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Demokratieverständnis in Perú und in Europa

13. September 2019

Letztes Jahr ist bei einer Volksabstimmung in Perú eine Verfassungsreform gutgeheissen worden, die v.a. für mehr Transparenz und Gerechtigkeit bei Wahlen sorgen soll. Eingeführt worden ist diese Reform aber bisher nicht, weil das Parlament zuerst darüber befinden muss, ob und wie diese Reform verwirklicht werden soll. Dabei sind alle möglichen Änderungs- bzw. Verwässerungsvorschläge eingebracht worden, und die Debatten darüber sind immer wieder verschleppt worden. Der politischen Elite ist anscheinend viel daran gelegen, diese Reformen zunichte zu machen, oder sie zumindest so weit hinauszuzögern, dass die nächsten Parlamentswahlen noch unter der alten Gesetzgebung abgehalten werden müssen.

Für mich als Schweizer ist ein solches System nicht so leicht nachvollziehbar. Nach dem schweizerischen Verständnis bedeutet Demokratie („Volksherrschaft“), dass das Volk das letzte Wort hat. Ergebnisse einer Volksabstimmung werden ohne Wenn und Aber umgesetzt, da hat das Parlament nichts mehr zu sagen. Ausser eine Abstimmung sei durch falsche Informationen behördlicherseits manipuliert worden, wie in einem nicht so lange zurückliegeden Fall (meines Wissens erstmals) in der Schweiz gerichtlich entschieden wurde.

Ein möglicher Ausweg bleibt der peruanischen Regierung noch: Wenn erwiesenermassen das Parlament den Auftrag der Exekutive sabotiert, dann kann unter gewissen Umständen der Staatspräsident das Parlament auflösen. Doch die Verfassung macht ihm das nicht leicht; es müssen dazu eine ganze Menge Bedingungen erfüllt sein. Andererseits haben Umfragen ergeben, dass in der gegenwärtigen Situation eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung eine solche Massnahme gutheissen würde. Immer wieder finden Streiks und Protestaktionen statt, bei denen zur Auflösung des Parlaments aufgerufen wird.

An all das musste ich denken, als ich kürzlich von den Entrüstungsstürmen las, die Boris Johnson ausgelöst haben soll mit seiner Entscheidung, das britische Parlament – nicht aufzulösen, nur für ein paar Wochen zu schliessen. Die Situation ist durchaus mit der peruanischen vergleichbar. Der Brexit ist nach demokratischen Massstäben eine beschlossene Sache; das Volk hat entschieden. Doch das Parlament hat bisher die Inkraftsetzung dieses Beschlusses erfolgreich verhindert. Auch wenn einige Snobs wie Richard Dawkins verlauten liessen, man hätte das tumbe Volk gar nicht über eine so hochwichtige Sache abstimmen lassen dürfen – so weit ist England noch nicht, dass selbsternannte Wissenschaftspäpste die Regierung in der Tasche hätten wie im Mittelalter die Päpste von Rom. (Deutschland scheint in dieser Hinsicht „weiter“ zu sein. Wann gab es dort zum letzten Mal eine Volksabstimmung?)

Man mag manche Einwände gegen demokratische Regierungsformen an sich vorbringen. Aber wenn ein Land einmal entschieden hat, sich demokratisch zu regieren, dann müssen die Regierenden sich an diese Spielregeln halten. Auch gewählte „Volksvertreter“ können einen Volksbeschluss nicht einfach annullieren. Und die Exekutive hat in einer Demokratie den Auftrag, den Willen des Volkes in die Tat umzusetzen, gegen alle Widerstände – selbst wenn diese Widerstände vom Parlament kommen. Deshalb ist „Demokratie“ gerade dasjenige Argument, das man nicht gegen Boris Johnson ins Feld führen kann. Im Gegenteil, er hat das Demokratischste getan, was er in seiner Situation tun konnte: nämlich dem Volkswillen Geltung zu verschaffen (oder es zumindest zu versuchen). Die Reaktion von Parlament und Presse zeigt, dass Europa anscheinend noch (oder wieder) weiter entfernt ist von einem echten Demokratieverständnis als Perú.

Wahlen in Perú

18. April 2011

Vor einer Woche wurde der neue peruanische Kongress gewählt; und aus zehn Präsidentschaftskandidaten (von denen sich aber nur fünf in den Medien Gehör verschaffen konnten) wurden jene zwei ausgewählt, die sich beim zweiten Wahlgang anfangs Juni gegenüberstehen werden. Ich ergreife die Gelegenheit, um ein wenig das Umfeld zu beschreiben, in welchem wir hier leben, bzw. in naher Zukunft voraussichtlich leben werden.

Zunächst ein Umstand, der aus europäischer Sicht nicht so leicht verstanden wird: Wahlen sind hierzulande ganz ausgeprägte Persönlichkeitswahlen; d.h. Parteiprogramme und Prinzipien spielen bei der Entscheidung kaum eine Rolle. So gut wie jeder Kandidat, der Präsident werden will, gründet zu diesem Zweck seine eigene Partei; deren Programm ist dabei eher nebensächlich. Tatsächlich glichen sich dieses Jahr viele Vorschläge der Kandidaten so sehr, dass man beinahe denken musste, einer hätte vom anderen abgeschrieben. Politische Parteien sind hierzulande also nicht in erster Linie Organisationen zur Verwirklichung eines politischen Programms, sondern persönliche Unterstützungsorganisationen eines bestimmten Kandidaten und Parteigründers. Die einzige heute noch existierende Partei, die eine längere Tradition und ein einigermassen fest umrissenes Programm hat, ist die ursprünglich radikal-revolutionäre, heute aber gemässigt-sozialdemokratische APRA. Gerade diese Partei (welcher der abtretende Staatspräsident Alan García angehört) hat sich aber dieses Jahr innerlich zerstritten, sodass sie sich auf keinen Präsidentschaftskandidaten einigen konnten. In der Folge verloren sie auch von ihren 36 Sitzen im Kongress alle bis auf vier. So kann eine – wenn auch noch so traditionsreiche – Partei fast von einem Tag auf den anderen verschwinden, wenn sie keinen „starken Mann an der Spitze“ mehr vorzuweisen hat.

Die Gründe für diese Abwesenheit von Prinzipien und Programmen sehe ich in der Kultur und Geschichte dieses Landes. Mindestens seit der Inkazeit sind sich die Peruaner gewohnt, einem „starken Mann“ blindlings zu folgen. Die spanische Eroberung und Kolonialherrschaft, samt ihrer Zwangskatholisierung, verstärkte diese Tendenz noch. Da Perú nie eine Reformation erlebt hat, sind hierzulande die Prinzipien des Rechtsstaates sehr schwerverständlich. Diese sind nämlich ein Erbe der Reformation, wie Francis Schaeffer ausführt (in „Wie können wir denn leben?“):

„Die Grundlage für Freiheit ohne Chaos wird in Paul Roberts Wandgemälde dargestellt, das er Die Gerechtigkeit erhebt die Völker nannte. (…) Es befindet sich im Treppenhaus des alten Gebäudes des Obersten Gerichtshofes der Schweiz in Lausanne. (…) Robert stellte verschiedene Arten von Gerichtsfällen im Vordergrund dar, und hinter der Richterbank stehen die Richter in ihren langen, schwarzen Gewändern. Somit stellt das Bild die Frage: Wie sollen die Richter richten? Auf welcher Grundlage können sie einen Urteilsspruch fällen, von dem sich nicht sagen lässt, dass er willkürlich sei? Über den Richtern malte Robert die Gerechtigkeit mit unverbundenen Augen, und ihr Schwert ist nicht vertikal nach oben gerichtet, sondern nach unten auf ein Buch, und auf dem Buch steht geschrieben: ‚Das Gesetz Gottes.‘ Dieses Gemälde brachte die Basis für Soziologie und Rechtsprechung zum Ausdruck, die Nordeuropa nach der Reformation besass.

(…) Die ausdrückliche Lehre der Bibel, dass alle Menschen – auch Monarchen – dem Gesetz Gottes gegenüber verantwortlich sind, wurde in den Ländern in die Praxis umgesetzt, in denen die Lehre der Reformation, dass die Bibel die einzige, endgültige Autorität sei, Wurzel geschlagen hatte. Anderswo war es für die zentralisierenden Monarchen vom politischen Standpunkt aus gesehen nur natürlich, die Hilfe der hierarchischen römisch-katholischen Kirche zur Kontrolle politischer (und nicht nur religiöser) Andersgläubigkeit in Anspruch zu nehmen.

(…) Das deutlichste Beispiel für das Reformationsprinzip der politischen Kontrolle des Volkes über ihren Regenten finden wir in einem Buch, das von einem Schotten verfasst worden ist – Samuel Rutherford (1600-1661). Dieses Buch trägt den Titel Lex Rex: Das Gesetz ist König. (…) Was Paul Robert für die Richter im Gebäude des Obersten Gerichts malte, hatte Rutherford bereits in seinem Buch ausgeführt. Hier gab es ein Konzept der Freiheit ohne Chaos, denn es war eine Freiheit mit Form. Oder, anders ausgedrückt, hier gab es eine Regierung des Gesetzes an Stelle der willkürlichen Entscheidungen von Menschen – denn die Bibel als endgültige Autorität war die Grundlage. (…) Samuel Rutherfords Werk und die Tradition, auf der es beruhte, hatte einen grossen Einfluss auf die Verfassung der Vereinigten Staaten, wenngleich auch moderne Angelsachsen ihn weitgehend vergessen haben…“

Es überrascht daher nicht, dass Länder, die keine Reformation erlebt haben, den auf Gesetzen und Prinzipien beruhenden Rechtsstaat nur der Form nach übernommen haben, aber nicht den Prinzipien nach. Oder, wie der argentinische Evangelist Alberto Mottesi schreibt:

„Der lateinamerikanische Herrscher unterwirft sich im allgemeinen dem Gesetz nicht; insbesondere, wenn es ein von ihm selbst gemachtes Gesetz ist. Unsere Regierungsphilosophie ist macchiavellisch: der Herrscher macht das Gesetz. (…) Obwohl unsere Länder die nordamerikanische verfassungsmässige Form gebrauchen, haben sie den Geist nicht verstanden, der darin lebt. Deshalb haben unsere Nachahmungen nicht funktioniert. (…) Bei uns übertreten sowohl die Herrscher wie die Beherrschten gewohnheitsmässig das Gesetz, sobald keine Überwachung und keine Strafandrohung da ist. Das kommt daher, dass wir glauben, das Gesetz sei von Menschen gemacht, und es sei die Regierung, die uns Rechte gibt. So verwundert es nicht, dass wir den Herrscher als einen Potentaten sehen, der die Gelegenheit ausnützen soll, solange er sie hat.“
(Alberto Mottesi, „Amerika 500 Jahre später“)

Zurück zu den peruanischen Wahlen. Jemand hat einmal bemerkt, bei den Wahlen gehe es darum, von mehreren Übeln das kleinste zu wählen. Kaum je war dieser Spruch so treffend wie dieses Jahr. Die zwei meistgewählten Präsidentschaftskandidaten, die den Sprung in den zweiten Wahlgang geschafft haben, sind gleichzeitig die (vom jeweils anderen Segment der Bevölkerung) meistgehassten: Am meisten Stimmen erhielt Ollanta Humala, ein ehemaliger Militärkommandant, der im Jahr 2000, als das Fujimori-Regime zusammenbrach, mit einer Kompanie Soldaten den bewaffneten Aufstand probte. (Dieser Umstand scheint jedoch aus dem Bewusstsein der Bevölkerung weitgehend verschwunden zu sein). Insbesondere die armen Bergbewohner im südlichen Perú (also die Gegend, wo wir wohnen) haben mehrheitlich für Humala gestimmt. – An zweiter Stelle liegt Keiko Fujimori, die Tochter des ehemaligen Präsidenten Alberto Fujimori (1990-2000), die die Politik ihres Vaters fortsetzen möchte (oder wenigstens die positiven Aspekte davon; die negativen verschweigt sie einfach).

Was bedeutet das für die Zukunft? – Hinter Humala steht Hugo Chavez und ein marxistisches Programm. Obwohl er beide Umstände während des Wahlkampfes zu leugnen versuchte: Sein schriftlich niedergelegtes Programm sieht u.a. vor, die grossen Betriebe zu verstaatlichen, die Staatsverfassung völlig neu zu schreiben, die Meinungsäusserungsfreiheit einzuschränken, und die Wechselkurse staatlich festzulegen (letzteres eine auch im seinerzeitigen europäischen Ostblock bekannte staatliche Bereicherungstaktik). Perú würde sich damit in den kommunistischen Block eingliedern, der sich in Lateinamerika unter der Führung von Chavez allmählich formiert, und zu dem bereits die Nachbarländer Ecuador und Bolivien gehören. – Die meisten Humala-Wähler haben aber keineswegs diese Absicht (wie schon erwähnt, interessieren sie sich nicht gross für Parteiprogramme). Sie erhoffen sich einfach eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation. Sie haben genug davon, dass die Regierung in Lima ständig optimistische Zahlen über das Wirtschaftswachstum veröffentlicht, während die Lebensmittelpreise steigen und die Berggebiete so arm sind wie zuvor. „Die in Lima haben uns vergessen.“ Humala verspricht, diese Situation zu ändern.

Was Keiko Fujimori betrifft, so sind viele der Ansicht, es fehle ihr an Format, um die Geschicke des Landes zu führen. Sie ist zwar Kongressabgeordnete, hat sich aber als solche nicht besonders hervorgetan. Sodass Kommentatoren bemerkten, ihre einzige politische Errungenschaft bisher bestehe darin, Fujimori zu heissen. Kurz, es wird befürchtet, eine allfällige Präsidentschaft von Keiko Fujimori könnte zu einer „Marionettenregierung“ verkommen, die von fremden Interessen aus dem Umfeld ihres Vaters und/oder dessen berühmt-berüchtigten Beraters und Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos ferngesteuert würde. Ausserdem hat Keiko nie eine befriedigende Stellungnahme abgegeben zu den Verletzungen der Gewaltentrennung und der Menschenrechte unter der Regierung ihres Vaters, sodass eine Wiederholung dieser Situation nicht ausgeschlossen ist.

Die beiden Kandidaten stellen aus der Sicht der Bevölkerung die zwei extremen Gegenpole dar (obwohl in Wirklichkeit beide dieselben totalitären und diktatorischen Tendenzen teilen). Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die Partei, die in den Wahlen unterliegt, Versuche unternehmen wird, die gewählte Regierung zu stürzen. Schon unter der gegenwärtigen Regierung Alan Garcías (die als „politische Mitte“ gilt) haben gewaltsame Proteste und revolutionäre Agitation zugenommen. Bei der gegenwärtigen Konstellation ist damit zu rechnen, dass diese Tendenz weiterhin zunehmen wird.

Nicht zuletzt: Im Hochsicherheitsgefängnis von Lima sitzen die drei umstrittensten Persönlichkeiten der letzten dreissig Jahre in der peruanischen Geschichte: die bereits erwähnten Alberto Fujimori und Vladimiro Montesinos, sowie Abimael Guzman, der Gründer und Anführer der maoistischen Terrororganisation „Leuchtender Pfad“. (Diese übt weiterhin den Krieg von ihrem Urwald-Reduit aus, und rekrutiert weiterhin Anhänger.) Alle drei haben mehrmals gezeigt, dass sie auch vom Gefängnis aus durchaus noch in der Lage sind, auf das Tagesgeschehen Einfluss zu nehmen. Und alle drei warten darauf, dass einmal ein ihnen wohlgesinnter Präsident an die Macht kommt, der sie begnadigt. Egal wer die Wahlen gewinnt, werden jetzt einer oder zwei von ihnen darauf hoffen, dass dieser Moment bald kommt.

Andererseits könnte man den stattgefundenen ersten Wahlgang auch als „Anti-USA-Votum“ interpretieren. Mit Humala und Fujimori hat die Wählerschaft zwei Kandidaten den Vorzug gegeben, welche – im Vergleich mit den übrigen – nur eine geringe Affinität zu den USA aufweisen. Das könnte darauf hindeuten, dass sich Perú doch nicht so leicht in die von den USA vorangetriebene „Neue Weltordnung“ einbinden lassen wird, wie es bis jetzt den Anschein hatte.

Noch ein Wort zur evangelischen/evangelikalen Präsenz in diesen Wahlen: Vor sechs Jahren kündigte der ehemalige Pastor Humberto Lay an, die Evangelischen hätten sich lange genug vor den Karren anderer politischer Interessen spannen lassen, er werde jetzt eine eigene evangelische Partei gründen. Er trat dann auch (getreu der peruanischen Tradition) selber als Präsidentschaftskandidat dieser Partei an, erreichte aber nur ein bescheidenes Resultat. Schon damals war mir die „Evangelizität“ dieser Partei eher fragwürdig: Die oben zitierte Ankündigung Lays war an die evangelischen Kirchen gerichtet; in einem an die Öffentlichkeit gerichteten Fernsehinterview sagte er jedoch, seine Partei sei konfessionell neutral. Das Parteiprogramm vertrat keine spezifisch christlichen Werte, und trat wie alle anderen für die Verstaatlichung des Bildungs- und Gesundheitswesens ein, sowie für einschneidende staatliche Eingriffe in weiteren Bereichen. Ausserdem verursachte diese Partei schon in ihren Anfängen mehrere Skandale: interne Spaltungen; und Missbrauch von evangelischen Kirchen für Wahlpropaganda. – In den diesjährigen Wahlen ist jetzt die evangelische Identität offenbar völlig aufgegeben worden: Die Partei stellte als ihren Präsidentschaftskandidaten den früheren Wirtschaftsminister Pedro Pablo Kuczynski auf, und ging zu diesem Zweck eine Koalition ein mit der katholischen Partei der Opus-Dei-Frau Lourdes Flores, und mit der „Humanistischen Partei“. Dadurch haben sie offenbar Stimmen gewonnen (Kuczynski blieb auf dem dritten Platz nur knapp hinter Keiko Fujimori zurück), verloren aber zugleich Parteimitglieder, die mit dieser Koalition nicht einverstanden waren. – Die politische Ausrichtung von Kuczynski ist mir nicht ganz klar; ich würde ihn am ehesten als einen Befürworter der „Neuen Weltordnung“ einschätzen, könnte mich hierin aber auch irren.

Ein Aspekt des Wahlkampfes hat mich besonders betrübt, vom Hintergrund meiner Arbeit mit den Kindern her: Keiner der Kandidaten hatte irgendeinen Vorschlag zum Schutz und zur Stärkung der Familien. Keiner sagte etwas davon, z.B. die vielen aus Not berufstätigen Mütter zu unterstützen, damit sie weniger arbeiten müssten und mehr Zeit für ihre Kinder hätten. Kein Wort zur Bekämpfung des Alkoholismus – eine hier äusserst verbreitete Sucht, und Hauptursache der Zerrüttung der Familien. (Soweit ich sah und hörte, kam es auch keinem Journalisten in den Sinn, entsprechende Fragen zu stellen.) Dafür vertraten fast alle die Einführung von Ganztagesschulen und von „Vorschulen für Null- bis Dreijährige“ nach dem Motto: Der Staat ist dein Ernährer, dein Vater und deine Mutter. Das scheint auch der Wunsch einer erdrückenden Bevölkerungsmehrheit zu sein: Kinder zu zeugen, nur um sie gleich nach der Geburt der staatlichen Obhut zu übergeben. Hiess es noch vor zwanzig Jahren, in Perú werde der Familienzusammenhalt grossgeschrieben, so ist Perú jetzt offenbar in dieser Hinsicht ganz auf den Lebensstil der übrigen westlichen Welt eingeschwenkt.

Zum Schluss nochmals einige Abschnitte von Schaeffer (a.a.O.). Diese Worte, vor über dreissig Jahren geschrieben, sind wahrhaft prophetisch und gelten für die gesamte westliche Welt:

„Ich bin davon überzeugt, dass die ’schweigende Mehrheit‘, Junge und Alte, den Verlust von Freiheiten hinnehmen werden, ohne ihre Stimme zu erheben, solange ihr persönlicher Lebensstil nicht bedroht ist. Und da persönlicher Friede und Wohlstand die einzigen Werte sind, die für die Mehrheit zählen, wissen die Politiker, dass sie nur diese Dinge versprechen müssen, um gewählt zu werden.
(…) Edward Gibbon erwähnte in seinem Buch Der Untergang des Römischen Weltreichs die folgenden fünf Kennzeichen, die Rom am Ende aufwies: erstens eine zunehmende Vorliebe für Zurschaustellung und Luxus (Wohlstand); zweitens eine grösser werdende Kluft zwischen den sehr Reichen und den sehr Armen (…); drittens eine exzentrische Sexualität; viertens eine groteske, wunderliche Kunst, die sich als originell ausgab (…); fünftens ein zunehmendes Verlangen, auf Kosten des Staates zu leben. Dies kommt uns alles sehr bekannt vor (…) – nun sind wir wieder in Rom.

(…) In dem Masse, wie der christliche Konsensus vergessen wird, der uns innerhalb der biblischen Form Freiheit gab, wird ein manipulierender Autoritarismus das Vakuum füllen. (…) ‚Wenn die Freiheit die Ordnung zerstört, wird das Verlangen nach Ordnung die Freiheit zerstören.‘
Dann spielen die Begriffe ‚rechts‘ oder ‚links‘ keine Rolle mehr. Sie bezeichnen nur zwei Wege zu ein und demselben Ziel. Zwischen einer linken autoritären Regierung und einer rechten autoritären besteht kein Unterschied, das Ergebnis ist dasselbe. Eine Elite, ein autoritäres Regierungssystem als solches, wird allmählich der Gesellschaft die Form aufzwingen, die sie vor dem Chaos bewahren soll. Und die meisten Leute werden diese auch akzeptieren, weil sie den Wunsch nach persönlichem Frieden und Wohlstand hegen, weil sie apathisch sind und das Verlangen nach Ordnung haben. Sie nehmen deshalb irgendein politisches System in Kauf, damit die Wirtschaft und das tägliche Leben weitergehen können. Genauso handelte Rom zur Zeit des Kaisers Augustus.“