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David Livingstone – auch ein christlicher Aussteiger? – Teil 2

28. August 2019

Im ersten Teil haben wir betrachtet, wie Livingstone in seiner Missionstätigkeit ein „nicht-institutionelles“ Gemeindemodell vertrat und lebte. Ist es mehr als ein Zufall, dass sein Name übersetzt „lebendiger Stein“ bedeutet? In 1.Petrus 2,4-5 heisst es: „Tretet hinzu zu ihm (Jesus), dem lebendigen Stein, von den Menschen zwar verworfen, von Gott aber auserwählt und wertgeschätzt; und lasst auch euch selber als lebendige Steine aufbauen zu einem geistlichen Haus, einer heiligen Priesterschaft…“ – Livingstone hat nie eine „Kirche“ aus toten Steinen gebaut; aber er liess sich als „lebendiger Stein“ da einsetzen, wo Gott ihn haben wollte. Das entsprach nicht immer dem Willen der Vertreter irdischer Institutionen und Kirchen.
Englische Expeditionsgefährten, die ihn eine Zeitlang begleiteten, beschrieben ihn als eigensinnig, unberechenbar, und als einen „höchst unzuverlässigen Leiter“. Sie zweifelten sogar daran, ob er noch bei Verstand sei. Eine Beurteilung, die auch anderen „lebendigen Steinen“ vor und nach ihm zuteil geworden ist.

1857 trennte sich Livingstone von der London Missionary Society (LMS), und unternahm seine nächste Expedition mit Unterstützung der Royal Geographical Society und der englischen Regierung. Über die Hintergründe der Trennung gibt es widersprüchliche Versionen. Einige Biographen schreiben, nachdem Livingstone hauptsächlich zu einem Entdecker geworden war, fühlte er sich nicht mehr berechtigt, von einer Missionsgesellschaft unterstützt zu werden, und sei deshalb aus eigenem Entschluss zurückgetreten. Ähnlich Thomas Hughes (1889):
„Durch die Veröffentlichung seines Buches war er plötzlich zu einem reichen Mann geworden. Deswegen, und weil er zum Konsul für die afrikanische Westküste ernannt worden war, (…) beschloss er nach langem Überlegen, von der London Missionary Society zurückzutreten. Sie trennten sich sehr freundschaftlich, obwohl sein Handeln in der (sogenannten) religiösen Presse missverstanden und scharf kritisiert wurde.“

Andere Versionen sprechen jedoch von persönlichen und sachlichen Differenzen. So im englischsprachigen Wikipedia-Artikel:
„Livingstone hatte sich der Missionsleitung gegenüber beklagt über deren Politik, zu viele Missionare in der Gegend am Kap zu konzentrieren, obwohl die einheimische Bevölkerung dort gering war (Blaikie). (…) In Quelimane erhielt Livingstone einen Brief von der Leitung der Missionsgesellschaft, in welchem sie ihm zu der vollbrachten Reise gratulierten, aber gleichzeitig sagten, die Leitung sei ‚limitiert in ihrer Vollmacht, Pläne zu unterstützen, die nur ganz entfernt mit der Ausbreitung des Evangeliums zu tun haben‘ (Tim Jeal 2013).“

Livingstone selber sah sich bis an sein Lebensende als ein von Gott beauftragter Missionar. Mit seinen Reisegefährten und Helfern hielt er tägliche Andachten (die aber zu keiner weiteren Bekehrung mehr führten). Seine Entdeckungsreisen sah er nur als ein Mittel zum Zweck, weitere Missionare in das zuvor unerforschte Innere Afrikas bringen zu können. Darin sah er seinen eigentlichen Beitrag zum Missionsauftrag und seine eigentliche Berufung – während offenbar Setschele dazu ausersehen war, die direkte Missionsarbeit zu leisten, die Livingstone anfangs selber tun wollte. (Siehe Teil 1.)

Silvester Horne (1916) beurteilt seine Trennung von der LMS folgendermassen:

„Da Livingstone glaubte, es sei seine Lebensaufgabe, das Innere dieses grossen Landes zu erschliessen, fühlte er sich verpflichtet, von der LMS zurückzutreten, da einige ihrer Unterstützer nicht mit dieser Art von Arbeit einverstanden wären. Zugleich war er sehr besorgt um den Fortgang der Arbeit der Missionsgesellschaft, und fühlte sich verpflichtet, selber für einen Stellvertreter zu sorgen. Er kam mit seinem Schwager John Moffat überein, dass dieser als Missionar zu den Makololo ginge, und versprach ihm (…) ingesamt eine Summe von 1400 Pfund.
Seine eigene Zukunft war bestimmt durch die Ernennung zum Konsul in Quelimane, und zum Leiter einer Expedition zur Erforschung von Ost- und Zentralafrika. (…)
Es wird immer einige Menschen geben – Opfer einer Theorie, die das Leben in wasserdichte Abteilungen unterteilt -, die argumentieren, jemand könne kein Diener Gottes oder Missionar sein, wenn er zugleich etwas anderes ist. Diese Menschen glauben, wenn jemand zu einem Entdecker werde, dann höre er auf, ein Missionar zu sein. Konsequenterweise müssten sie glauben, dass Paulus aufhörte, ein Apostel zu sein, als er als Zeltmacher arbeitete (…) Livingstone betrachtete alle seine Arbeit als heilig, weil er sie zur Ehre Gottes und zum Besten der Menschheit tat. Die Ziele, die er gegen sein Lebensende verfolgte, waren im wesentlichen dieselben wie zuvor: das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit.“

Aus dieser Perspektive gesehen, war Livingstone nicht nur aus einer Institution ausgetreten. Er war zugleich aus einer institutionellen Weltanschauung „ausgestiegen“ bezüglich der Frage, was unter „Gott dienen“ zu verstehen sei. Ist nur der institutionell anerkannte „Pastor“ oder „Missionar“ ein Diener Gottes? – oder auch der Entdecker, der nachkommenden Missionaren den Weg öffnen will, der seinen Reisebegleitern mit Wort und Tat das Evangelium bezeugt, und der aus christlicher Überzeugung gegen den Sklavenhandel kämpft?

U.a. ging es dabei auch um die Frage, was wichtiger ist: die persönliche Berufung, die Gott einem Menschen gegeben hat, oder die institutionellen Vorgaben irdischer Vorgesetzter, z.B. einer Missionsgesellschaft? In einer Firma, die weltliche Interessen verfolgt, gelten die Mitarbeiter als Untergebene des Chefs und müssen, was ihre Arbeit anbelangt, den Anweisungen des Chefs folgen. Im Reich Gottes dagegen gibt es nur einen einzigen „Chef“, der Herr selber, „und ihr alle seid Brüder“ (Matth.23,8). Im „Leib Christi“ sind wir alle unterschiedliche Glieder unter einem einzigen Haupt (1.Kor.12,18-27, Kol.2,18-19); und die Glieder erteilen einander keine Befehle. In einer Vereinigung, die sich der Ausbreitung des Reiches Gottes verpflichtet hat, ist deshalb zu erwarten, dass die persönliche Berufung jedes einzelnen respektiert und wertgeschätzt wird. (Im Falle der LMS sollte erwähnt werden, dass sie dies Livingstone gegenüber bis vor seiner Ganz-Durchquerung des afrikanischen Kontinents auch getan hat. Die Leitung der Missionsgesellschaft liess ihm volle Freiheit bei der Wahl seines jeweiligen Wohn- und Arbeitsortes, seiner Reisepläne, usw.)

Leider muss ich beobachten, dass heutzutage in vielen freikirchlichen Kreisen nicht nur Missionsleiter, sondern auch örtliche Gemeindeleiter ihren Mitarbeitern Vorschriften machen, die weit über das hinausgehen, was zur Funktion der jeweiligen Organisation gehört oder vom Wort Gottes vorgeschrieben wird. Es wird ihnen gesagt, wo sie wohnen sollen, was sie arbeiten sollen, sogar wen sie heiraten dürfen und wen nicht. Wenn sich Livingstone von seiner Missionsgesellschaft trennte, weil diese seine persönliche Berufung nicht mehr unterstützte, wieviel mehr Grund besteht dann, zum „Aussteiger“ zu werden, wenn religiöse Leiter, angeblich im Namen Gottes, ihr Mikromanagement über persönliche Entscheidungen durchsetzen wollen, die überhaupt nicht zum Kompetenzbereich dieser Leiter gehören?!

Wie in seinen Missionsmethoden (siehe Teil 1), so hat Livingstone auch in seinen persönlichen Entscheidungen gezeigt, dass ihm die persönliche Beziehung zu Gott wichtiger war als alle institutionellen Formen, Regeln und Beschränkungen. Und das, denke ich, ist das hervorstechendste Merkmal eines „christlichen Aussteigers“.