Fortsetzung des Gleichnisses im letzten Beitrag
Sollte es den Falschmünzern gelungen sein, einen Keil in unsere festgefügte kleinstädtische Gemeinschaft zu treiben? Die Glaubens- und Vertrauenskrise wurde immer offensichtlicher.
Anlässlich einer späteren Versammlung wurde der Antrag unterbreitet, eine Delegation in die Hauptstadt zu entsenden, um den König von den Vorgängen zu unterrichten und ihn höchstpersönlich um Weisung zu bitten. Aber ein einflussreicher Krämer sprach sich dagegen aus:
„Wie allgemein bekannt ist, “ (mir war das zwar nicht bekannt gewesen) “ ist die Zeit Seiner Majestät knapp bemessen, und er ist kaum je geneigt, eine Delegation aus einer entfernten Provinz anzuhören. Wir würden nur unsere Zeit verschwenden. Ausserdem haben wir hier unsere eigene ordentliche Rechtsprechung, die sehr wohl in der Lage ist, mit dem Problem fertigzuwerden. Oder haben Sie etwa vor, “ (hier wandte er sich direkt und herausfordernd an den Antragsteller) „die ordungsgemäss eingesetzte örtliche Justiz auszuhebeln?“
„Nein, nein, in keiner Weise“, antwortete dieser betreten. „Ich dachte nur, mit einer Weisung direkt vom König hätten wir eine grössere Rechtssicherheit, und …“
„Und wer soll das bezahlen?“ fuhr ihm ein anderer Krämer über den Mund. „Wie jedermann weiss, haben wir gegenwärtig gerade wegen dieser Falschmünzerei eine akute Währungskrise.“ (Ich hatte das zwar nicht gewusst, aber ich war wohl nicht über alles informiert, wie meistens.) „Eine solche Delegation würde immense Reisekosten verursachen, ganz zu schweigen von den hohen Lebenskosten in der Hauptstadt. Unsere Stadtkasse kann es sich zur Zeit nicht leisten, ein so kostspieliges Unterfangen zu finanzieren.“
In einer Ecke erhoben sich drei Herren, die mir schon in früheren Versammlungen durch rege Beteiligung aufgefallen waren:
„Wir erklären uns bereit, die gesamte Reise und den Aufenthalt der Delegation zu bezahlen.“
Ein Raunen ging durch den ganzen Saal. Da griff der Münzmeister in die Diskussion ein:
„Das neue Gesetz gegen die Korruption verbietet ausdrücklich, dass Ausschüsse, die staatliche Angelegenheiten behandeln, private Gelder entgegennehmen. Ich verbitte mir weitere Beiträge, die darauf abzielen, diese Versammlung zu gesetzwidrigen Beschlüssen zu verleiten.“
Die Argumente der Krämer hatten durchschlagend gewirkt. Als es zur Abstimmung kam, wurde der Antrag, eine Delegation zu entsenden, mit 1753 zu 168 Stimmen abgelehnt, bei 674 Enthaltungen. Unsere Stadtregierung musste also weiterhin selber mit der Krise fertigwerden.
* * * * *
Es muss etwa um diese Zeit gewesen sein, als ich bei Aquilas eingeladen war, einem alten Bekannten, den ich aber in den letzten Jahren nur noch selten gesehen hatte. Es waren noch einige andere Gäste anwesend.
Wir kamen auf einige kürzliche Gerichtsfälle zu sprechen, die bei einem grossen Teil der Bevölkerung ein ungutes Gefühl hervorgerufen hatten. Zum Beispiel war der stadtbekannte Betrüger Z. wegen mangelnden Beweisen freigesprochen worden. „Mein Bruder hatte sich als Zeuge gemeldet“, sagte einer der Anwesenden, „aber seine Anhörung wurde immer wieder hinausgeschoben, bis keine Zeit mehr blieb dafür.“ – „Z. soll einen guten Draht zum Münzmeister haben“, sagte ein anderer. „Das erklärt manches.“
Andererseits war der Schriftsteller A. wegen übler Nachrede zu einer hohen Strafe verurteilt worden, obwohl man ihm keine Unrichtigkeit nachweisen konnte. Er hatte es gewagt, in einer Flugschrift die Argumente einer Gruppe von Geschäftsleuten wiederzugeben, die Falschgeld annahmen. Einer von ihnen hätte die Verluste ausgerechnet, die jeder Bürger wegen der laufenden Entwertung des Reichsgeldes zu erleiden hatte. Dadurch standen der Münzmeister und die Stadtregierung in einem ziemlich schlechten Licht da. Der Richter hatte gegen den Autor dieser Schrift einen obskuren Gesetzesartikel angewandt, wonach „unter gewissen Umständen“ der Straftatbestand der üblen Nachrede auch dann erfüllt sei, wenn der Betreffende die Wahrheit gesagt habe, aber mit seinen Aussagen „die Absicht verfolgte, Dritte in ihren materiellen oder ideellen Interessen zu schädigen“.
Ein grauhaariger, bedächtiger Herr in der Runde stellte einige Fragen, aus denen hervorging, dass er von auswärts kam und die Verhältnisse in unserer Stadt noch nicht so gut kannte. Die Antworten überzeugten ihn offenbar davon, dass bei den genannten Urteilen (sowie bei einigen weiteren) das Recht gebeugt worden war. Er zeigte sich auch erstaunt darüber, dass es für die Opfer anscheinend keine Möglichkeit gab, an eine höhere Instanz zu appellieren, ausser sie würden auf eigene Kosten in die Hauptstadt reisen und ihr Anliegen direkt dem König vortragen. Er fragte daraufhin:
„Sind wir uns einig darüber, dass der König gerecht ist?“
„Natürlich“, antworteten die Anwesenden.
„Und dass Gerechtigkeit ein Prinzip seines Reiches ist?“
„Ebenso.“
„Wenn also an einem Ort keine Gerechtigkeit herrscht, müssen wir dann nicht daraus schliessen, dass dieser Ort nicht zum Reich gehört?“
Betretenes Schweigen. Es fiel den Anwesenden offenbar schwer, das soeben Gesagte gedanklich zu verarbeiten.
Nach einigen Momenten fuhr der ältere Herr fort:
„Ich habe schon andere Städte und Provinzen kennengelernt, die Anspruch darauf erheben, zum Reich zu gehören, aber nicht nach den Prinzipien des Königs leben. Eine dieser Städte verletzte die Gastfreundschaft und schickte täglich alle Fremden bei Sonnenuntergang vor die Stadttore hinaus. Eine andere stellte einige Professoren eigens dazu an, aus den veröffentlichten Aussprüchen des Königs die ’nicht mehr zeitgemässen‘ herauszustreichen und die übrigen inhaltlich zu ‚modernisieren‘. Sollten diese Orte einmal in eine Notlage kommen, würde ihnen der König dann Hilfe schicken?“
Noch immer antwortete niemand.
„Ich nehme an, ich bin hier unter Menschen, die sich dem König gegenüber verantwortlich wissen. Deshalb möchte ich euch, die ihr hier seid, den Ernst unserer Situation deutlich machen. Jeder von uns wird sich entscheiden müssen, ob er dem König untertan sein will oder jemand anderem. Jeder von uns kann bald in eine Situation kommen, wo er Anordnungen erhält, die den Anordnungen des Königs widersprechen. Dann müssen wir wissen, auf welcher Seite wir stehen. Werden wir dann dem König treu sein? Auch wenn er weit weg ist, und die Befehlshaber mit den gegenteiligen Anordnungen beeindruckend vor uns stehen?“
Einige Anwesende nickten.
„Wie könnten wir sonst sagen, wir seien das Reich, wenn wir nicht den Willen des Königs tun und nicht annehmen, was vom König kommt?“
Ich war geneigt, ihm recht zu geben. Aber plötzlich fuhr mir wie ein Blitz der Gedanke durch den Sinn: „Er redet gegen die Regierung unserer eigenen Stadt! Er möchte uns aufhetzen! Vielleicht ist er sogar einer der gesuchten Falschmünzer. Gleich wird er anfangen davon zu sprechen, dass wir das Falschgeld annehmen sollen.“
War es meine Pflicht, ihn anzuzeigen? – Aber er kam nicht auf das Falschgeld zu sprechen, und ich konnte ihm auch nichts nachweisen. Er hatte kein Geld bei sich, oder wenn, dann liess er es nicht sehen.
Spät abends, nachdem die übrigen Gäste bereits gegangen waren, fragte ich Aquilas noch unter der Haustür:
„Wer war denn dieser ältere Herr, der so vom ‚Ernst unserer Situation‘ gesprochen hat?“
Aquilas antwortete – eher ausweichend, wie mir schien -:
„Ein gelegentlicher Besucher.“
– Dann fügte er leiser hinzu: „Hat viel Lebensweisheit. Soll den König persönlich kennengelernt haben. Er hat mir die Augen geöffnet über manche Dinge.“
„Du glaubst doch nicht etwa all das revolutionäre Zeug?“
„Revolutionär? Es stimmt mit dem überein, was der König selber sagt.“
„Soviel ich weiss, hat der König gesagt, man soll den Provinz- und Stadtregierungen untertan sein.“
„Weisst du was? Das nächste Mal, wenn du zu mir auf Besuch kommst, lesen wir zusammen nach, was der König wirklich gesagt hat.“
Ich war mir aber nicht so sicher, ob ich wirklich Aquilas nochmals besuchen wollte. Die Gespräche an diesem Abend hatten mich sehr verwirrt. Und überhaupt, aus den Aussprüchen des Königs konnte sich jeder herausinterpretieren, was er wollte. Er war ohne Zweifel sehr weise, aber manchmal drückte er sich sehr dunkel aus. Ich hatte auch gehört, manche seiner veröffentlichten Aussprüche seien vorher von seinen Höflingen kräftig editiert und abgeändert worden.
Nach alldem war ich froh, dass einige Wochen später der Münzmeister im Münztempel ein Thema anschnitt, das genau zu meiner Unsicherheit sprach:
„Es gibt einige ewige Nörgler, die von Stadt zu Stadt ziehen und an jeder etwas auszusetzen haben. Die eine ist ihnen nicht sauber genug, in der nächsten sagt ihnen das Essen nicht zu, und in der dritten regnet es zuviel. Wir müssen uns nun einmal damit abfinden, dass wir unvollkommene Menschen in einer unvollkommenen Welt sind.
Es wäre besser bestellt um uns, wenn diese Nörgler nur halb so viel täten, wie sie reden. Wo waren sie denn, als wir unter grossen Opfern unser Rathaus und unseren Münztempel errichteten?“
Applaus erfüllte den Saal. Die persönlichen Anhänger des Münzmeisters sassen an den strategischen Stellen im Saal und wussten genau, bei was für Aussagen ein Applaus erwünscht war. – Der Münzmeister fuhr fort:
„Aber das Schlimmste ist, dass sie gegen das Reich sprechen. Wenn eine Stadt nicht genau so regiert wird, wie sie es sich vorstellen, dann würden sie am liebsten diese Stadt vom Reich ausschliessen. Sie stellen Ansprüche, die sie selber nicht erfüllen können. Sie wollen keine Stadt anerkennen, die diesen Ansprüchen nicht vollkommen genügt. Ich sage Ihnen: Sollten Sie wirklich einmal eine so vollkommene Stadt finden, dann ziehen Sie nicht dorthin! Sie würden durch Ihre eigene Anwesenheit die Vollkommenheit jener Stadt zerstören.“
Neuerlicher Applaus.
„Eine ähnliche Klasse sind die Einzelgänger, die sagen: Ich glaube an den König, aber nicht an das Reich. Ihnen muss ich ganz klar sagen: Sie können nicht den König haben ohne das Reich. Das Reich ist Ausdruck des Willens des Königs. Es gibt keine Treue zum König unabhängig von der Treue zum Reich!
Ich richte deshalb an Sie alle einen ernsthaften Aufruf, Ihre Loyalität zu unserer Stadtregierung zu erneuern. Lassen Sie sich nicht verführen von den Aufwieglern, die die Ehre des Reichs geringschätzen.
Selbst wo das Reich im Unrecht sein sollte und seine Vertreter fehlbar, müssen wir uns unterordnen. Es ist dem König wohlgefälliger, loyal zum Reich und seinen Vertretern zu sein, als auf eigene Faust dem König gehorchen zu wollen, unabhängig vom Reich.“
Nach dieser Rede war meine Gedankenwelt wieder in Ordnung. Es war so beruhigend, sich auf unsere Stadtregierung verlassen zu können. Erst mehrere Jahre später begann ich mich zu fragen, ob das Argument nicht etwas unlogisch war, der Gehorsam dem König gegenüber richte sich gegen das Reich.
Einige Zeit später traf ich unerwartet mit jenem Fremden zusammen, der damals bei Aquilas zu Gast gewesen war. Die genauen Umstände dieser Begegnung tun nichts zur Sache. Er erkannte mich wieder. Nach einigen einleitenden Bemerkungen fragte er mich ohne Umschweife:
„Und wie stehst du zum König?“
„Ich diene der grösseren Ehre des Reiches“, antwortete ich mit aller Selbstverständlichkeit.
„Aber wie stehst du zum König?“
„Ich denke, das habe ich soeben klargemacht. Ich bin seinem Reich treu.“
„Du erinnerst dich sicher, dass wir an jenem Abend darüber sprachen, wie das Wort ‚Reich‘ oft missbraucht wird. Hast du inzwischen darüber nachgedacht, was du genau unter dem ‚Reich‘ verstehst?“
„In erster Linie natürlich meine Stadt, weil ich hier wohne. Aber in einem weiteren Sinn alles, was dem König gehört.“
„Das ist genau meine Besorgnis: inwieweit diese Stadt wirklich dem König gehört oder nicht. Du weisst ja auch einiges darüber, was hier vorgeht. Hast du dir schon überlegt, auf welche Seite du dich im Konfliktfall stellen würdest?“
Das verwirrte Gefühl von jenem Abend bei Aquilas wollte zurückkehren. Aber inzwischen hatte ich gelernt, wie ich einem solchen Nörgler und womöglich Falschmünzer (denn als einen solchen musste ich ihn ansehen) zu antworten hatte:
„Es gibt keine Treue zum König unabhängig von der Treue zum Reich.“
Doch meine Sicherheit wurde von seiner Antwort wie vom Wind verweht:
„Und was denkst du denn, was das Reich ist? Wer bestimmt denn, was im Reich geschehen soll, wie seine Bürger leben sollen, und wie seine Städte regiert werden sollen? Etwa nicht der König? Es gibt kein Reich unabhängig vom Gehorsam dem König gegenüber.„
Ich schluckte leer. Nach einigen Momenten des Schweigens antwortete ich:
„Und sind wir etwa nicht dem König gehorsam?“
„Was dich persönlich betrifft, so kann ich das nicht beurteilen. Wie lautet denn der Auftrag des Königs an dich?“
Wieder verharrte ich einige Minuten in betretenem Schweigen. Schliesslich sagte ich:
„Um ehrlich zu sein, ich habe noch nie einen Auftrag direkt vom König erhalten. Wäre es nicht Anmassung, so etwas zu erwarten? Wir haben hier unsere Stadtoberen, die das Reich vertreten und uns Weisungen erteilen. Ich folge ihren Weisungen, also folge ich doch dem Willen des Königs.“
Der Fremde antwortete:
„Anmassung wäre es, wenn du anderen vorschreiben wolltest, was angeblich des Königs Auftrag für sie sei. Mir scheint, es ist gerade das, was eure Stadtoberen tun. Aber nach dem Auftrag des Königs für dich selber zu fragen, ist gerade das Gegenteil von Anmassung: es ist wahre Demut und wahrer Gehorsam.“
Er machte eine Pause und blickte mich aus tiefen Augen an. Dann fuhr er fort: „Weisst du, ich mag dich. Ich sehe in dir, dass du im Grunde den Willen hast, ein treuer Untertan des Königs zu sein. Nur hast du noch einige verkehrte Vorstellungen davon, was das bedeutet. Deshalb getraue ich mich, offen mit dir zu sprechen.“
„Worüber denn?“
„Über das Falschgeld natürlich. Du hast vielleicht gehört, dass meine Brüder und ich in der Öffentlichkeit euer Geld beschönigend als ‚Provinzwährung‘ bezeichnen. Wir tun das nur, weil es uns in der gegenwärtigen Situation verunmöglicht wird, die Wahrheit offen auszusprechen. Aber in Tat und Wahrheit sind eure Münzen und Banknoten illegales Falschgeld, hergestellt von einer Vereinigung von Krämern, die vom König abtrünnig geworden sind. Was wir tun, ist nichts anderes als der Versuch, das rechtmässige Geld des Königs wieder einzuführen unter jenen, die noch genügend Aufrichtigkeit im Leib haben dafür.“
Ich war wie vor den Kopf gestossen. So eine unverschämte Lüge! Nie hatte ich davon gehört, dass der König irgendeine andere Währung autorisiert hätte als jene, die wir gebrauchten.
Und doch – es lag eine so tiefe Ernsthaftigkeit und Aufrichtigkeit in den Worten dieses Fremden. Tief in meinem Innern musste ich zugeben, dass ich ebensowenig je davon gehört hatte, dass der König unsere Währung autorisiert hätte. Es begann mir zu dämmern, dass ich überhaupt sehr wenig wusste über den König und seinen Willen. Jedenfalls nicht genug, um auf die Argumente dieses mysteriösen Fremden antworten zu können.
Er fuhr fort: „Ihr, eure Stadtoberen, ihr habt euer eigenes Reich aufgerichtet entgegen dem Reich des Königs; ihr habt eure eigenen Regenten eingesetzt entgegen dem Willen des Königs; und ihr habt eure eigene Währung geschaffen und das Geld des Königs als wertlos erklärt. Ihr habt die Ehre eures eigenen Reichs wichtiger genommen als den Willen des Königs.
Du denkst jetzt sicher, ich möchte dich zur Rebellion anstiften. Nichts liegt mir ferner als das. Ganz im Gegenteil. Du hast wahrscheinlich die frühere Regierung dieser Stadt nicht gekannt, und hast daher immer im Glauben gelebt, die gegenwärtige Regierung sei rechtmässig. Aber ich versichere dir: Eines Tages wird der königliche Gerichtsvollzieher in dieser Stadt erscheinen, und dann wird er eure Stadtoberen als Rebellen richten.
Der einzige Zweck meines Hierseins besteht darin, euch zur Rückkehr unter den Willen des Königs aufzurufen – das heisst, jene unter euch, die noch dazu in der Lage sind.“
Ich war zu aufgewühlt, um antworten zu können. Alles drehte sich in meinen Gedanken. Meine Empfindungen führten Krieg gegeneinander in meinem Innern. Da war einerseits eine unbändige Wut über die Unterstellungen dieses Fremden. Es konnte doch nicht wahr sein, dass ich mein Leben lang einem Schwindel aufgesessen sein sollte. Ich war doch ein erwachsener Mensch mit eigenem Urteilsvermögen. Ich hatte doch als mündiges Mitglied an den Stadtversammlungen teilgenommen. Ich kannte doch die Stadtoberen und ihre ehrenhaften Absichten, die Ehre des Reichs zu vermehren.
Und andererseits war da ein immer stärker nagender Verdacht, der Fremde könnte doch recht haben. Ich war ja noch nie allzu weit aus meinem Geburtsort herausgekommen. Ich kannte weder die Hauptstadt noch den König. Sollte es in der Weite seines Reichs mehr und andere Dinge geben, als meine Schulweisheit sich träumen liesse? Wusste dieser Fremde vielleicht etwas, was mir ein Leben lang vorenthalten worden war? Hatte ich vielleicht eher Grund, auf mich selber wütend zu sein statt auf ihn, weil ich blindlings alles geglaubt hatte, was man mir in meiner Stadt erzählt hatte?
Der Fremde verabschiedete sich und liess mich allein mit meinem inneren Aufruhr. Ich beschloss, alles daran zu setzen, die Wahrheit herauszufinden.
Fortsetzung folgt