zu leben. Dies kommt uns alles sehr bekannt vor (…) – nun sind wir wieder in Rom.

(…) In dem Masse, wie der christliche Konsensus vergessen wird, der uns innerhalb der biblischen Form Freiheit gab, wird ein manipulierender Autoritarismus das Vakuum füllen. (…) ‚Wenn die Freiheit die Ordnung zerstört, wird das Verlangen nach Ordnung die Freiheit zerstören.‘
Dann spielen die Begriffe ‚rechts‘ oder ‚links‘ keine Rolle mehr. Sie bezeichnen nur zwei Wege zu ein und demselben Ziel. Zwischen einer linken autoritären Regierung und einer rechten autoritären besteht kein Unterschied, das Ergebnis ist dasselbe. Eine Elite, ein autoritäres Regierungssystem als solches, wird allmählich der Gesellschaft die Form aufzwingen, die sie vor dem Chaos bewahren soll. Und die meisten Leute werden diese auch akzeptieren, weil sie den Wunsch nach persönlichem Frieden und Wohlstand hegen, weil sie apathisch sind und das Verlangen nach Ordnung haben. Sie nehmen deshalb irgendein politisches System in Kauf, damit die Wirtschaft und das tägliche Leben weitergehen können. Genauso handelte Rom zur Zeit des Kaisers Augustus.“

„Säe, damit du ernten kannst“

22. Dezember 2010

So hörte ich es kürzlich in einer Predigt:

„Das Wort Gottes sagt: Säe, damit du ernten kannst. Wenn du mit deinem Geld andere segnest, dann wird Gott auch dich segnen. Wenn du einen Sol (die peruanische Währung) weggibst, dann macht dich das nicht arm; aber es macht dich reich im Herzen. Wenn du nur zur Kirche gehst und das Wort hörst, aber es nicht tust, dann bist du wie ein Schüler, der den ganzen Tag in der Schule sitzt und zuhört, aber nichts davon praktiziert. Meine Geschwister, Gott ist Liebe, heisst es in 1.Johannes 4,8. Lasst uns also einander Gutes tun …“

Sie dürfen dreimal raten, aus was für einem Umfeld dieser Predigtausschnitt stammt. Aus einem freikirchlichen Gottesdienst? Aus einem Spendenaufruf für eine wohltätige Organisation? Aus dem Programm eines amerikanischen Fernsehevangelisten?

Dreimal falsch geraten. Der Mann, der so gepredigt hat, war in Wirklichkeit kaum daran interessiert, das Evangelium zu verbreiten. Es ging ihm auch nicht in erster Linie darum, zur Wohltätigkeit aufzurufen – es sei denn zu seinen eigenen Gunsten. Es handelte sich um einen Verkäufer – wie es hierzulande deren viele gibt -, der in einem Überlandbus den Passagieren zu einem billigen Preis Waren von zweifelhafter Qualität anbot, und zu diesem Zweck den eingangs zitierten Vortrag hielt. (Selbst die Anrede mit „Meine Geschwister“ ist authentisch!)

Wenn Sie auf Gottesdienst oder Fernsehevangelist getippt haben, sind Sie aber dennoch nicht weit daneben: diese Worte könnten durchaus auch an einer solchen Veranstaltung gesagt worden sein. Offenbar dienen dieselben Worte genauso gut dazu, billigen Ramsch zu verkaufen, wie ein (ebenso billiges?) Evangelium an den Mann zu bringen und Geld dafür zu erhalten.

Was sollen wir uns dazu denken? Dass die Ramschverkäufer allmählich gläubig werden? Oder viel eher, dass die heutigen Evangeliumsprediger mehrheitlich auf das Niveau von Ramschverkäufern abgesunken sind? Offenbar dienen jetzt die Worte ersterer den letzteren als Vorbild – was ich mir von einer Originalpredigt Jesu oder eines echten Apostels oder Propheten schwerlich vorstellen könnte.

Ich lasse es bei diesem knappen Kommentar bewenden und überlasse es dem Leser, weitere Schlüsse zu ziehen.